Rhein-Neckar. Nicht erst seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine und den danach explodierenden Energiepreisen ist Geothermie in den Fokus gerückt. Mehrere Unternehmen in der Metropolregion suchen aktuell nach geeigneten Plätzen, um die unterirdischen heißen Quellen anzuzapfen. Ob die Goldgräberstimmung in der Branche begründet ist und welche Risiken diese Form der Energiegewinnung birgt, verrät der Seismologe Andreas Rietbrock, Professor am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), im Interview.
Herr Professor Rietbrock, aktuell herrscht in der Energiebranche geradezu eine Goldgräberstimmung. Mindestens drei Unternehmen (Vulcan, GeoHardt, Stadtwerke Schifferstadt und Speyer) wollen Geothermie in der Metropolregion nutzen, um Fernwärme und Strom zu produzieren. Ist denn die Region tatsächlich eine Gegend, in der sich Geothermie gut nutzen lässt?
Andreas Rietbrock: Wir haben hier definitiv viel Erdwärme. Es gibt eine geothermische Anomalie im Untergrund. Im Oberrheingraben findet sich eine aktive tektonische Grabenstruktur. Hier steigt sehr viel Wärme aus dem tiefen Erdinneren bis in die obere Erdkruste auf.
Wie tief muss man bohren, um an die heißen Quellen zu kommen?
Rietbrock: Manche Geothermievorhaben wollen nur in den Buntsandstein. Viele wollen aber auch ins kristalline Grundgebirge.
Kann man das in Metern festmachen?
Rietbrock: Es gibt keine klar definierte Oberkante. Die Tiefe des Grundgebirges im Oberrheingraben beginnt zwischen 2000 und 4000 Metern. Das ist mit 3-D-Modellen sehr gut belegt.
Andreas Rietbrock
- Der Geophysiker ist Institutsleiter und Studiendekan des Instituts für Allgemeine Geophysik am Karlsruher Institut für Technologie. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Erdbebenseismologie und Vulkanseismologie.
- Sein Forschungsbereich „Naturgefahren und Risiken“ beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit geologischen und geophysikalischen Naturgefahren, der Quantifizierung ihrer Auswirkungen, mit ihrer Prognose und Frühwarnung.
- Rietbrock forschte und lehrte unter anderem an Universitäten in Berlin, Kyoto (Japan) und Liverpool.
Wo kommt das Wasser da unten her?
Rietbrock: Die Tiefenzirkulation von Wässern im Grundgebirge ist meines Wissens nach noch nicht erforscht. Wir können jedenfalls nicht irgendwo Wasser herauspumpen und es irgendwo in ein anderes Bohrloch wieder reinzukippen, um daraus eine Zirkulation aufzubauen. Dazu kennen wir die Klüftigkeit in dem Gestein viel zu wenig. Da ist noch ein großer Forschungsbedarf vorhanden.
Wie heiß ist das Wasser da unten und warum ist es so heiß?
Rietbrock: Wenn wir bis in den Erdkern heruntergehen, finden wir dort auch geschmolzenes Metall, hauptsächlich Eisen. Dort herrschen Temperaturen von 6000 bis 7000 Grad Celsius. Die Temperatur nimmt zur Erdoberfläche hin ab. In den Tiefenwässern befindet sich die Restwärme, die wir noch von der Entstehung der Erde haben. Eine zweite Wärmequelle kommt von radioaktiven Isotopen. Beim Verfall dieser Isotope wird Wärme frei. Das sind die beiden Wärmequellen, die wir dort unten haben. Das Wasser ist dort um die 130 bis 160 Grad heiß.
Nun haben die Menschen in der Region, vor allem um Landau herum, schlechte Erfahrungen mit der Geothermie gemacht. Es hat Erdbeben gegeben. Was ist dort denn schiefgelaufen?
Rietbrock: Die zentrale Frage ist, wie tief diese Bohrungen gegangen sind. Wenn man bis an die Kante des Grundgebirges herangeht oder sogar hinein, dann kann man durch die aktive Tektonik des Oberrheingrabens Erdbeben auslösen. Wir befinden uns nun mal in einer Erdbebenregion. Das lässt sich historisch belegen. Im Jahr 1356 hat ein Erdbeben mit einer Magnitude von sechs bis sieben die Stadt Basel komplett zerstört. In Rastatt vor dem Rathaus steht der Alexius-Brunnen, der dem Schutzheiligen gegen Erdbeben und Unwetter gewidmet ist. Er wurde 1739 gebaut, nachdem zwischen 1723 und 1728 eine Bebenserie mit Magnitude sechs stattgefunden hat. Magnitude sechs ist etwa die Größenordnung, die wie auch 2009 im italienischen L’Aquila ganze Städte zerstören kann.
Die Unternehmen haben erklärt, dass sie nicht in das harte Grundgebirge bohren wollen, sondern in die weicheren Schichten darüber. Ist das ein entscheidender Faktor bei der Geothermie für die Gefahr, Erdbeben auszulösen?
Rietbrock: Das wird so im Augenblick gesehen. Wenn ich nur bis in die Sediment-Gesteine wie Buntsandstein hineingehe, dann sollte sich das Potenzial reduzieren. Jeder hat wohl schon ein Wasserspiel gesehen, wo eine schwere Granitkugel sich leicht auf einer Wasseroberfläche drehen kann. Dabei wird von unten sehr viel Wasserdruck aufgebaut, der das Gewicht dieser Kugel hält. Wenn wir Wasser in die Erde pumpen, machen wir ungefähr dasselbe. Wir erniedrigen die Reibung auf diesem harten Grundgebirge. Damit wird aufgestaute Spannung abgebaut - und zwar über Erdbeben. Sobald ich Wasser in das Grundgebirge eintrage, wächst das Potenzial, Erdbeben auszulösen. Das Frustrierende ist, dass Forschungseinrichtungen in seismologische Fragen selten eingebunden sind.
Die Unternehmen fragen also nicht nach der wissenschaftlichen Expertise?
Rietbrock: Zum Teil, aber nicht überall. Wir befinden uns eben immer noch auf den Stand der Grundlagenforschung. Ich will auch nicht sagen, dass Geothermie schlecht ist. Jede Energieform birgt ihre Risiken. Wie wir jetzt wissen, müssen wir nach allen möglichen Energieformen suchen, um uns unabhängiger zu machen. Da kann die Geothermie einen wichtigen Beitrag leisten. Man sollte aber aufpassen, dass man mit den Bohrungen nicht zu nah die Städte heranrückt und sich vor allem langsam in die Tiefe vorantastet.
Was sollten Unternehmen tun, um Geothermie voranzubringen?
Rietbrock: Bürgerinnen und Bürger haben Erdbeben gefühlt. Das hat die Geothermie bislang in Verruf gebracht. Damit muss man aktiv umgehen. Jeder Betreiber sollte auf die Kommunem zugehen und sagen: ,Ja, wir wollen diese grüne Technologie nutzen, die uns unabhängig von fossilen Energiearten macht. Aber der Nebeneffekt kann sein, dass Sie vielleicht ab und zu mal ein Beben spüren.’ Diese Akzeptanz müssen wir langsam in der Bevölkerung aufbauen. Es gibt nun mal keine risikofreie Energieform.
Und wer garantiert beispielsweise Hausbesitzern, dass die Erdbeben nicht so stark sind, dass ihr Eigentum beschädigt wird?
Rietbrock: Ich sehe den Konflikt. Deshalb sage ich ja, dass wir uns langsam herantasten müssen. Es gibt in Bruchsal ja auch ein Geothermiekraftwerk, das einigermaßen gut funktioniert. Was noch nicht ausreichend genutzt wird, ist die sogenannte flache Geothermie. Bei Wärmepumpen beispielsweise sollte ein massiver Ausbau stattfinden. Wenn’s ins kristalline Grundgestein geht, hätte ich Bauchweh. Eine oberflächennahe Nutzung könnten wir dagegen ganz schnell angehen.
Was heißt oberflächennah?
Rietbrock: Im Bereich von Hunderten von Metern.
Verschiedene Unternehmen wollen die Geothermie auch nutzen, um den wertvollen Rohstoff Lithium zu schürfen, der vor allem für die E-Mobilität interessant ist. Im Oberrheingraben soll angeblich das größte Lithium-Vorkommen schlummern. Stimmt das?
Rietbrock: Ja, Lithium ist hier gefunden worden. Die Kollegen hier am KIT haben 270 Milligramm Lithium pro Liter extrahiert. Das ist schon eine interessante Rohstoff-Quelle.
Unterm Strich: Ist die Goldgräberstimmung der Energieunternehmen in Sachen Geothermie begründet? Kann die Geothermie einen entscheidenden Teil unseres Energiehungers stillen?
Rietbrock: Interessant ist vor allem die Nutzung der flachen Geothermie. Aber Geothermie alleine wird den Energiehunger nicht stillen können. Und wir dürfen bei allem nicht vergessen, dass wir im Oberrheingraben in einer tektonisch aktiven Zone leben.
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