Plankstadt. Ingrid Noll wird nicht allein wegen ihres bewundernswert umfangreichen Lebenswerks geehrt und in höchsten Tönen gelobt, sondern auch, weil sie von Beginn an ihren eigenen Weg gegangen ist: Kriminalgeschichten ohne ermittelnde Kommissare, aber mit großem Unterhaltungswert zu erzählen. Mit nüchternem Realitätssinn, Humor, subtiler Ironie und zahlreichen literarischen Bezügen vermittelt sie viel Menschlichkeit und Alltagserfahrungen, in denen sich insbesondere Frauen wiedererkennen.
Die immense Popularität Ingrid Nolls beruht zudem auf dem normalen Umgangston der Sprache sowie auf der Tatsache, dass ihre Protagonistinnen auf höchst fantasievolle Weise lästige Männer, Gatten oder Liebhaber ins Jenseits befördern. Im wirklichen Leben hegen ja viele Frauen diesen heimlichen Wunsch, den sie natürlich nie umsetzen. Beim Lesen von Nolls Romanen aber werden sie für alles entschädigt. Sie bekommen das Gefühl, dass das gestörte Gleichgewicht der Kräfte nun wiederhergestellt ist.
Zur Person
Ingrid Noll wurde 1935 in Shanghai geboren. Sie studierte in Bonn Kunstgeschichte und Germanistik.
Zu schreiben begann sie, als ihre Kinder „aus dem Haus“ waren. Erste Erfolge feierte sie mit Titeln wie „Der Hahn ist tot“ oder „Die Apothekerin“ in den 1990er Jahren. Es folgten Kriminalromane in fast zweijährigem Rhythmus mit prägnanten Titeln wie „Kalt ist der Abendhauch“, „Hab und Gier“ oder „Kein Feuer kann brennen so heiß“.
2005 erhielt sie den Friedrich-Glauser-Ehrenpreis der Autoren für ihr Gesamtwerk.
Ihr neues Buch „Tea Time“ ist im Züricher Diogenes-Verlag erschienen (319 Seiten, 25 Euro).
Mit 87 Jahren ist Ingrid Noll immer noch auf der Höhe ihrer Kunst, ihr neuester Roman „Tea Time“ kommt genauso frisch und jugendlich prägnant daher wie die früheren. Und er hat alles, was einen Bestseller ausmacht: skurrile Protagonistinnen, heimtückische Morde und natürlich viel Wortwitz.
Im Gespräch mit dieser Zeitung gibt Ingrid Noll einige Einblicke in ihre Arbeit und ihren jüngsten Mord.
Frau Noll, Sie machen es vielen vor, dass man auch ihm Alter Neues beginnen und kreativ sein kann. Vor dem Alter muss man keine Angst haben. Ist das so?
Ingrid Noll: Nein, Angst braucht man nicht zu haben, aber man sollte sich auch keine Illusionen machen. Es ist nicht erfreulich, wenn die „Materialermüdung“ einsetzt. Die Lesebrille ist die erste unangenehme Überraschung, meine neueste Errungenschaft ist ein Hörgerät. Einige meiner Altersgenossen haben bereits Ersatzteile aus Titan oder sind ganz von der Bildfläche verschwunden. Doch man sollte sich auch über die schönen Seiten freuen: Man darf aufstehen, wann man möchte, man kann mit Enkelkindern Blödsinn machen und sollte sich skrupellos von jungen Männern den Koffer tragen lassen. Und kreative Menschen haben jetzt endlich Zeit, um ihre Ideen in die Tat umzusetzen.
Im Diogenes-Verlag ist vor kurzem Ihr neuester Krimi mit dem suggestiven Titel „Tea Time“ erschienen. Wissen Sie, der wievielte es ist?
Noll: Es ist der 17. Roman, aber es gibt auch noch zwei Bände mit Kurzgeschichten und viele Beiträge in Anthologien.
Die Protagonistinnen des neuen Romans sind sehr sympathisch, weil sie allesamt dem „Klub der Spinnerinnen“ angehören. Ist das ihre Art, gegen das kleinstädtische Spießertum zu rebellieren?
Noll: Eigentlich spinnt doch jeder Mensch ein bisschen oder hat die eine oder andere Macke, die sogar charmant und liebenswert sein mag. Die sechs Freundinnen haben bürgerliche Berufe und kompensieren ihren grauen Alltag durch kleine Ordnungswidrigkeiten. Gegen das Spießertum wollen sie nicht unbedingt rebellieren und jede versteht sowieso etwas anderes darunter. Ich kenne Menschen, die rein äußerlich dem perfekten Klischee des Spießers entsprechen, auf menschlicher Basis jedoch großzügiger und warmherziger handeln als ihre Kritiker.
„Spinnen“ ist im Deutschen ein wunderbar vieldeutiger Begriff. Er spielt sowohl auf „ausklügeln, fantasieren“ an als auch auf „töricht oder verrückt sein“. Welchen dieser Bedeutungen gilt Ihr Interesse?
Noll: Nun, der Ausdruck ist tatsächlich interessant. Meine Großmutter hat als junges Mädchen im 19. Jahrhundert die dörfliche Spinnstube besucht, wo man auch noch in der Dämmerung arbeiten konnte und sich dabei gruselige Geschichten ausdachte. Früher mussten Matrosen aus alten Tauen neues Garn drehen, man spann also „Seemannsgarn“ und erzählte sich dabei abenteuerliche Geschichten. Im vorliegenden Fall ist es aber simpel: Die Frauen im Roman ticken bloß ein wenig anders als der Durchschnitt, geben damit gern an und nennen sich spaßeshalber „Spinnerinnen“.
Eine positive Marotte hat zum Beispiel die Icherzählerin Nina. Sie fotografiert verkrüppelte Pflänzchen am Straßenrand, um ihnen ihre Würde zurückzugeben, da kommt die Assoziation zu Menschen auf, die am Rande der Gesellschaft würdelos ihr Dasein fristen, oder?
Noll: Natürlich hat dieser Spleen einen sozialen Aspekt: Ausgegrenzt aus einer Gemeinschaft versuchen sowohl Pflanzen als auch Tiere zu überleben, aber leider müssen es auch viele Menschen.
Neben den sechs „Spinnerinnen“ bevölkern den Roman weitere sonderbare Figuren. Welche steht Ihnen am nächsten?
Noll: Oft werde ich gefragt, ob ich nicht einen Teil meiner eigenen Persönlichkeit in der Hauptfigur unterbringe. Falls ja, dann ist es unbewusst. Es ist eher so, dass ich wie eine Schauspielerin in eine Rolle schlüpfe. Ich muss empfinden können, wie man sich in der Situation der Protagonistin fühlt, wie man handeln würde, worunter man leidet, was man sich wünscht, wen man liebt und warum man eine Macke hat.
Es ist Ihr erstes Buch, das explizit in Ihrer Heimstadt Weinheim spielt. Warum erst jetzt?
Noll: Auch die anderen Bücher spielen in meinem „Jagdrevier“, also in der Umgebung. Doch ich wurde in letzter Zeit häufig darauf angesprochen, dass ich meine Heimatstadt unbedingt einmal mit markanten Details erwähnen sollte, und das habe ich sehr gern in die Tat umgesetzt.
Info: Lesung mit Ingrid Noll am Dienstag, 31. Januar, 20 Uhr, Gemeindebücherei Plankstadt
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