Im Interview

Der Schwetzinger Thomas Bührke schreibt über die Verfolgten der Wissenschaft

Der Schwetzinger Astrophysiker und Wissenschaftsjournalist Dr. Thomas Bührke liest am Dienstag, 4. Oktober, im Palais Hirsch aus seinem neuen Buch.

Von 
Maria Herlo
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Dr. Thomas Bührke liest aus seinem neuesten Buch im Palais Hirsch. © Herlo

Als am 17. Februar 1600 auf dem römischen Campo-de-Fiori-Markt der Scheiterhaufen loderte, waren sich Vertreter der Kirche einig: Derjenige, der hier lebendig verbrannt wird, hatte es nicht anders verdient. Giordano Bruno, so sein Name, war ein ambulanter Ansteckungsherd, der ausgemerzt werden musste, um eine Epidemie des Irrglaubens zu verhindern. Was hat er verbrochen? Bruno war ein Verfechter von Kopernikus, in dessen Weltbild nicht die Erde, sondern die Sonne im Mittelpunkt steht. Bruno ging einen Schritt weiter, für ihn ist der Kosmos ein grenzenloser Raum, in dem es eine Vielzahl von Welten gibt und die Erde zu einem Staubkorn schrumpft. Solch ungeheuerliche Behauptungen passten nicht in die Denkweise der Kirche

Zur Person

Dr. Thomas Bührke (Jahrgang 1956) ist promovierter Astrophysiker und lebt in Schwetzingen. Er arbeitet als Buchautor und Wissenschaftsjournalist.

Er wurde unter anderem mit der Medaille für Naturwissenschaftliche Publizistik der Deutschen Physikalischen Gesellschaft 2013 geehrt. sz

Neben Giordano Bruno holt der promovierte Astrophysiker Thomas Bührke sieben weitere geniale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in seinem kürzlich erschienenen Buch „Die Verfolgten“ ins Rampenlicht. Allesamt haben sie Bahnbrechendes geleistet, das bis heute nachwirkt, und allesamt wurden sie Opfer politischer oder gesellschaftlicher Repressalien. Anhand der Lebensgeschichten von Antoine Laurent de Lavoisier, von Jean Sylvain Bailly und von Lew Landau, zeigt der Autor auf, wie Ausnahmepersönlichkeiten geächtet, eingesperrt oder gar getötet wurden. Die Physikerin Lise Meitner, die geniale Mathematikerin Emmy Noether und der berühmteste Wissenschaftler der Geschichte, Albert Einstein, waren Opfer des Nationalsozialismus und Alan Turing, Vordenker der Künstlichen Intelligenz, wurde wegen Homosexualität in den Suizid getrieben.

Im Vorfeld seiner Lesung, die am Dienstag, 4. Oktober, um 19 Uhr im Palais Hirsch in Schwetzingen in Kooperation mit der Volkshochschule Bezirk Schwetzingen stattfindet, sprachen wir mit ihm über seine Arbeit am Buch, seine Bedeutung und erschreckende Aktualität.

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Herr Bührke, Sie sind Wissenschaftsjournalist und Buchautor in den Bereichen Astrophysik, Raumfahrt und Physik, waren Redakteur unter anderem der Zeitschrift „Physik in unserer Zeit“ und veröffentlichen nebenbei Bücher wie den viel beachteten Band „Einsteins Jahrhundertwerk“, vor Kurzem „Was ist Dunkle Materie“ und im gleichen Jahr nun „Die Verfolgten“. Wie schaffen Sie das?

Dr. Thomas Bührke: Eigentlich arbeite ich schon seit längerer Zeit an diesem Buch. Im Allgemeinen läuft das so ab: Ich schlage einem Verlag das Thema vor, über das ich schreiben möchte. Ist er daran interessiert, schickt er mir den Vertrag zu, wobei ich den Abgabetermin des Manuskripts einhalten muss. Um diesem Druck zu entgehen, machte ich es diesmal umgekehrt. Ich schrieb zuerst das Buch fertig und suchte erst danach einen Verlag. Das erwies sich indes schwieriger als gedacht. Schließlich veröffentlichte es der Klett-Cotta-Verlag, damit bin ich sehr glücklich.

Gab es einen besonderen Anlass, dieses Buch zu schreiben?

Bührke: Im Zuge meiner zahlreichen Recherchen stieß ich auf den Namen Lew Landau. Er war ein genialer sowjetischer Physiker, der 1962 den Nobelpreis bekam. Stalins legendärem Verfolgungswahn fielen nicht nur hervorragende Wissenschaftler zum Opfer, sondern Millionen Menschen im Zuge politischer „Säuberungen“. Lew Landau gehörte einer Gruppe von Freidenkern an und geriet ins Visier des Geheimdienstes. Nur weil ein Kollege sich beherzt für ihn einsetzte, entkam er der Deportation in ein Straflager oder gar der Erschießung. Das war für mich ausschlaggebend, mich mit dem Schicksal weiterer verfolgter Wissenschaftler zu befassen.

Acht Opfer, acht Schicksale, mit Sicherheit könnte man viel mehr aufzählen. Nach welchen Kriterien haben Sie sich für diese entschieden?

Bührke: Die Geschichte der verfolgten Wissenschaftler sollte sich über einen großen Zeitraum erstrecken. Die acht Namen stehen exemplarisch für alle Wissenschaftler, die in den letzten vier Jahrhunderten aus unterschiedlichen Motiven verfolgt und ausgegrenzt wurden. Sie litten unter der Inquisition, dem Großen Terror der Französische Revolution, der Nazizeit, der Stalin-Herrschaft und der Homophobie. Frauen, Wissenschaftlerinnen, waren ebenfalls von der Vertreibungspolitik der Nationalsozialisten betroffen. Auch darauf wollte ich hinweisen.

Anhand des Schicksals von Giordano Bruno zeigen Sie auf, wie die Inquisition alles verfolgte, was nicht in ihr Weltbild passte. Hat die Kirche seither etwas dazugelernt?

Bührke: Es ist ihr nichts anderes übriggeblieben. Längst bestreitet sie die Erkenntnisse der Wissenschaft nicht mehr und hat „Ketzer“ wie Galileo Galilei oder Giordano Bruno rehabilitiert. Über viele Jahre hinweg jedoch diente die Inquisition der Verfolgung und Hinrichtung von Menschen anderen Glaubens, vermeintlichen Hexen und Häretikern. Geklärt wurde die Zahl der Opfer bis heute nicht. Wie schwer sie sich mit der Aufklärung ihrer Schuld tut, sieht man ja heute bei den Missbrauchsfällen.

Wissenschaft ist Wahrheitssuche. Wer sie betreibt, lebt gefährlich. Das war immer schon so. Können die Mächtigen der Welt die Wahrheit nicht ertragen?

Bührke: Die Mächtigen scheren sich nicht um die Wahrheit, es geht ihnen nur um den Machterhalt um jeden Preis. Das erleben wir aktuell mit Erdogan, Putin, Orban. Im Iran gehen Tausende Menschen auf die Straße, um gegen das dortige Terrorregime zu protestieren. Sorge bereitet mir auch der Rechtsruck in Italien. In den etablierten demokratischen Staaten geht es auch nicht immer problemlos zu. Albert Einstein, der vor den Nazis Zuflucht in den USA suchte, wurde wegen angeblicher kommunistischer Umtriebe bespitzelt, wie ich in meinem Buch beschreibe. Ins Visier des FBI gerieten auch Schriftsteller wie Bertolt Brecht oder der Schauspieler Charlie Chaplin. Dieses menschenverachtende Kapitel ging in die Geschichte der USA als McCarthy-Ära ein.

Sie haben sich intensiv mit dem Schicksal dieser Menschen beschäftigt. Was hat das mit Ihnen persönlich gemacht?

Bührke: Es war ein Staunen da, ein Gefühl von Ohnmacht und Fassungslosigkeit. Angesichts ihrer Genialität, ihrer Hingabe für Forschung, fragte ich mich immer wieder: Wie ist so etwas möglich? Wie ist es möglich, dass Menschen anderen Menschen so etwas antun? Und natürlich habe ich mit ihnen gelitten, solche Geschichten zu verarbeiten braucht schon etwas Zeit.

Angesichts dessen, was zurzeit um uns passiert, ist Ihr Buch unglaublich aktuell und wird es bleiben, solange Wissenschaftler, Schriftsteller, Künstler aufgrund von Herkunft, politischer Überzeugung, verfolgt, vertrieben und getötet werden.

Bührke: Ja, das ist so. Man muss sich nur vor Augen führen, wie Präsident Erdogan angebliche Unterstützer des Putschversuchs verfolgt, eingesperrt und vom öffentlichen Dienst entlassen hat oder wie Putin mit seinen Kritikern umgeht. Berühmtes Beispiel ist Nawalny, den er zu töten versuchte. Man könnte unendlich viele Beispiele aufzählen.

Vielleicht zum Schluss noch die Frage: Womit werden Sie Ihre Leser demnächst überraschen?

Bührke: Das ist ein gute Frage. Tatsächlich habe ich schon überlegt, einen weiteren Band zu veröffentlichen, der sich mit berühmten „Tätern“ in der Wissenschaft befasst. Denn wo es „Opfer“ gibt, gibt es auch „Täter“.

Freie Autorin

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