Schwetzingen/Mannheim. Der Schwetzinger Siegfried Kollmar (59) ist der neue Polizeipräsident des Präsidiums in der Metropolregion Rhein-Neckar. Im Interview mit dieser Zeitung spricht der Nachfolger von Andreas Stenger, der zum 1. Mai 2021 nach Stuttgart gewechselt war und dort die Leitung des Landeskriminalamts Baden-Württemberg übernommen hatte, über künftige Herausforderungen, auch speziell im Dienstgebiet in Mannheim, über die Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz sowie über seine Strategie.
Herr Kollmar, ständig vor Ort sein, und viel Polizeipräsenz: Das war die Strategie von Ihrem Vorgänger Andreas Stenger. Was unterscheidet Sie von ihm?
Siegfried Kollmar: Das sollen bitte andere beurteilen. Ich habe eine eigene Persönlichkeit und Vita. Die Menschen im Rhein-Neckar-Kreis, Heidelberg und Mannheim kennen mich sehr gut – und ich kenne hier alles sehr gut. Auch durch die vier Jahrzehnte Polizeiarbeit, die ich in Mannheim und Heidelberg verbracht habe. In der Haltung Polizeipräsenz und Sicherheit im öffentlichen Raum ticke ich exakt so wie mein Amtsvorgänger, der hier einen hervorragenden Job gemacht hat.
Und Ihre Strategie?
Kollmar: Ich will das fortführen, was schon erfolgreich ist. Etwa die Ermittlungsgruppen (EG) Eigentum, Rauschgift oder Poser. Generell bin ich seit drei Jahren Vizepräsident und war also schon vorher an der Leitung des Polizeipräsidiums beteiligt. Deshalb besteht für mich jetzt keine Notwendigkeit, alles ändern zu müssen. Zwar steht Kontinuität für mich an erster Stelle, aber Stillstand ist Rückschritt. Deshalb sind neue Dinge wie die neue Koordinierungsstelle Häusliche Gewalt sehr wichtig. In den kommenden zwei Jahren würde ich gerne in Heidelberg die Einrichtung eines Pendants zum Mannheimer Haus des Jugendrechts und der EG Rauschgift auf den Weg bringen – das war ist eine Herzensangelegenheit von mir.
Während der Pandemie waren so viele Polizisten wie nie zuvor unterwegs. Manche Bürger wünschen sich das weiterhin. Ist das realistisch?
Kollmar: Ich wünsche mir das auch. Es kommt aber darauf an, wie sich die Kriminalitätslage weiterentwickelt. Hohe Präsenz, Bürgernähe und Ansprechbarkeit sind unsere Kernpunkte – und mir ein persönliches Anliegen. Ich bin schließlich selbst hier aufgewachsen, gehe abends gerne aus in der Region. Da sollte die Polizei ein adäquater Ansprechpartner für alle sein.
Auf der Neckarwiese in Heidelberg gab es wegen der Krawalle ein Aufenthaltsverbot. Wäre das auch für den Jungbusch denkbar?
Kollmar: Das denke ich nicht. Noch haben die Clubs nicht wieder auf, aber die Leute gehen trotzdem aus. Erfreulicherweise konnten die Beamten in diesem Jahr im Jungbusch gut einschreiten, ohne große Eskalationen. Dass dort uriniert, lautstark gefeiert und Müll weggeworfen wird, wo andere wohnen, das können wir als Polizei aber nicht lösen. Die Feierenden können wir schließlich nicht einfach verjagen, die Anwohner leben dort. Da muss ein vernünftiger Ausgleich jenseits des Aufenthaltsverbots gefunden werden.
Wie könnte der denn aussehen?
Kollmar: Wir sind mit der Stadt Mannheim in intensivem Dialog und stimmen Maßnahmen gemeinsam ab. Die aus meiner Sicht hervorragend arbeitenden Nachtschichtler vermitteln und versuchen, die vorgelagerten Interessen zu lösen, bevor die Polizei kommt. Da sind viele Instrumente, die helfen und von der Stadt eingebracht und nachgesteuert wurden.
Also zeigt die Zusammenarbeit mit der Nachtschicht Wirkung?
Kollmar: Absolut. Sie sprechen die Leute noch mal anders an.
In Heidelberg gibt es zwar keine Nachtschicht, dafür die Neckarvorlandsatzung: Ab 22 Uhr ist hier kein Lärm mehr erlaubt. Sind da nicht Diskussionen programmiert?
Kollmar: Wir gehen mit Fingerspitzengefühl ran. Sie werden aufgrund der Neckarvorlandsatzung keine Polizei erleben, die nur wegen der Uhrzeit einschreitet. Denn man muss ganz klar zwischen normalem Verhalten und lautstarkem Feiern unterscheiden. Wenn Leute dort sitzen und sich unterhalten, dann müssen das auch die Anwohner akzeptieren. Was sie nicht akzeptieren müssen, sind aufgedrehte Musikboxen bis zum Anschlag. Man muss auch zwischen Recht und Unrecht unterscheiden. Recht ist, dass Jugendliche ihren Freiraum brauchen und auch mal über die Stränge schlagen dürfen. Unrecht ist, wenn jemand einen E-Scooter nimmt und auf ein Corona-Testzentrum wirft. Da muss jedem klar sein, dass wir einschreiten. Abifeiern und Betrunkene lassen sich bei allen Appellen nicht verhindert. Das besorgt mich aber auch nicht, sondern wenn jemand ein Messer zieht oder gewalttätig wird.
Wie bei den Krawallen auf der Neckarwiese. Ist schon bekannt, wer die Störenfriede waren? Woher kommen sie?
Kollmar: Die meisten kamen mehrheitlich nicht aus Heidelberg. Die Ausschreitungen sind in eine Zeit gefallen, in der wegen der Pandemie alles geschlossen war. Da haben viele über soziale Medien wie Instagram und Tiktok erfahren, dass auf der Neckarwiese Feiern möglich sind. Es wurde auch konkret zu Krawallen aufgerufen. Das war in der Nacht das große Problem. Viele sind zielgerichtet dorthin gefahren. Ein Nutzer hatte sogar gefragt, ob es sich lohnt, sieben Stunden von Hamburg aus nach Heidelberg zu fahren!
Krawalle hat es auch in Mannheim bei einer Pro-Palästina-Demo gegeben. Israel-Flaggen wurden verbrannt, Polizisten beleidigt. Gibt es hier extremistische Gruppierungen, die Stimmung gegen Juden oder Israel machen?
Kollmar: Bis dato nicht. Ich muss sagen, mich hat die Demo, in ihrer Dimension und wie sie dann verlaufen ist, persönlich bewegt. Es gab 28 Straftaten, über 300 Ordnungswidrigkeiten. Das ist nicht zu tolerieren. Das war aus meiner Sicht aber ein Ausreißer. Schließlich ist Mannheim ein Paradebeispiel für gelebte Vielfalt. Es gibt es hier sogar die Mannheimer Erklärung zum friedlichen Zusammenleben. Die ist einzigartig und wie ich finde großartig. Deswegen war ich schon überrascht, dass solche Ausschreitungen hier möglich sind. Auf der Demo waren auch unterschiedliche Gruppen dabei, die untereinander aneinandergeraten sind. Das war eine ganz komische Situation. Ich war selbst stundenlang dort.
Der Verfassungsschutz wusste im Vorfeld, dass Extremisten zur Demonstration anreisen würden. Wie geht man in Zukunft damit um?
Kollmar: Hinter dieser Frage steckt doch immer der Vorwurf: Habt ihr denn nicht gewusst, dass solche Gewalttäter kommen? Die Antwort lautet klar: Das hat keiner gewusst. Selbst wenn jemand dabei ist, der in der Vergangenheit auffällig war, braucht es konkrete Erkenntnisse über geplante Straftaten. Und das war in dieser Form nicht bekannt, denn sonst hätten wir auf jeden Fall drei Hundertschaften mehr zusammengezogen.
Also funktioniert die Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz?
Kollmar: Wir arbeiten immer eng mit dem Verfassungsschutz zusammen. Der Informationsaustausch ist da. Es gibt aber auch verfassungsrechtliche Grenzen. Bei jeder politisch orientierten Demo wird alles überprüft, Erkenntnisse gesammelt, das Internet ausgewertet. Wir tun alles, um alle Hinweise zu sammeln, und erstellen dann eine Lagebewertung. Je nach Lage ziehen wir dann Einsatzkräfte zusammen. Letztendlich haben wir unter den gegebenen Umständen die Ausschreitungen auf der Demo ordentlich bewältigt. Aber selbst mit mehr Kräften hätten wir nicht alles verhindern können. Mit den Ermittlungsergebnissen rechnen wir nächste Woche.
Etwas in den Hintergrund gerückt ist das Pilotprojekt Videoüberwachung in Mannheim. Haben die Algorithmen schon geholfen, Straftaten aufzuklären?
Kollmar: Das haben sie. Damit konnten eine hohe Anzahl an Straftaten aufgedeckt werden. Aktuell sind an 27 Standorten 68 Kameras aktiv. Auf zwei Drittel davon läuft bereits die neue Software, die Aktivitäten erkennen kann. Noch gibt es dabei eine relativ hohe Fehlerquote, unsere Beamten müssen noch viel selbst beobachten. Aber das Programm schreitet massiv voran. Die Algorithmen lernen immer noch, sie müssen schließlich unterscheiden zwischen einem Schlag und einem Winken. Heute sind sie noch nicht so weit, dass sie allein laufen.
Manche sehen die Videoüberwachung sehr kritisch ...
Kollmar: Es steht ein ganzes Datenschutzkonzept dahinter, das bewusst von der Gesichtserkennung absieht. Dafür wird viel Aufwand betrieben, Daten regelmäßig gelöscht. Wo die Polizei filmen darf, ist sogar gesetzlich vorgeschrieben – nämlich nur an Kriminalitätsschwerpunkten. Wenn die Algorithmen erst mal voll funktionsfähig sind, ist das ein riesen Schritt nach vorne. Da ist Mannheim Vorreiter für viele Städte. Wer nicht gefilmt werden will, der kann gut ausweichen. Das tun auch sicherlich Kriminelle. Es gibt ja sogar Schilder, die den Bereich der Kameras ausweisen. Das ist gewollt, schließlich soll es die Sicherheit im öffentlichen Raum verbessern. Wer im Streit gewalttätig wird oder andere beklaut, der achtet nicht auf Kameras – so können solche Straftaten aufgeklärt werden.
Was tut die Polizei, damit sich Frauen und Mädchen nachts alleine sicher fühlen, jetzt wo das Mannheimer Frauennachttaxi eingeschränkt wird?
Kollmar: Wir haben das Programm „Sicher unterwegs“. Das soll dabei helfen, sich sicherer zu fühlen. Da gibt es Verhaltenstipps: Frauen können sich auf dem Nachhauseweg mit dem Notrufbutton des Handys mit einem Klick mit dem Lagezentrum der Polizei verbinden lassen. Oder, falls etwas passiert, nicht den Freund oder die Freundin anrufen, sondern direkt die 110. Vieles läuft auf der Gefühlsebene ab. Objektiv ist es in Mannheim sehr sicher. Trotzdem ist aber auch klar: Jeder Vorfall ist einer zu viel. Ich will nicht, dass Frauen Angst haben, nachts unterwegs zu sein.
In Mannheim startet bald der Modellversuch autofreie Innenstadt. Bekommt man so das Problem mit den Posern und den illegalen Autorennen in den Griff?
Kollmar: Ich bin mir ziemlich sicher, dass es sich zunächst verlagern wird. Die Szene löst sich ja nicht einfach auf. Wir reagieren natürlich auf Ortswechsel und versuchen, auch dort das Phänomen einzudämmen, indem wir Führerscheine und Fahrzeuge konsequent beschlagnahmen. Die Sperrungen in Mannheim helfen trotzdem, denn die Poser wollen vor Publikum Eindruck schinden. Wir müssen immer wieder Nadelstiche setzen – und dann wird es auch besser. Wir haben sowohl in Mannheim als auch in Heidelberg eine Ermittlungsgruppe Poser. Falls wir aber noch eine dritte brauchen, reagieren wir auch hier.
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