Reilingen. Im Kleinen etwas Großes und Besonderes stattfinden lassen – das gleicht einer Herausforderung. In der evangelischen Kirche in Reilingen gelang dies am vergangenen Freitagabend mit Bravour. Zweimal musste der Lese-Lieder-Abend „Lifesong – Das Leben schreibt die besten Lieder“ von und mit Judy Bailey und Patrick Depuhl aufgrund der Pandemie verschoben werden. Nun wurde er veranstaltet und das gerade noch rechtzeitig, denn das Ehepaar steht bereits mit dem Nachfolgeprogramm zu seinem neuen Buch „Das Leben ist nicht schwarz-weiß“ vor Publikum.
Schnell sollte den zahlreichen Zuschauern klarwerden, dass sich das lange Warten gelohnt hatte. Ein dermaßen emotionsgeladenes Programm lässt sich selten erleben. Lachen und Weinen lagen bei dieser Konzertlesung nah beieinander. Immer wieder brachten humorreiche Anekdoten aus dem Leben Judy Baileys die Zuschauer zum Lachen: Die Vorstellung, wie sie als Fünfjährige kilometerweit auf ihrem roten Fahrrad Barbados unsicher machte oder sie sich innerhalb einer Woche selbst das Gitarrespielen beibrachte, um an einer Schulaufführung teilnehmen zu können, schilderte Patrick Depuhl charmant und äußerst unterhaltsam. Doch wie jeder weiß, schreibt das Leben nicht nur lustige Geschichten. Die Schilderungen von Baileys Bulimieerfahrung oder auch vom Tod ihres Vaters bewegten sehr.
Lebensbejahend und Mut machend
Diese und noch mehr Lebensgeschichten verarbeitete die talentierte Musikerin in ihren vielseitigen Songs, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Mal sehr beschwingt, lebensbejahend, mitreißend, mal getragen, melancholisch, aber niemals hoffnungslos oder resignierend.
So vergingen die knapp drei Stunden inklusive kurzer Pause wie im Flug. Zunächst begrüßte Pfarrerin Eva Leonhardt die Gäste, verlor jedoch nur wenige Worte zum Programm, um nichts vorwegzunehmen. Wichtig war ihr jedoch, ihrem Dank an das Künstlerpaar für das Festhalten an dem Auftritt Ausdruck zu verleihen. Dass dieser vielseitige Abend nach so langer Zeit doch noch Umsetzung fand, war jedoch auch dem engagierten Jubi-Kreis, allen voran Tobias Beier, zu verdanken.
Das Publikum sollte belohnt werden, denn es erfuhr in Patrick Depuhls Lesestücken allerhand aus dem Leben Judy Baileys. Begonnen mit ihrer Geburt in London, weiter mit ihrer Kindheit, die sie auf Barbados verbrachte. Mit 19 Jahren kehrte Bailey der Karibik den Rücken, nachdem eine Ausbildung zur Physiotherapeutin aussichtslos schien. Wieder zurück in London schrieb sie sich für ein naturwissenschaftliches Studium ein, das später durch Psychologie abgelöst werden sollte.
Eine konstante Begleiterin bei allem war ihre Musik – und ihr Glaube. Beides hing miteinander zusammen und schon als Kind begann sie zu singen und Gitarre zu spielen. Im Alter von 17 Jahren verfasste sie ihr erstes Lied. Bis dahin stets unter dem Einfluss der Gospels, die sie aus der Kirche kannte.
In London erkrankte sie schwer an einer Essstörung, doch eine Einladung nach Deutschland, an einem Konzert teilzunehmen, stellte die Weichen in eine Richtung, die ihr Leben gänzlich verändern sollte. 14 Alben veröffentlichte sie bisher, war Gast auf großen Bühnen rund um den Globus, trat vor einem Millionenpublikum auf und doch saß am Freitagabend eine Musikerin im durch farbintensive Tücher ausgeschmückten Altarraum der Kirche, die sich sehr nahbar und kontaktfreudig dem Publikum gegenüber gab. Kurzerhand animierte sie das Publikum zum Mitsingen, Klatschen oder suchte sich Verstärkung für den nächsten Song. Schnell fanden sie und ihr Mann Patrick Depuhl, der das Lesen betreffend ihre Stimme war, der aber ebenso afrikanische Djembé und diverse Percussion-Instrumente spielte, musikalische Unterstützung aus den Zuschauerreihen.
Glaube als Lebensbegleiter
Gut vorstellbar, warum das Paar 2020 mit seinem gesamten Team sogar mit einem Heimatpreis für seine Dorf-Musik-Projekte vom Heimatministerium Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet wurde. So unterschiedlich das Ehepaar ist, beide werden nicht zu Unrecht als Farben- und Hoffnungssammler bezeichnet. Wie durch die Lesestücke und Songs deutlich wird, ist der Glaube ein allumfassender und Kraft spendender Lebensbegleiter. Das Dunkle war immer wieder Teil von Baileys Leben, doch in den dunkelsten Zeiten half ihr der Glaube, nach vorne zu blicken und wieder lichtvollen Zeiten entgegenzugehen. Dies und noch viel mehr verarbeitete die Musikerin in ihren ergreifenden Songs mit den vielfältigsten Lebensthemen, die die Herzen der Zuschauer berührten. Gut, wenn ein Taschentuch zur Hand war.
Die Konzertlesung war alles andere als seichte Unterhaltung. Vielmehr sorgte sie für einen Abend voller emotionaler Geschichten, Liedern, Lyrics – tiefsinnig, berührend, verletzlich und dennoch voller positiver Energie, mitreißend, humorvoll, lebensbejahend und ehrlich. Es wurde mehr als deutlich, dass Judy Bailey Lieder für Menschen schreibt, die den Mut haben, Gott im Alltag zu entdecken und an sich selbst zu glauben. Glaube lasse Flügel wachsen, die den Menschen Träume erreichen lasse, wenn auch manchmal auf Umwegen.
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