Schwetzinger SWR Festspiele

Die wundersame Rettung des „Mara“

Von 
Jürgen Gruler
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Schwetzingen. Das „Mara“ – es ist eines der drei weltberühmten Celli, die im Jahr 1711 auf der Werkbank von Antonio Stradivari in Cremona lagen. Wie alle Instrumente Stradivaris tragen sie eigene Namen: Das „Romberg“ oder das „Duport“, jahrelang gespielt von Msistislaw Rostropowitsch; und das „Mara“, seit Kurzem gespielt von Christian Poltéra. Alle drei Celli aus der „Goldenen Periode“ des Geigenbaumeisters, dessen Streichinstrumente bis heute Kult sind, Kunstwerk, Mythos, Investment. Nirgendwo sind die Stifter, Sammler, Musiker bereit, höhere Summen zu zahlen als für alte italienische Streichinstrumente aus Cremona.

Das „Mara“ hat die wohl ungewöhnlichste Geschichte, denn beinahe wäre es untergegangen – für immer: Im Juli 1963 war das Violoncello in einem Fährunglück auf dem Rio de la Plata vor Buenos Aires über Bord gegangen. Nicht irgendein Cello, sondern „The Mara“ von Antonio Stradivari, nach seinem ersten Besitzer, Giovanni Mara, benannt und zur Zeit des Unglücks bei Amadeo Baldovino zu Hause, dem Cellisten des gerade durch Südamerika tourenden „Trio di Trieste“.

Dem Geiger des Trios ging seine Guadagnini baden, aber das in sei-nem Kasten wundersam an Land gespülte „Mara“ wurde in die Klinik eines Londoner Instrumentalchirurgen überführt und nach neun Monaten als geheilt entlassen. Seither sind Name und Wert des Instruments weiter ins Sagenhafte gestiegen. Nicht zuletzt dank der fiktionalen Autobiographie „Mara“ des Österreichers Wolf Wondratschek, die im Erscheinungsjahr 2003 keineswegs abgeschlossen war, aber mit einer nicht zu toppenden Pointe über den neuesten Interpreten, einen österreichischen Cellovirtuosen schließt: „Wie er heißt, mein Österreicher? Lachen Sie nicht. Schiff. Ja, wirklich. Schiff, Heinrich Schiff, und das mir, bei meiner Vergangenheit. Das hat mir noch gefehlt“, heißt es bei ihm.

„Aufgebahrt wie ein Sarg“

Aber auch das ist mittlerweile Vergangenheit, denn heute hat Mara seinen Wohnsitz in der Schweiz bei Zürich, und der glückliche Spieler heißt Christian Poltéra. Er übernahm das Instrument 2012 von seinem Lehrer Heinrich Schiff, als dieser das Konzertieren aufgeben musste, mithilfe einer diesmal pekuniären Rettungsaktion, die den Verkauf nach Taiwan verhinderte. Poltéra ist Besitzer, aber nicht Eigentümer. Er zeigt das Instrument und sagt: „Ich weiß nicht ob man das sehen kann, das Etikett am Boden, je nach Lichteinfall.“ Antonio Stradivarius cremonensis, faciebat Anno 1711. So steht es da.

Wenn man jetzt anfängt, Instrumente auch optisch zu vergleichen, sieht man die Perfektion, mit der er gearbeitet hat. Die schöne Maserung, der Lack. Das ist eine Folie, die das Holz ein bisschen schützt, wenn man schwitzt. Rötlich-helles Holz. An der Rückseite, dort wo beim Menschen die Wirbelsäule wäre, ist das Holz auffallend hell. Abgewetzt.

Und so soll das Unglück geschehen sein: Montevideo, Juli 1963. Solist Amadeo Baldovino erzählt vom Unglück: Nebel hielt den gesamten Luftverkehr am Boden. Seit 7 Uhr warteten wir auf eine Möglichkeit, nach Buenos Aires aufzubrechen, von dort aus sollte es nach Rosario weitergehen, wo wir ein Konzert geben sollten. Die einzige Möglichkeit, pünktlich nach Buenos Aires zu gelangen, war die Nachtfähre über den Rio de la Plata. Sie sollte um 20 Uhr abends ablegen und um 8 Uhr in Buenos Aires ankommen. Das Schiff erinnerte mich an ein Geisterschiff. Zu meinen Freunden wagte ich sogar lächelnd Schiffbruch heut’ Nacht zu sagen. Bevor wir uns in unsere Kabinen zurückzogen, machten wir einen Spaziergang über Deck. Eine eigenartige Reise. Ohne den Maschinenlärm – wir hätten es nicht für möglich gehalten, dass wir uns auf ruhigem Wasser fortbewegten. Man sah nichts. Um 4.30 Uhr, etwa 50 Kilometer vor Buenos Aires. In den Kabinen rumpelt es, als die Fähre auf ein gesunkenes Wrack aufläuft. Kurz danach bricht an Deck Feuer aus. Chaos, Panik unter den Passagieren. Schwimmwesten werden verteilt, Rettungsboote zu Wasser gelassen. Amadeo Baldovino greift den Cellokoffer mit dem ,Mara‘, alles andere lässt er in der Kabine. Mit dem Cellokoffer rennt er an Deck, sieht die Rettungsboote im Wasser. Er muss springen, um zu einem zu schwimmen.

„Ich weiß nicht mehr genau, wann genau ich das ,Mara‘ stehen lassen habe. Mein Überlebensinstinkt übernahm das Kommando. Ich konnte nicht mehr atmen. Verzweifelt schlug ich um mich, um zu einem Rettungsboot zu kommen. War das das Ende? Ich gebe zu, dass ich sehr lange überhaupt nicht an mein ,Mara‘ gedacht habe. Wir kamen mit einer Mischung aus Trauer und Freude an Land.“ Im Taxi erreichen Amadeo Baldovino und seine Musikerkollegen Buenos Aires. Dort werden sie umsorgt. Im Hotel schläft Baldovino 14 Stunden lang. „Als ich aufwachte, traf mich der enorme Verlust meines ,Mara‘. Es klopfte. Renato kam mit einer Zeitung herein. Die Schlagzeile: Das Stradivari wurde gerettet!“ Aber ich war sicher, dass es verloren sein musste. Ich hatte das Feuer ausbrechen sehen, und ich hatte das Cello bestimmt nicht ins Wasser geworfen. Ich wurde gebeten, nach La Plata zu fahren, um das Cello zu identifizieren. Zumindest sollte dort ein Objekt liegen, das jeder, Zeitungen, die Öffentlichkeit als das Stradivari beschrieb – auf wundersame Weise aus dem Wasser des immensen Flusses gerettet. Und tatsächlich: In La Plata lag ein Cellokoffer, aufgebahrt wie ein Sarg.“ Baldovino und seine Triokollegen erkennen ihn sofort. Behutsam wird er geöffnet. „Renato stieß ein verzweifeltes ,Oh mein Gott‘ aus. Das war kein Instrument, sondern eine Anzahl von Teilen, die ich zu identifizieren versuchte, indem ich sie so gut, wie ich konnte, zu einer möglichen Rekonstruktion zusammensteckte.“ Und doch, das ,Mara’ war gerettet.

Quellen: Lotte Thalers Beitrag im Programmheft der SWR Festspiele und ein Interview des Deutschlandfunks.

Chefredaktion Jürgen Gruler ist Chefredakteur der Schwetzinger Zeitung.

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