Messen die beiden Blitzer, die in Schwetzingen stehen, fehlerhaft? Seit Mittwoch um Mitternacht steht diese Frage im Raum, denn da konnten die Zuschauer von "Stern TV" von zwei Fällen erfahren, in denen Autofahrer trotz entsprechender Blitzerfotos mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit, die in einem Fall mit einem Punkt in Flensburg und in einem anderen sogar mit zwei Monaten Fahrverbot geahndet wurden, von Amtsrichtern freigesprochen wurden. Beide Fälle spielten nicht in Schwetzingen, aber der eine Freispruch erfolgte in Mannheim und dabei erwähnte der Rechtsanwalt im TV-Studio bei RTL auch einen Freispruch in Schwetzingen, was uns natürlich hellhörig machte.
Der Fall bestätigte sich gestern bei weiteren Recherchen, die unsere Zeitung angestellt hat. Im Gespräch mit Rechtsanwalt Bernd Goecke aus Westhofen, ein Fachanwalt für Verkehrsrecht, der auch die Homepage www.lappenweg.de betreibt, schildert dieser den Schwetzinger Fall, der nach seinen Angaben vergangenen Montag hier vor dem Amtsgericht bei Einzelrichterin Barbara Bartelmus mit einem Freispruch endete: "Mein Mandant, ein Mannheimer Unternehmer, war auf der B 36 gegenüber von Möbel Höffner auf Schwetzinger Gemarkung unterwegs und wurde dort geblitzt. Er war sich aber sicher, nicht zu schnell gefahren zu sein. Gemessen wurde mit einem mobilen Gerät der Marke Poliscan Speed der Polizei. Deshalb sind wir in Widerspruch gegangen", sagt Goecke.
Als Verteidiger habe man dann Akteneinsicht beantragt, aber statt die zu bekommen, sei gleich ein Gutachter beauftragt worden, der dann erst vor Gericht seine Zahlen präsentiert habe. Das Gerät dürfe laut Zulassung nur in einem Abstand zwischen 20 und 50 Metern seine Daten per Laserstrahl erfassen. Er habe dann das vorgelegte Gutachten nachgerechnet, so Goecke, und sei darauf gekommen, dass hier bis zu einer Entfernung von 19,38 Metern gemessen worden sei. Fehler seien somit nicht ausgeschlossen. Daraufhin habe die Richterin den Mandanten glasklar freigesprochen. Zumal hier sogar die Daten des Gutachters zu einem anderen Wert kamen als die im Blitzerfoto ausgedruckte Geschwindigkeit.
"Gegen Bescheide vorgehen"
Für Goecke ist dies nur ein Fehler unter vielen. Aus seiner Sicht - und die bestätigte auch im "Stern-TV"-Film ein Gutachter, der früher selbst Polizist war und solche Messungen durchgeführt hatte - seien die Geräte mit einer Software versehen, die solche fehlerhaften Messungen zulasse und eigentlich stillgelegt werden müssten. Das tun aber weder die Kommunen noch die Besitzer der mobilen Messgeräte und riskieren damit bewusst, dass Messungen nicht korrekt durchgeführt werden. Goecke empfiehlt daher, gegen Bußgeldbescheide vorzugehen, wenn die Messungen von Poliscan- Speed-Blitzern durchgeführt wurden.
Zwei dieser Geräte stehen übrigens auch in Schwetzingen - in der Zähringerstraße und an der Aus- und Einfahrt zwischen B 535 und Carl-Theodor-Brücke in der Nähe des neuen Aldi-Marktes. Anschaffungskosten 2011: zirka 86 000 Euro. "Die Software ist genau die gleiche wie beim mobilen Gerät, für das wir einen Freispruch bekommen haben. Das Problem ist, dass die Daten nicht komplett für ein Gutachten festgehalten werden", sagte bei der TV-Sendung sein Anwaltskollege Dieter Anger. Vor dem Amtsgericht Mannheim sei sogar ausdrücklich im Urteil festgestellt worden, dass die Poliscan-Speed-Geräte anders messen, als in ihrer eigenen Bauzulassung angegeben und vom TÜV genehmigt.
Klar, dass wir bei der Stadt Schwetzingen nachgefragt haben, ob es bei so einer unklaren Rechtsanlage überhaupt noch Sinn macht, die beiden Blitzer weiterhin in Betrieb zu halten. Zudem wollten wir wissen, wie viele Bescheide aus den Messungen der Geräte im Jahr 2016 resultieren und ob womöglich der Hersteller für im Falle eines Defektes entstehenden Ausfalls von Bußgeldern haften müsste.
"Geräte sind in Ordnung"
Die Antwort kam dann auch über den Pressesprecher der Stadt, Wolfgang Leberecht, der sich mit Ordnungsamtsleiter Pascal Seidel zusammensetzte. "Die Frage nach der technischen Richtigkeit der Messung kommt alle paar Jahre in der Presse wieder auf, die Sachlage dazu hat sich aber aus unserer Sicht nicht verändert", lautet der grundlegende Tenor der beiden zum Thema.
Und: "Der von Ihnen beschriebene Fall betraf nicht Stadt, sondern eine Messung durch das Land. Wir können dazu natürlich nichts Näheres sagen. Eine auffällige Zunahme an Einsprüchen ist nicht zu verzeichnen. Ebenso gibt es keine Gerichtsverfahren, in denen die Stadt bezüglich ihrer Entscheidung in dem dargestellten Sinn korrigiert wurde", heißt es seitens der Stadt weiter.
Die beruft sich bei der technischen Eignung und Richtigkeit der Messungen auf eine Prüfung "durch die für die Zulassung zuständige Physikalisch-Technische Bundesanstalt Braunschweig-Berlin (PTB)". Diese fand zuletzt im Dezember 2016 "unter Prüfung aller Aspekte" statt und wurde "nochmals schriftlich bestätigt". Der Tenor des Gutachtens lautet demnach: "Unveränderte Gültigkeit der Bauartzulassung zur Eichung des Laserscanner-Geschwindigkeitsüberwachungsgerätes Poliscan Speed der Firma Vitronic". Zudem ergingen mit dem Schreiben klarstellende Hinweise zur richtigen Anwendung, die bei der Stadt aber stets beachtet wurden, heißt es weiter. Ergo: Hier sieht die Stadt keinen Handlungsbedarf, die Geräte abzuschalten oder den Hersteller für vermeintliche Defekte haftbar zu machen.
Amtsleiter Seidel liefert noch Fallzahlen - also Geschwindigkeitsverstöße - von 2016 und Einnahmen an den beiden festen Standorten: So waren im Vorjahr in der Zähringerstraße 377 Einnahmen zu verzeichnen, die 7510 Euro einbrachten. Der Blitzer an der Carl-Theodor-Brücke/Ecke August-Neuhaus-Straße löste 5390 Mal aus und spülte 90 510 Euro in die Kasse.
Hintergrund
Laut Kraftfahrt-Bundesamt gehören Geschwindigkeitsüberschreitungen gehören zu den häufigsten Ordnungswidrigkeiten im Verkehrsrecht. Dabei spielen so genannten Poliscan-Speed-Blitzer eine Rolle. Sie kamen in den Verruf, falsche Daten zu liefern.
Durch den Beschluss vom Amtsgericht Mannheim kann nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass alle Messungen des Poliscan- Speed falsch sind. Einzelfallprüfungen sind erforderlich. Ein Sachverständiger muss die Rohdaten auswerten und mit der Bauartzulassung vergleichen. Ein Anwalt muss beauftragt werden. (Quelle: www.busgeldbescheid.org)
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/schwetzingen_artikel,-schwetzingen-blitzer-debakel-saeulen-sollen-falsch-messen-_arid,991575.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/schwetzingen.html