Region. Dirk Müller ist sich sicher: Wir stehen vor der nächsten Weltwirtschaftskrise und einer gigantischen Umverteilung. Ob China, Russland, Nordkorea, Naher und Mittlerer Osten oder USA und Europa – Müller erklärt Hintergründe, Zusammenhänge und Konsequenzen der aktuellen Konflikte in seinem neuen, im Heyne-Verlag erschienenen Buch „Machtbeben“. Er schildert den voraussichtlichen Ablauf einer kommenden Weltwirtschaftskrise, die aus seiner Sicht auf uns zurollt, deren Zeitpunkt aber nicht zu bestimmen sei.
Der Reilinger, der als „Mister Dax“ mit zahlreichen Fernsehauftritten zu bundesweiter Bekanntheit gekommen ist, zeigt auf, welche Rolle Digitalisierung und Automatisierung spielen, wo die Zukunft des Geldes, der Arbeit und der Gesellschaft liegt. Er rät, vor dem Krisenfall liquide Mittel lockerzumachen, um rechtzeitig in Unternehmenspapiere investieren und so sogar noch von der Krise profitieren zu können. Wir haben das Buch schon mal gelesen, das ab sofort im Buchhandel ist.
Schlüsselfrage: Wem nutzt es?
Beherrscht wird das Buch von der Frage „Cui bono – wem nutzt es?“ Und auf seinen vielen Gesprächen mit Wirtschaftsbossen, Bankern und Politikern, auf Hintergrundrecherchen in Archiven und weltweiten Experteneinschätzungen konstruiert Dirk Müller seine Theorie vom nahenden Crash, einer Weltwirtschaftskrise, die größer sein wird als die im Jahre 2008 und vielleicht zur größten überhaupt werden könnte.
Dennoch ist sein neues Buch keine pure Schwarzmalerei, Müller nennt auch Gründe dafür, dass es noch Jahre dauern könnte, bis die Krise kommt, rät dazu, es sich bis dahin möglichst gut gehen zu lassen, offen mit Menschen aller Glaubens- und politischen Richtungen zu diskutieren, sich innerhalb der Gesellschaft zu verbünden und nicht all das mitzumachen, was die Machteliten, die sich hinter Politikern und Strohmännern verstecken, wollen.
Spannend ist, wie Müller immer wieder auf Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi zurückkommt, den japanisch-österreichischen Schriftsteller, Philosophen, Politiker und Gründer der Paneuropa-Union. Der erste Träger des Karlspreises hat schon in seinen Schriften vor 100 Jahren viele der Bewegungen vorausgesagt, die heute zu erkennen sind. „Es lohnt sich, ihn nicht aus dem Kontext zu reißen, wie das rechte Kräfte oft tun, sondern seine Bücher zu lesen“, sagt Dirk Müller unserer Zeitung. Coudenhove-Kalergi schreibt in seinem Paneuropa-Programm unter anderem: „Die Sicherung der Grenzen mit deren Abbau, bewahrt die formale Gliederung Europas, während sie deren Wesen ändert. So sichert sie zugleich den gegenwärtigen und künftigen Frieden, die wirtschaftliche und die nationale Entfaltung Europas.“
Müller sieht da auch keinen Widerspruch zu regionalen Identitäten, die Tiroler, Schotten, Iren, Flamen, Wallonen oder Katalanen fordern. Hier und gerade auch im Nahen und Mittleren Osten oder in Afrika beruhten viele Spannungen darauf, dass meist durch kriegerische Eroberungen oder das Ziehen von Grenzen auf dem Reißbrett verschiedenen Bevölkerungsgruppen unter ein willkürlich gespanntes Staatsdach gezwungen wurden. Sie fühlten sich fremdbestimmt, dabei könnten sie viele Entscheidungen vor Ort viel kompetenter treffen als eine Zentralregierung in einer fernen Hauptstadt.
Es gebe Anzeichen dafür, dass die Machteliten in den USA dies erkannt hätten. Müller veröffentlicht dazu eine Landkarte des amerikanischen Oberstleutnants Ralph Peters aus dem Jahre 2006, der die Ethnien und Religionen zu neuen Staatsgebilden sammelt und ein Freies Kurdistan, einen Sunnitischen Irak und einen Arabisch-Schiitischen Staat auf dem heutigen Gebiet des heutigen Irak sieht. Uneinig seien sich die dahinter stehenden „Plutokraten-Netzwerke“ allerdings noch darüber, ob diese Ziele militärisch mit der Brechstange oder mit so wenig Blutvergießen und Zerstörung wie möglich erreicht werden sollen: „Vielleicht kann man sich Leute wie Macron oder Zuckerberg auf deren Seite vorstellen“, spekuliert Müller.
Im Interesse solcher Konzerne wie Facebook oder Amazon sei eine Zusammenführung der Welt, die endgültige Globalisierung auf jeden Fall. Eine Zielgruppe von 7 Milliarden Menschen ohne die Regulierungen und Eigenheiten unzähliger Staaten sei deren wünschenswertes wirtschaftliches Ziel.
Die moderne Völkerwanderung
Kommen wir zum Thema Zuwanderung oder, wie Müller es nennt, die „moderne Völkerwanderung“: Sie habe gerade erst begonnen und werde biblische Ausmaße annehmen. Es werde Verwerfungen und Unruhen geben. „Doch künftige Generationen werden das rückwirkend anders wahrnehmen, sie werden ihre Version von Europa bauen, die facettenreicher ist als unser heutiges europäisches Selbstverständnis“, schreibt Müller. Er widerspricht der Ansicht, dass Europa damit zerstört werden soll, glaubt viel eher, dass Europa so zum Nukleus werde, zum „Kondensationskern einer neuen Weltgemeinschaft, in dem Menschen aus allen Teilen der Welt zusammenkommen und sich vereinen und in künftigen Jahrzehnten die Basis für diese Weltbevölkerung legen“.
Italienische Banken in Gefahr
Aber gehen wir nun weiter zu den wirtschaftlichen Aussagen im neuen Buch „Machtbeben“ der Reilingers: Die Probleme im Euroland seien ungelöst und noch größer als 2010 mitten in der Griechenland-Krise. Europas Banken hätten derzeit noch eine Billion fauler Kredite im Portfolio, allein die italienischen Banken 360 Milliarden Euro, sie stünden mit einem Fuß überm Abgrund. Und wenn schon in einer wirtschaftlichen Boomphase wie jetzt italienische Banken zu kollabieren drohen, könne man sich ausmalen, wie das in einer Weltwirtschaftkrise sein werde.
Wie die Krise ausgelöst werden könnte, beschreibt Müller über Szenarien aus der ganzen Welt. So lägen etwa die Studentenkredite in den USA bei derzeit 1,4 Billionen Dollar, 43 Prozent seien im Zahlungsrückstand, viele müssten ausgebucht werden, weil die Kreditnehmer nach dem 200 000 bis 300 000 Dollar teuren Studium keine adäquate Arbeit finden. Und das jetzt bei Niedrigzinsen, Was, wenn die Zinsen steigen?
Oder das Ende des Ölzeitalters. Es gehe längst nicht mehr um die Frage, dass uns das Öl ausgehen könnte, sondern die Erzeugerländer hätten verstanden, dass wir schon im Jahr 2050 großteils ohne ihr Öl auskommen können und fördern deshalb auf Teufel komm raus, um jetzt noch den „ganzen Dreck aus der Erde“ verkaufen zu können. Das sei auch der Grund, warum US-Präsident Trump jetzt Fracking in Naturschutzgebieten zulasse, denn bisher habe man das eigene Öl aufsparen wollen, für eine Zeit, wenn die Lieferanten nichts mehr haben.
Das sei durch die Entwicklung bei Solar- und Windenergie nicht mehr notwendig, so Müller. Sogar die Familie Rockefeller sei schon aus dem Ölgeschäft ausgestiegen. Und die Amis zögen noch den Saudis die letzten Petro-Milliarden aus der Tasche und verkaufen Kriegswaffen, damit diese vielleicht noch den Krieg gegen den ungeliebten Iran führen, der Grundlage für eine Neuordnung der Arabischen Halbinsel wäre. Die Scheichs hätten keine Strategie für die Zeit nach dem Öl.
Kein Interesse an den E-Autos
Allenfalls käme ihnen das Gas noch zugute, das den Übergang aus dem Ölzeitalter in die Zeit der Erneuerbaren Energien flankiere. Und dass in Deutschland der Ausbau der E-Mobilität nicht vorankomme, ist laut Dirk Müller gewollt. Für einen Ausbau der Ladesäulen müssten vielleicht 1,5 Milliarden Euro investiert werden, das wäre für Daimler mit 15 Milliarden Jahresgewinn ein Klacks, sagt er. Oder für ein Konsortium der Autohersteller mit der Bundesregierung zusammen. Aber darauf seien die deutschen Automobilbauer gar nicht aus. Der Wasserstoffantrieb für den Verbrennungsmotor sei das Ziel, denn Elektro könnten die Chinesen auch – und billiger. Die Brennstoffzelle sei aber hochkomplex und somit Sache der Deutschen, bei schweren Wagen mit großen Reichweitenbedürfnissen sei die Technologie aber klar im Vorteil – gekoppelt mit dem autonomen Fahren eine echte Chance. Busse, Lkw, vor allem aber die Schweröl-Luft-Verpester Schiffe sollen die Vorreiter werden.
Bei den Chinesen sieht Dirk Müller übrigens die größte Gefahr für das Auslösen der Weltwirtschaftskrise. Er zitiert den chinesischen Analysten Niu Dau: „China ist die größte Blase der Weltwirtschaftsgeschichte, und steigende amerikanische Zinsen werden sie zum Platzen bringen.“ Müller seziert die Fehlinvestitionen in Infrastruktur und ganze Städte, in denen kaum jemand wohne, das schnelle Abschmelzen der Währungsreserven, den Abzug ausländischer Investoren und die geschönten Wirtschaftszahlen des Landes, das nun versuche – durch den Bau der neuen Seidenstraße mit schnellen Zugverbindungen von Rotterdam bis Peking, Häfen und Pipelines – Abhängigkeiten der Länder zu erzeugen, durch die die moderne Infrastruktur führe.
Immer alles hinterfragen
Klar, dass auch die anderen Krisenherde der Welt in der Ostukraine, in Myanmar, auf der koreanischen Halbinsel Teile der großen Strategie sind, die Dirk Müller wie Mosaiksteinchen zusammensetzt. Und er sagt ja selbst, dass er nicht behauptet, dass dies alles richtig sei, dass es sich ihm aber so darstelle. Aber er fordert die Menschen auf, für den großen Crash vorzusorgen, um womöglich sogar am Tiefpunkt der Aktienwerte einsteigen und viel Geld gewinnen zu können. Vor allem jedoch will er, dass die Menschen hinterfragen, sich nicht in Kryptowährungen wie den Bitcoin als Schneeballsystem verlieren, die nicht funktionieren können, und sich gegen die totale Überwachung durch die Abschaffung des Bargeldes wehren.
Es ist ein spannendes Buch geworden, auch ein Plädoyer für die Unterstützung des freien Journalismus, wo es ihn noch gibt, und gegen die Verblödung durch die sozialen Medien und deren Nachrichtenbevormundung und Einseitigkeit.
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