Schillerschule

Vortrag in Reilingen: Experte spricht über Humangenetik

Der Humangenetiker Prof. Dr. Christian Schaaf hält in der Aula der Reilinger Schillerschule einen Vortrag zu seiner Forschungsdomäne und zieht das Publikum in seinen Bann.

Von 
Jan Stößer
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Prof. Dr. Christian Schaaf vom Institut für Humangenetik bei seinem Vortrag in der Aula der Schillerschule. © Stößer

Reilingen. „Am Freitagabend kann man sich auch etwas Leichteres auswählen, als einen Vortrag über Genetik.“ Dies waren einige der einleitenden Worte, die der ärztliche und geschäftsführende Direktor des Instituts für Humangenetik des Universitätsklinikums Heidelberg Prof. Dr. Christian Schaaf zur Begrüßung fand und damit seinen Vortrag „Die Macht der Gene“ mit einer Prise trockenen Humors würzte. Das Eis, das das hochkomplexe Thema umschließt, war infolge gebrochen und der in Heidelberg tätige Forscher referierte über die stetig wachsende Bedeutung von genetischen Informationen für die Medizin.

Vorab gab es vom Genetiker eine statistische Einführung in die Thematik: Das menschliche Erbgut, das zu jeweils 50 Prozent von Mutter und Vater stammt, umfasst circa 6,2 Milliarden Buchstaben, was etwa 2,48 Millionen Blättern Text und einem Papierstapel von circa 248 Metern Höhe entspricht. Zum Vergleich: Eines der Wahrzeichen Mannheims, der 1975 in Betrieb gegangene Fernmeldeturm, bringt es auf eine Höhe von 217,8 Meter. Auch die Rechnung zwei mal 23 Bücherregale, zwei mal 3,1 Milliarden Buchstaben und zwei mal etwa 40000 Gene, im Volksmund Betriebsanleitungen genannt, unterstreicht die Mannigfaltigkeit der Genforschung.

Vortrag in Reilingen: Die Kongruenz zwischen Mann und Affe

Die genetische Variabilität, die Übereinstimmung der DNA zwischen zwei Menschen, beträgt beim gleichen Geschlecht etwa 99,5 Prozent. Die Deckungsgleichheit im genetischen Code von Mann und Frau liegt bei 95 Prozent. Die Kongruenz zwischen Mann und Affe beträgt erstaunliche 98 Prozent. Der Fachausdruck Heritabilität umschreibt, dass körperliche und genetische Faktoren zusammen hängen. So ist die Körpergröße durch die der Eltern mitbestimmt und von diesen zu 79 Prozent übernommen.

Auch Krankheiten können vererbt werden, so beispielsweise Magengeschwüre, Bluthochdruck, Leiden der Herzkranzgefäße, Diabetes, Asthma und Schizophrenie. Auf einen weiteren Ausflug nahm Prof. Dr. Schaaf die Audienz in die Stadt des weißen Goldes, Reilingen, mit.

Spargel besteht zu über 90 Prozent aus Wasser, enthält aber auch Asparagusinsäure. Menschen, deren Urin nach dem Genuss von Spargel unangenehm riecht, besitzen ein Enzym, das diese Säure in schwefelhaltige Stoffe zersetzt. Es gibt aber auch Menschen, die den Geruch des Urins nach Spargelgenuss prinzipiell nicht riechen können. Dies ist auf eine Mutation in dem Gen für einen spezifischen Geruchsrezeptor zurückzuführen. Auf die Frage, ob Intelligenz erblich ist, kann man deren Korrelation oder Wechselwirkung heranziehen.

Vortrag in Reilingen: Den Genen von Zwillingen auf der Spur

Eineiige Zwillinge, gemeinsam aufgewachsen, weisen eine Korrelation der Intelligenz von 86 Prozent auf. Eineiige Zwillinge, getrennt aufgewachsen kommen auf 72 Prozent und zweieiige Zwillinge, gemeinsam aufgewachsen auf immerhin 60 Prozent Übereinstimmung. In diesem Zusammenhang sind genetische Faktoren für 50 bis 75 Prozent der Varianz von Unterschieden hinsichtlich der Intelligenz verantwortlich. Faktoren der Umwelt machen den Rest aus.

Jede Tumorerkrankung ist auf eine genetische Erkrankung zurückzuführen. Jede achte Frau erkrankt im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs. Bei etwa 15 Prozent der Brustkrebsfälle besteht eine familiäre, genetische Veranlagung. Bei genetischer Veranlagung kann das Brustkrebsrisiko bis zu 70 Prozent betragen. Etwa 65 000 Personen in Deutschland erkranken jährlich am Herz. Rund ein Drittel dieser Personen ist jünger als 65 Jahre.

Die „Hypertrophe Kardiomyopathie“ gilt als eine der häufigsten Ursachen für den plötzlichen Herzstillstand und einem unter Umständen daraus resultierenden, plötzlichen Herztod bei jungen Menschen, wobei auch angeborene Herzrhythmusstörungen als bedeutsamer Grund gelten.

Experte empfiehlt in Reilingen eine genetische Testung

In diesem Zusammenhang wird eine genetische Testung für alle Personen mit einem plötzlichen Herzstillstand vor dem 40. Geburtstag empfohlen. Eine genetische Ursache besteht bei 70 Prozent der Personen mit plötzlichem Herzstillstand und Herzrhythmusstörungen.

Das Risiko für Kinder betroffener Personen mit genetischer Veränderung beträgt meist 50 Prozent. Als präventive Maßnahme kann ein Defibrillator, etwa durch das Kardiogenetikzentrum des Universitätsklinikums Heidelberg, implantiert werden.

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Zu den neurologischen Erkrankungen im Kindesalter zählt Autismus. Der Ursache, eine Stoffwechselerkrankung, kann durch die Einnahme von L-Carnitin vorgebeugt werden. Verschiedene diagnostische Möglichkeiten bei Entwicklungsstörungen im Kindesalter existieren. Die Herausforderung ist eine enorme genetische Heterogenität bzw. Ungleichartigkeit.

Vortrag in Reilingen: Molekularisches Verständnis von Erkrankungen

Die diagnostische Rate beziehungsweise Erfolg der Sequenzierung oder Aufschlüsselung der Genome bei geistiger Behinderung liegt bei zirka 50 Prozent, bei Autismus zwischen zehn und 50 Prozent. Eine gezielte Behandlung kann ebenfalls aufgrund des molekularen Verständnisses der Erkrankung erfolgen.

Die Kosten einer genetischen Diagnostik sind in den vergangenen zwanzig Jahren exorbitant zurückgegangen. Der Aufwand für die Sequenzierung eines vollständigen menschlichen Genoms belief sich um 2000 noch auf etwa 100 Millionen US-Dollar. Bis zum Jahr 2020 sanken die Aufwendungen hierfür auf unter 1000 US-Dollar.

Sich der Diagnostik anschließende, genetische Therapien sind gegenwärtig jedoch kostenintensiv. So etwa bei der Spinalen Muskelatrophie (SMA), einer Erbkrankheit, bei der sich Nervenzellen im Rückenmark und Hirnstamm zurückbilden, wodurch eine fortschreitende Muskelschwäche und ein Muskelschwund ausgelöst werden.

Vortrag in Reilingen: Injektion kostet über zwei Milliarden Euro

Hier kann die Behandlung durch eine Gentherapie mit dem Medikament Zolgensma erfolgen, wobei eine einzige Verabreichung in Form einer Injektion mit 2,3 Millionen  Euro zu Buche schlägt. Im Falle der vererbten SMA gibt es Möglichkeiten für betroffene Familien in Form einer pränatalen Testung vor der Geburt. Präimplantationsdiagnostik (PID) in Deutschland ist seit 2011 erlaubt, “wenn aufgrund der genetischen Veranlagung der Eltern eine schwerwiegende Erbkrankheit beim Kind oder eine Tot- oder Fehlgeburt wahrscheinlich ist“.

Für die PID gibt es Einrichtungen, wie etwa das PID Zentrum des Uniklinikums Heidelberg. Hier kann eine Beratung hinsichtlich Fertilitätsmedizin, Humangenetik und Psychosomatik erfolgen. Ein Antrag bei der Ethikkommission des Landes ist zu stellen. Gesetzliche Krankenversicherungen übernehmen die Kosten der PID in der Regel nicht. Im Rahmen der selektiven PID wird das Erbgut überprüft und der Embryo – nach einer künstlichen Befruchtung – auf Erbkrankheiten untersucht, bevor er in die Gebärmutter eingepflanzt wird.

Vortrag in Reilingen: Hormonbehandlung, Eizellen, Erbgut

Durch eine Hormonbehandlung reifen mehrere Eier im Mutterleib heran, deren Eizellen im Reagenzglas befruchtet werden. Dem Embryo wird im „Achtzell-Stadium“, wobei jede Zelle noch zu einem Menschen heranreifen kann, eine Zelle entnommen. Daraufhin wird das Erbgut, die DNA, isoliert und auf das Risiko für erbliche Krankheiten untersucht. Nur wenn die DNA „gesund“ ist, wird der Embryo in die Gebärmutter eingepflanzt.

Steigende Bedeutung und Verantwortung Prof. Dr. med. Schaaf resümierte am Ende des Vortrags und gab Ausschau, dass die Humangenetik mittlerweile in fast allen Bereichen der Medizin eine wichtige Rolle spielt.

„Ein verantwortungsvoller Umgang mit den technologischen Möglichkeiten ist notwendig. Humangenetische Untersuchungen können zu einem besseres Krankheitsverständnis, besseren therapeutischen Ansätze und einer besseren Gesundheitsvorsorge führen.“, so der Sohn Reilingens.

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