Schwetzingen. Eine Feile als Waffe? Was auf den ersten Blick absurd klingt, wurde jetzt im Amtsgericht Schwetzingen zur juristischen Kernfrage. Vor dem Richter musste sich ein 44-jähriger Mann verantworten, der das Werkzeug aus einem Baumarkt in Schwetzingen entwendet haben soll. Doch im Mittelpunkt der Verhandlung stand weniger der Diebstahl selbst – als vielmehr die Frage, ob die Feile objektiv gefährlich ist und somit als waffenähnlicher Gegenstand gelten kann.
Dass der in Mannheim geborene Türke im April dieses Jahres eine Feile aus dem Baumarkt mitgenommen hat, ist unbestritten. „Mein Kopf hat abgeschaltet, und ich habe sie einfach eingesteckt“, gestand der breit gebaute Bartträger mit einem Schulterzucken. Er habe das Werkzeug aus einem rund 25 Euro teuren Set entnommen und in das Kettchen am linken Handgelenk geklemmt, erinnerte sich der kooperative Angeklagte. „Im Nachgang hat er sowohl die Feile als auch die Vertragsstrafe des Baumarkts anstandslos bezahlt“, ergänzte sein Verteidiger.
„Diebstahl mit Waffe“ vor dem Amtsgericht
Womit der 44-Jährige allerdings nicht gerechnet hatte: Wenige Wochen später erreichte ihn eine Vorladung der Staatsanwaltschaft. Der Vorwurf lautete „Diebstahl mit Waffe“ – ein Straftatbestand, der mit mindestens sechs Monaten Freiheitsstrafe geahndet wird. Nicht etwa, weil er während der Tat bewaffnet war, sondern weil die Staatsanwaltschaft die Feile selbst als gefährlichen Gegenstand einstufte.
Der Richter hakte nach: „Warum haben Sie die Feile überhaupt mitgenommen?“ Der Angeklagte erklärte, er habe einen Schließfachschlüssel nachmachen lassen und wollte die scharfe Kante abschleifen. „Warum haben Sie den Schlüssel nicht einfach vor Ort nachbessern lassen?“ – „Den Schlüssel habe ich in einem anderen Baumarkt machen lassen, daher konnte ich ihn dort nicht abgeben“, entgegnete der Mannheimer.
Eine Haftstrafe wegen einer Feile aus einem 25-Euro-Set? Für den Verteidiger eine Absurdität. „Die Ermittlungen haben sich auf einen Amazon-Link zu einer Feile beschränkt. Ich habe den Originalgegenstand dabei – ich kann Ihnen also gerne mal ,die Waffe‘ zeigen.“
Feile überraschend klein
„Die habe ich mir auch größer vorgestellt“, meinte der Richter schmunzelnd, als der Verteidiger das kaum fünf Zentimeter lange Werkzeug auf den Richtertisch legte. Es handle sich offensichtlich nicht um ein gefährliches Werkzeug im Sinne des Gesetzes, betonte der Anwalt. „Ich habe das bereits gegenüber der Staatsanwaltschaft erklärt – dort wurde mir mitgeteilt, dass eine Feile grundsätzlich als gefährlich einzustufen sei. Das halte ich für eine sehr problematische Auffassung. Schließlich entscheiden wir immer im Einzelfall.“
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Mit Verweisen auf Urteile von Oberlandesgerichten und dem Bundesgerichtshof argumentierte der Verteidiger, dass Alltagsgegenstände nur dann als gefährlich gelten, wenn sie nach ihrer Art oder Verwendung geeignet seien, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. Die Staatsanwältin blieb skeptisch: „Was mich stört, ist, dass die Feile griffbereit im Ärmel war – sie hätte also als Waffe eingesetzt werden können.“ Der Verteidiger konterte trocken: „Es macht doch keinen Unterschied, ob er die Feile aus der Hosentasche oder aus dem Ärmel zieht.“
Ein Kompromiss, mit dem alle leben können
Nachdem der Richter erkennen ließ, dass auch er Mühe habe, die Feile als gefährlich einzustufen, und nach einer kurzen Unterbrechung, in der die Staatsanwältin Rücksprache hielt, einigte man sich auf: Der Angeklagte soll 100 Euro ans Kinderhospiz Mannheim zahlen, dafür wird das Verfahren eingestellt. Ein Kompromiss, mit dem alle Beteiligten leben konnten – und der die ungewöhnliche Frage, wann ein Werkzeug zur Waffe wird, für diesen Fall pragmatisch beantwortete.
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