Schwetzingen. Der Diskurs rund um den Islam und die Muslime ist in den vergangenen Monaten rauer geworden. In einem beachtlichen Teil der Gesellschaft gelten Muslime als Risiko und Quelle von Gewalt. Und natürlich ist das vor dem Hintergrund der Anschläge der jüngsten Zeit erst einmal nicht wirklich überraschend.
Zugleich, und das machte der Neujahrsempfang der Ahmadiyya Gemeinde Schwetzingen im Josefshaus überdeutlich, verkrümme sich der Diskurs dadurch in ein hetzerisches wir gegen sie. Was am Ende jede Gesellschaft zerreiße. Und genau dagegen wenden sich die Gläubigen der Ahmadiyya Gemeine mit aller Kraft. Denn sie verstehen sich selber als ein Pfeiler im Fundament dieser Gesellschaft.
Ein Eindruck davon vermittelte ein Plakat, das die Gläubigen am Eingang zum Josefshaus aufstellten. „Ein wirklicher Muslim, dem die Lehren seines Glaubens bewusst sind, wird sich immer aufrichtig und loyal dem Land gegenüber verhalten, unter dessen schützenden Schatten er in Frieden lebt.“ Ein Statement, das Schwetzingens Oberbürgermeister (OB) Matthias Steffan genauso überzeugte wie den Hockenheimer Oberbürgermeister-Stellvertreter Jochen Vetter, den Oftersheimer Bürgermeister Pascal Seidel, den Ketscher Bürgermeister Timo Wangler und auch den Staatssekretär aus dem baden-württembergischen Umweltministerium, Dr. Andre Baumann.
Neujahrsempfang in Schwetzingen: Die Geschichte der Ahmadiyya Gemeinde
Nach einer kurzen Rezitation aus dem Koran, mit der deutlich wurde, dass der wahre gläubige Muslim sich für die Schwachen und Beladenen einzusetzen habe, skizzierte der Moderator des Abends, Alim Ahmad Bhatti, die Entstehungsgeschichte dieser islamischen Reformbewegung. Gegründet wurde die Ahmadiyya Muslim Jamaat von Mirza Ghulam Ahmad in den 1880er-Jahren in Indien. Wie für alle Muslime sind Koran, Sunna und Hadith feste Orientierungspunkte. Hinzukommen aber noch die Schriften des Gründers, die von den Mitgliedern eine klare Hinwendung zu Liebe und Gerechtigkeit fordern.
In Deutschland, wo sich rund 53.000 Menschen zu Ahmadiyya bekennen und in 285 Gemeinden organisiert sind, sind sie vor allem mit dem Slogan „Liebe für alle, Hass für keinen“ bekannt. Und was das bedeutet, machte Bhatti mit einem kleinen filmischen Rückblich deutlich.
Von Müllsammel-Aktionen nach Silvester und regelmäßigen Dialog-Aktionen über die Speisung von Obdachlosen und dem Schutz des von Terror bedrohten Kölner Doms bis zu weltweit organisierten Hilfsaktionen für die Ärmsten der Armen, bemühen sich die Mitglieder der Ahmadiyya um ein Fundament für eine anständige Gesellschaft.
Wie die Ahmadiyya Gemeinde Schwetzingen zum Krieg in Gaza steht
Eine Gesellschaft, in der der erste Artikel des Grundgesetzes über die Unantastbarkeit der Würde des Menschen in Gänze gelebt werde, bedeute für ihn, dass sich die Gläubigen für die Geiseln der Hamas genauso einsetzen müssen, wie für die unschuldigen Opfer des Krieges in Gaza. Als große Gefahr für den gemeinschaftlichen Zusammenhalt identifizierte der aktuelle spirituelle Führer Mirza Masroor Ahmad die massiv zunehmende Ungleichheit. Ab einer gewissen Dimension bedeute Ungleichheit immer gesellschaftliche Instabilität. Und das bedeute am Ende immer Leid für viele.
Eine Einschätzung, so der Schwetzinger Ortsvorsitzende Ehsan Ranjah, die auch hier in der Region gelte. Weshalb sich die rund 250 Mitglieder auch dafür einsetzen, dass die Starken die Schwachen unterstützen. Es scheint, als hätten sie die Schrift „Theorie der Gerechtigkeit“ des amerikanischen Politphilosophen John Rawls aus dem Jahr 1979 mit dem Koran verknüpft.
Auch dessen Kernbotschaft mündet in dem Schluss, dass gesellschaftlicher Zusammenhalt nur zu gewährleisten sei, wenn der Staat so organisiert sei, dass die Starken für die Schwachen einstehen. Und genau deswegen, so OB Steffan, erfülle es ihn mit Stolz, Teil einer Stadt zu sein, die eine so lebendige und engagierte muslimische Gemeinde beherberge. Ihre Werte von Frieden, Nächstenliebe, Toleranz und Respekt seien nicht nur Worte, sondern Grundlage für ein anständiges miteinander.
Ahmadiyya Gemeinde Schwetzingen zu Migrationsdebatte: Keine Unterschiede machen
Zum Schluss des förmlichen Teils wandte sich der Ahmadiyya-Bundesvorsitzende Abdullah Uwe Wagishauser an die rund 60 Gäste des Neujahrsempfangs. Die Welt, das sei angesichts der vielen Kriegen und Krisen kaum zu verhehlen, sei gerade kein so schöner Ort und Verzweiflung daher auch durchaus nachvollziehbar. Nicht aber für die Mitglieder der Ahmadiyya Gemeinde. Geborgen in Gott liege im ständigen Handeln und Bemühen Sinn und Trost. Gott komme dabei eine elementare Rolle zu. Denn ohne ihn sei die Welt eine Ansammlung von vergänglichen Dingen. Bedeutung erlange die Welt nur durch das Sein Gottes.
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Und auf Gott beruft sich Wagishauser auch bei seinem Diktum, dass Gewalt niemals von Gott kommen könne und diese daher von Schwäche zeuge. Und das gelte immer, für die Terrororganisation Hamas genau wie für die israelische Regierung. Das Völkerrecht werde von beiden Seiten missachtet. Am Ende, und da blickte er auch auf die Asyldebatte in Deutschland, dürfe es keine Grenze oder Mauer zwischen Christen, Muslimen und Juden geben, auch nicht zwischen Geflüchteten und Einheimischen. Die einzige legitime Grenzziehung sei die zwischen Menschenfreunden und Menschenhassern.
Ahmadiyya Gemeinde Schwetzingen erntet im Josefshaus großen Applaus
Und eine weitere, das überraschte hier doch etwas, sei die zwischen der Religion und des Staates. Die Trennung von Staat und Religion, kurz der Säkularismus, sei ein Segen für Gemeinschaften. Auch hier gelte, dass sich beide gegenseitig korrumpieren und derart verkrümmen, dass sie anständige Gesellschaften verunmöglichen. Es gab viel Applaus und das völlig zurecht.
Etwas getrübt wurde die Veranstaltung lediglich durch das für das nicht-muslimische Auge fremd wirkende Segregieren der muslimischen Frauen im hinteren Teil des Saals. Sie tun es nach eigenem Bekunden, weil sie gerne unter sich sind. Aber ungewohnt wirkte es auf einige der Gäste hier trotzdem.
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