Konzert

Die Ärzte spielen im falschen Bundesland

Die Norweger LÜT und Drangsal eröffnen das Open Air auf dem Mannheimer Maimarktgelände. Doch als Die Ärzte um 18 Uhr die erste Vorgruppe ankündigen, kommt es zu einem Fauxpas und aus dem wird ein Running Gag

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Open Air Luet aus Norwegen eröffnen das Ärzte-Konzert. © Thomas Tröster

Mannheim. Ein gut gewähltes längeres Vorprogramm hat bei Open Airs große Vorteile: Die Anfahrt der Massen entzerrt sich und verläuft dementsprechend entspannt. So wie bei den Toten Hosen vor sechs Wochen bewährte sich das Verfahren auch am Sonntag beim Mini-Festival der Ärzte. Gegen 17 Uhr sind  fast die Hälfte der erwarteten 28000 Fans schon auf dem Maimarktgelände, stehen an für T-Shirts und - unter anderem - Pfälzer Weinschorle. 

Trotzdem scheinen Die Ärzte im falschen Bundesland angekommen zu sein. Als Schlagzeuger Bela B und Bassist um 18 Uhr die erste Vorgruppe LÜT aus Norwegen ansagen, reagieren sie auf das Niveau der Zwischenrufe mit “Scheiße, wir sind in Hessen!” Naja, wenigstens sind sie auf der richtigen Bühne. Und exklusiv haben sie den Fauxpas auch nicht im Drei-Ländereck rund um Mannheim. Außerdem sind die Berliner vorsätzlich desorientiert und machen in Mannheim eine ganze Deutschland-Tour als Running Gag: Sie verlegen das Konzert in so ziemlich jedes Bundesland, Farin Urlaub versucht es mit einer Publikumsansprache auf Sächsisch und Bela B fordert ein Einzählen in "eurem saarländischen Akzent". Für Hessen gibt's ganz zu Beginn noch ein paar Unmutsbekundungen, dann nehmen es die Fans mit immer mehr Humor. Rod treibt es schließlich auf die Spitze und fragt vor "Lady" "Träumt Ihr auch von Baden-Württemberg?" Aber als Farin Urlaub in der Zugabe die Zeilen "Ich hasse ihn, den Gartenzwerg / Hier in Baden-Württemberg" einbaut, ist der lokalpatriotische Jubel doch ziemlich groß. 

Die Stimmung für die energetischen Norweger ist aufgeschlossen. Ihr exaltierter, hoch gekreischter Gesangsstil zieht jedenfalls immer wieder die Aufmerksamkeit auf sich. Das Wetter spielt fast perfekt mit: angenehme 22 Grad bei milder Herbstsonne sind klein Vergleich zu den Hähnchengrill-Bedingungen bei den Toten Hosen.  Ansonsten verbreiten Die Ärzte dezent politische Botschaften, schon bevor sie den ersten Ton spielen: Der Slogan “Liebe gegen Rechts” ziert ein Tour-T-Shirt, die Hälfte der gern als Souvenir mitgenommenen Getränkebecher trägt die Regenbogenfarben, und ein riesiges Porträt des beim CSD in Münster getöteten Transmanns Malte hängt ist fast den gesamten Nachmittag lang über der Bühne zu sehen. 

Drangsal bringt in Mannheim Ärzte-Fans auf Betriebstemperatur

2021 hat Max Gruber gut 500 Meter entfernt im Mannheimer Reitstadion eine grandiose Headliner-Show in Teufelsmaske beim Maifeld Derby abgeliefert, am Sonntagabend spielt der Herxheimer als Frontmann seines Indie-Projekts Drangsal den Anheizer beim Open Air der Ärzte den bisher größten Auftritt in seiner Heimatregion.

Nach den wuchtigen 30 Minuten des norwegischen Punkrock-Quintetts LÜT entert der 29–Jährige mit “Ein Lied geht nie kaputt” die große Bühne. Immerhin mit eigenem Logo. “Einen wunderschönen Abend, wir sind die Flippers. Und wir freuen uns wirklich sehr, euch eine weitere halbe Stunde davon abzuhalten, die Band zu sehen, für die Uhr alle sehr viel Geld bezahlt habt.” Die große Klappe kann er sich erlauben, weil Drangsal mit “Will ich nur dich” einen extrem druckvollen Uptempo-Abräumer nachlegen können. Mit “Allan Align” legt er eines seiner New-Wave-Frühwerke nach, das ziemlich gut in den Zeitgeist der Ärzte-Anfänge vor 40 Jahren passt. Der aktuelle Ohrwurm “Liedrian” würde auch ins Repertoire von Farin Urlaub als Solist passen. Das bringt die Maße der Ärzte-Fans immerhin ins Wippen - reife Leistung bei einem Auswärtsspiel vor Ikonen.

Die “Hey, Hey!”-Animation vor “Love Me Or Leave Ne Alone” zündet zwar nicht extrem, immerhin kann Drangsal die Fans zum Klatschen nötigen. Der schwer widerstehliche Wave-Rocker “Arche Gruber” hätte noch mehr Gegenliebe verdient. Genau wie “Turmbau zu Babel”, das eigentlich ein verhinderter Ärzte-Hit ist - verkleidet mit ein paar etwas ältlichen Gitarrensounds. Verdienter Applaus. “Urlaub von mir” verfliegt in dieser Dimension etwas. Das wuchtige “Exit Strategy” schlägt zum Schluss seines 40-minütigen Auftritts aber fast so ein wie bei einem Drangsal-Heimspiel.

Auch bei der Ansage von Drangsal erlauben sich die Ärzte einen kleinen Schabernack. Farin Urlaub sagte vor dem Auftritt zunächst: "Wer von euch hat auch letzte Woche den Wetterbericht gelesen und gedacht, das Konzert fällt bestimmt ins Wasser?" Aber er wolle noch schnell die nächste Band ansagen: “Aus Italien für Euch: Drangsale. Ach, die singen aber Deutsch.“

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