Waghäusel. Noch ist es finster, die ersten Bürger stellen ihre Fahrräder ab und gehen gemeinsam in die Wallfahrtskirche. Etwa 20 Menschen sitzen auf den Bänken, viele haben die Finger ineinander verschränkt, manche haben die Augen geschlossen. Aber alle sind sie bei sich. Ich komme mir fremd vor bei meinem Tag im Kloster. Ein bisschen einsam. So still war es in meinem Alltag schon seit Ewigkeiten nicht mehr. Der Morgen um 6.30 Uhr ist kühl, ich ziehe die Ärmel meiner Strickjacke über die Fingerspitzen und lege das Gesangbuch auf meine Oberschenkel.
Dann geht es los: die Kirchenglocken läuten, alle stehen auf und wir beten und singen. Sie sind eine Einheit. Zusammen, aber doch jeder für sich. Die Situation ist zwar fremd für mich, entschleunigt aber meine Gedanken unheimlich. Kein Druck, keine Erwartung – ich kann einfach nur hier sein.
Ort der Herzlichkeit
Nach der heiligen Messe schließe ich mich den Gottesdienstbesuchern an, wir gehen durch ein paar Gänge in einen Speisesaal. Dort wartet Pater Robert-Maria schon auf uns. Er gehört zu den fünf „Brüdern vom gemeinsamen Leben“, die im Kloster Waghäusel wohnen. Jeder hat in der Gemeinschaft eine andere Aufgabe. Pater Robert-Maria ist der verantwortliche Wallfahrtsrektor und Hausobere. Pater Jürgen ist neben seinen Aufgaben bei der Wallfahrt für die Begleitung von Gästen und Gruppen verantwortlich. Pater Stefan kümmert sich in der Seelsorgestelle besonders um die Senioren und Kranken und ist Leiter einer Gruppe der „Legio Mariens“. Bruder Meinrad kümmert sich um den Garten, hilft in der Sakristei und bei anderen Diensten in Haus und Hof. Pater Hermann-Joseph ist neben seinen Aufgaben in Waghäusel noch als geistlicher Assistent des internationalen Hilfswerkes „Kirche in Not“ tätig und deshalb auch häufiger außerhalb des Klosters, wie an diesem Tag.
„Herzlichen Glückwunsch, dass sie es so früh aus dem Bett geschafft haben“, begrüßt mich Pater Robert-Maria und lacht. „Mein Tag hat heute Morgen schon um 5 Uhr angefangen, ich habe nämlich Frühstücksdienst“, erzählt er und sieht dabei auf die Tür hinter uns, in der sich die Küche befindet. Dort verschwindet er direkt und kommt wenige Sekunden später mit Wurst und frischem Kaffee zurück. Bevor wir beginnen, danken wir Gott für die Speisen.
Dann wird der Raum von Herzlichkeit überschwemmt. Egal ob Besucher für ein paar Stunden oder Hausgast, jeder interessiert sich für den anderen. Theresia Ludwig ist die Tochter des Hausmeisters vor Ort und wird an diesem Nachmittag in das Kloster St. Magdalena in Speyer einziehen (wir berichteten). Eine große Sache, nicht nur für sie. Sie erzählt, wie ihre nächsten Tage geplant sind und alle hören zu.
Nach dem Frühstück beginnen alle mit ihrer Arbeit und Pater Robert-Maria führt mich durch das Kloster. Die Holzstufen knarren ein wenig, als er mir die Bibliothek und die Bischofsempore zeigt. Von dort sehen wir die Bänke der Wallfahrtskirche von oben. „Alle Räume sind für unsere Hausbewohner zugänglich, außer dieser Bereich“, sagt der Pater und zeigt auf eine Tür im ersten Obergeschoss. Dahinter befinden sich die Zimmer der „Brüder vom gemeinsamen Leben“ – also Klausur. Das neue Gästehaus neben dem Kloster wurde erst 2014 eingeweiht. Fast jedes Wochenende nutzen die freien Zimmer und Betten dann Jugendgruppen oder andere Geistliche. „Wer hier Gast ist, hilft, wo er kann und gibt, was er kann“, erklärt der Pater das System der Gemeinschaft. „Wir sind kein normales Kloster, hier ist jeder willkommen“, fügt er noch hinzu.
Wir kommen zurück, ich bringe mein Geschirr in die Küche, wo die 74-jährige Helma John steht und die frischen Teller aus der Spülmaschine abtrocknet und in die Schränke einräumt. Ich bin heute Gast – und deshalb helfe ich mit.
Erstaunt sieht mich die 74-Jährige an, als ich mir ein Abtrockentuch von der Leine nehme. Ich fange an, eine Tasse zu polieren. „Das ist aber nett“, sagt John und lächelt mich an. Die 74-Jährige wohnt nur einen Kilometer weit weg und kommt jeden Tag ins Kloster. Morgens und mittags zum Gebet – und auch zu allen Mahlzeiten. Für sie ist es selbstverständlich, dann auch mitzuhelfen. Bevor sie ihren Glauben so intensiv lebte, litt sie unter Depressionen. „Die sind jetzt einfach weg“, erklärt sie strahlend. Die Gemeinschaft und das Miteinander schätzt sie sehr. Ihren Tag verbringt sie ansonsten vor der Leinwand. Sie malt gerne „Räume der Stille“ von der Natur oder auch von Blumen. Immer wieder stellt sie in der Edith-Stein-Halle beim Kloster auch ihre Werke aus.
Der nächste Termin ist schon im kommenden Monat. Vom Samstag, 27. Oktober, bis zum Sonntag, 4. November, immer am Wochenende und an den Feiertagen. Angelika Schramm huscht zwischenzeitlich durch die Küchenräume. Sie kümmert sich um das Essen – und auch um die Wäsche. Zusammen tragen wir frische Handtücher in das Gästehaus. „Meine Kollegin ist noch bis nächste Woche im Urlaub, vielleicht kannst du mir beim Mittagessen ein bisschen helfen?“, fragt sie.
Aber klar. Wir kochen Kaffee, für das Putzteam, das heute die Wallfahrtskirche wieder gepflegt hat und dann geht es schon ans Mittagessen. Couscous mit frischem Gemüse aus der Region, Salat und Fleisch. Bevor ich die Radieschen in Scheiben schneiden kann, holt mich Pater Stefan aus der Küche. „Sie müssen Clara und Peter kennenlernen – unsere beiden Hasen. Ich füttere sie immer.“ Mit den Salatresten vom vorherigen Tag machen wir zusammen die beiden Häschen glücklich – dann geht es für mich wieder zurück in die Küche.
Pater am Spülbecken
Mittags treffen sich die Ordensbrüder und die Hausgäste in der Kapelle zum kurzen Gebet. Danach gibt es das Mittagessen für fast 20 Menschen. Darunter ist auch Klaus Schreiber aus Neulussheim. Pater Robert-Maria will den 80-Jährigen direkt kennenlernen. Er gehe jeden Tag in die Kirche und dabei sei ihm aufgefallen, dass dem Garten des Klosters etwas Zuwendung gut tun würde. Deshalb hilft er mit.
Alle haben aufgegessen und innerhalb von wenigen Sekunden ist der Tisch im Speisesaal leer und sauber. Jeder packt mit an. Pater Jürgen zieht sich die Schürze an und stellt sich ans Spülbecken. Heute hat er Dienst. In wenigen Minuten ist aber alles wieder an Ort und Stelle. Mich erstaunt, wie schnell die Aufgaben erledigt sind, wenn sie gemeinsam angepackt werden. Als alles sauber ist, genießen Angelika und ich einen Kaffee und Kuchen auf der Terrasse. Pater Robert-Maria gesellt sich zu uns. Und Klaus Schreiber widmet sich wieder dem Garten. Mittlerweile ist es schon 15 Uhr und die Sonne prallt auf das Kloster.
Angelika holt Klaus deshalb ein Glas Wasser und ruft ihn zu uns. „Ach, ich freue mich einfach so sehr, dass ich mich noch bewegen kann“, erklärt er seinen Tatendrang. Jetzt ruhe er sich kurz aus – aber dann gehe es direkt weiter. Als er aufsteht, gehe ich mit ihm. Verwundert sieht er mich an. „Zu zweit geht es natürlich viel schneller“, sagt er dankend. Ich hole einen Rechen und kehre die alten Blätter vom Boden zu einem Haufen. Mit der Schubkarre fährt Schreiber sie dann immer wieder zum Kompost. Obwohl er selbst keine Gegenleistung für seine Arbeit verlangt, wundert es ihn, dass ich ihm einfach so freiwillig helfe. Schreiber ist kein gelernter Gärtner „aber für die Dinge, die ich hier tue, braucht man auch keine Ausbildung“, sagt er. Während der Gartenarbeit schweigen wir viel. Die Arbeit beruhigt und beseelt mich ein wenig, eine Art Meditation, nur viel sinnvoller.
Den ganzen Tag über habe ich Dinge für die Gemeinschaft und in der Gemeinschaft getan. Und am Ende vom Tag fühlt sich das so wichtig an. Ich war für alle eine Fremde, die sie herzlich in ihren Alltag aufgenommen haben. Und alles was ich getan habe, wurde wertgeschätzt. Jedes geschälte Obst, jedes aufgesammelte Blatt und jede Minute, die ich ihnen von meiner Zeit geschenkt habe.
Info: Weitere Bilder gibt’s unter bruhrainer-zeitung.de
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