Die kleine, aber künstlerisch hochkarätige Ausgabe der Schwetzinger SWR Festspiele fand am Donnerstag mit dem letzten Teil des Konzertzyklus „Beethovens Sinfonien und ihre Vorbilder“ der renommierten Akademie für Alte Musik Berlin ihren Abschluss. Das durch die behördlichen Auflagen eingeschränkte Platzangebot war voll ausgelastet. Alle Konzerte wurden vom Radiokulturprogramm SWR 2 aufgezeichnet und ausgestrahlt, vier davon live. Drei Konzerte waren als Livestream auf SWR Classic, zwei auf Arte Concert zu erleben und stehen dort zur Verfügung. Durch die Übertragungen haben die Festspiele eine sehr hohe internationale Reichweite, die weit über die Besucherzahl vor Ort hinaus- geht. Wir haben mit der Künstlerischen Leiterin Heike Hoffmann (Bild) Bilanz gezogen.
Als hätten Sie’s gewusst! Das Veranstaltungsverbot tritt wenige Tage nach Ende der Festspiele in Kraft. Höre ich da ein Aufatmen?
Heike Hoffmann: In der Tat, wir sind durch einen glücklichen Zufall genau in die kurze Periode zwischen Beherbergungsverbot und Lock-down gerutscht und haben die im Mai abgesagten und nun nachgeholten Festspiele am Donnerstag mit einem fulminanten Konzert der Akademie für Alte Musik nach knapp zwei Wochen zu Ende gebracht.
Wie hat es denn geklappt mit den Vorsichtsmaßnahmen? Waren die Besucher einsichtig?
Hoffmann: Sehr gut. Das Hygienekonzept war ja im Vorfeld sorgsam durchdacht, mit der Schlossverwaltung abgestimmt und vom Ordnungsamt der Stadt Schwetzingen genehmigt worden. Die Maßnahmen wurden dann im Laufe der Festspiele erweitert um die Maskenpflicht für die Besucher auch während der Konzerte. Natürlich waren das für alle Beteiligten erschwerte Bedingungen, aber sie wurden ohne Diskussionen akzeptiert, weil die einzelnen Auflagen in sich stimmig und nachvollziehbar waren.
Welche Rückmeldungen haben Sie von Besuchern und Künstlern?
Hoffmann: Sowohl Künstler als auch Besucher haben die Regeln genauestens und mit großer gegenseitiger Rücksichtnahme befolgt und nach meiner Beobachtung herrschte ein Gefühl von Sicherheit – auf der Bühne, Backstage und auch im Zuschauerbereich. Das wurde mir auch von etlichen Konzertbesuchern, die ja zu einem großen Teil auch älter sind und damit der eher gefährdeten Gruppe angehören, im persönlichen Gespräch bestätigt.
Was halten Sie vom neuerlichen Lockdown für die Kultur?
Hoffmann: Obgleich außer Frage steht, dass im Interesse aller dringend und entschlossen gehandelt werden muss, halte ich die jetzt beschlossenen Maßnahmen weder für verhältnismäßig, noch für zielführend. Die Schließung ausgerechnet der Einrichtungen, die monatelang Hygienekonzepte ausgetüftelt und enorme Investitionen getätigt haben – dazu zähle ich neben den kulturellen Einrichtungen auch die Hotellerie und die Gastronomie – ist eine nicht nachvollziehbare Maßnahme. Es ist erwiesen und wurde auch vom Robert-Koch-Institut gerade erst bestätigt, dass bei Einhaltung der Hygieneregeln hier kaum Infektionen zu verzeichnen sind. Aus meiner Sicht ist es eine angstgesteuerte und rein populistische Entscheidung, weil man die vielleicht sinnvollere und härtere – etwa ein begrenzter Lockdown in allen Bereichen – scheut. Kultur und Gastronomie sind hier die Bauernopfer. So verlagert man das Problem vom öffentlichen in den privaten Raum und ich fürchte, diejenigen, die sich bisher an keine Regeln gehalten haben, werden das auch jetzt nicht tun. Kaum jemand glaubt, dass mit den jetzigen Maßnahmen tatsächlich bis zum Ende des Monats eine nachhaltige Reduzierung der Infektionen gelingt. Und was kommt dann? Wo ist die langfristige Strategie, die nach übereinstimmender Ansicht der Virologen notwendig ist? Wie geht es nach Weihnachten weiter? Was mich aber wirklich bestürzt, ist die Haltung, die Kunst und Kultur unter Freizeitvergnügen einordnet und in die Nähe von Spielhallen und Fitnessstudios rückt. Das verkennt in geradezu zynischer Weise vollkommen die Rolle von Kunst und Kultur für Bildung, Identität und demokratischen Diskurs in unserer Gesellschaft. Die Botschaft ist verheerend: Durch Shoppingmalls und Autohäuser darf ich schlendern, die Museen aber bleiben geschlossen. Die Schäden – nicht nur für die Kulturschaffenden – sondern für uns alle, sind noch gar nicht zu ermessen.
Es gibt ja eine Initiative von Bürgermeistern mit Boris Palmer an der Spitze. Begrüßen Sie die?
Hoffmann: Aus den vorgenannten Gründen unterstütze ich diesen Brief natürlich, fürchte aber, dass er nichts mehr bewirken wird. Meines Erachtens sind die ohne Beteiligung der Legislative unter dem Druck des rasanten Infektionsgeschehens gefassten Beschlüsse der Exekutive jetzt nicht leicht und auch nicht sinnvoll zu korrigieren. Das wäre dann kaum vermittelbar, zumal all das ja regional in Allgemeinverfügungen umgesetzt werden und im besten Fall kontrolliert werden muss. Wir haben ja keine Zeit. Grundsätzlich brauchen wir jedoch künftig demokratisch legitimierte Entscheidungen, die in ihren Konsequenzen vom Ende her durchdacht und stimmig sind, denn nur so kann die unabdingbar notwendige Akzeptanz und Mitarbeit der Menschen erreicht werden.
Wie können die Bürger den Künstlern helfen?
Hoffmann: Aus meiner Sicht geht es auch, aber nicht in erster Linie um materielle Hilfe, da wird ja vermutlich auch seitens des Bundes etwas getan werden. Es geht darum, dass wir als Bürger dieses Landes einfordern, dass Kunst und Kultur auch im Bewusstsein von politischen Entscheidungsträgern als das bewertet werden, was sie sind: ein existenzieller, gerade in schwierigen Zeiten dringlich gebrauchter Teil unserer von vielen Seiten bedrohten demokratischen Gesellschaft. Die Reaktionen unseres Publikums nach dem Abschlusskonzert, als schon klar war, dass dies auf längere Zeit das letzte Konzert sein würde – nicht enden wollender Beifall und Getrampel – waren ein berührendes Zeichen dafür, und insofern doch auch tröstlich und ermutigend für uns.
Glauben Sie an „normale Festspiele“ im Mai 2021?
Hoffmann: Die Festspiele werden stattfinden, darauf arbeiten wir alle hin, die Vorbereitungen laufen bereits im Detail. Die Bauprobe für die Uraufführungsoper haben wir wie geplant Anfang September absolviert, das Bühnenbild entsteht gerade in den Werkstätten des Staatstheaters Mainz. Die Künstler sind ja bereits alle seit längerer Zeit engagiert. Vermutlich werden wir jedoch auch im Frühjahr noch unter sehr schwierigen und eingeschränkten Bedingungen arbeiten müssen. Das Programm liegt vor, wir wollen den Vorverkauf am Freitag, 4. Dezember, starten. Zunächst nicht mit festen Platzzuweisungen, sondern mit Reservierungen in der gewählten Preisgruppe, damit wir dann die Möglichkeit haben, entsprechend der aktuellen Situation nachzujustieren.
Info: Das Programm 2021 unter www. schwetzinger-swr-festspiele.de
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