Region Schwetzingen. Wenn man darüber nachdenkt, welche Tiere einem Halter davonlaufen können, kommen zunächst vermutlich Hunde in den Sinn, sicherlich auch Katzen. An Schildkröten dürfte in diesem Zusammenhang wohl kaum jemand denken. Schließlich gelten die Tiere von Natur aus als langsam. Das mag zwar auch stimmen, aber vor allen sind sie laut Dieter Brehm, langjähriger Schildkrötenbesitzer aus Reilingen, enorm gut im Klettern.
Das ist einer der Gründe für die Erfahrungen, die Sandra Mummert vom Tierschutzverein Schwetzingen und Umgebung in den vergangenen Jahren gemacht hat. „Immer öfter landen inzwischen Schildkröten beim uns, entweder weil sie ausgebüchst sind oder weil sie jemand ausgesetzt hat“, berichtet sie. In den meisten Fällen handelt es sich um männliche Tiere.
Das rät der Experte zur Haltung einer Landschildkröte
Zunächst sollten sich Interessenten bewusst sein, dass Landschildkröten ein extrem hohes Alter erreichen können. Beim Kauf muss man einiges beachten: So sollte man sich beraten lassen, was die artgerechte Haltung angeht. Außerdem müsse man sichergehen, dass das Tier über die notwendige EU-Bescheinigung verfügt.
Europäische Landschildkröten sollten im Freien gehalten werden und nicht im Terrarium. Es müssen Vorkehrungen bestehen, die eine Flucht verhindern. Für die Nacht sollte es ein Treibhaus geben. Das Gehege muss mit Draht gegen Fressfeinde geschützt und abschließbar sein.
Wer mehrere Tiere hält, muss auf das Geschlechterverhältnis achten. Auf ein männliches Tier sollten drei bis vier Weibchen kommen. Das Geschlecht lässt sich bei den Schildkröten erst ab einem Alter von fünf oder sechs Jahren bestimmen. Ein fremdes Tier kann nicht ohne Weiteres zu einer bestehenden Gruppe hinzugefügt werden, da sonst die Gefahr einer Herpesinfektion besteht.
Europäische Landschildkröten ernähren sich von Wildkräutern wie zum Beispiel Löwenzahn oder Hibiskusblüten. Wer diese selbst sammelt, sollte das nicht an Orten tun, wo viele Hunde spazieren gehen wegen der Übertragung von Krankheiten.
Grundsätzlich können die Tiere draußen überwintern, dafür brauchen sie eine konstante Temperatur. Wenn das nicht möglich ist, kann man sie in einer Plastikbox im Kühlschrank aufbewahren, bei sechs bis acht Grad Celsius und Druckausgleich. lh
„Zwischen ihren Winterstarren haben männliche Schildkröten einen starken Paarungstrieb“, erklärt Brehm. Das führe einerseits dazu, dass sie in dieser Zeit jede Gelegenheit zur Flucht nutzen, aber auch dazu, dass man Europäische Landschildkröten, die hierzulande am häufigsten als Haustiere gehalten werden, in einem Verhältnis von drei bis vier Weibchen auf ein Männchen halten sollte. „Deshalb ist es kaum möglich, männliche Tiere zu verkaufen, weshalb die Besitzer sie oft aussetzen“, so der Experte weiter.
Fehlende Bescheinigungen
Doch auch die Menschen, die die Tiere bei sich behalten, seien vielfach nicht ausreichend informiert. „Das geht damit los, dass die Europäische Landschildkröte unter Artenschutz steht, also braucht man eine EU-weit gültige Bescheinigung, um sie zu halten“, klärt Brehm weiter auf. Dazu gehört auch die Pflicht auf eine lückenlose Fotodokumentation des Tieres in regelmäßigen Abständen. „Die meisten Besitzer wissen davon nichts“, sagt er aus Erfahrung. Zuständig dafür, eine solche Bescheinigung auszustellen, wäre hier das Regierungspräsidium Karlsruhe. „Das Problem ist aber, dass man sie ja ohne das Dokument auch nicht abgeben oder verkaufen darf“, stellt der Reilinger klar.
Zu genau diesem Punkt kann Sandra Mummert ein aktuelles Beispiel anführen. „Eine ältere Dame hatte 14 Schildkröten bei sich zu Hause, um die sie sich nicht mehr kümmern konnte“, berichtet sie. „Die nötigen Papiere hatte keine davon. Außerdem waren zehn davon Männchen.“ Beide Umstände stellten den Tierschutzverein vor große Probleme bei der Vermittlung.
„Wir haben dann mit dem Regierungspräsidium eine Lösung gefunden und Schenkungsverträge aufgesetzt“, erklärt Mummert. Die notwendigen EU-Bescheinigungen sind für die Tiere aber jetzt nicht mehr zu bekommen, ein späterer Verkauf ist somit unmöglich. Doch um das Vorausplanen für die Zukunft kommt man als Halter nicht herum. Der simple Grund: Das hohe Alter, das die Tiere oftmals erreichen – sie können tatsächlich bis zu 100 Jahre alt werden.
Beratung muss sein
Dieter Brehm ist über das oftmals mangelnde Fachwissen von Schildkrötenhaltern nicht verwundert. „Es beginnt mit dem Kauf. Im Handel, also in irgendwelchen Gartencentern zum Beispiel, zahlen die Menschen oft doppelt so viel für eine Schildkröte als bei anderen seriösen Haltern. Und dafür bekommen sie noch nicht einmal eine Beratung. Doch auch Züchter wollen oft nur schlichtweg Geld mit den Tieren verdienen.“
Brehm selbst gibt gerne Tiere ab – allerdings nicht an jeden Interessenten, der ihn besuchen kommt. „Wenn jemand hierherkommt und dann behauptet, keine Beratung zu brauchen, sich aber offensichtlich nicht wirklich mit dem Thema befasst hat, dann bekommt diese Person von mir keine Schildkröte“, stellt er klar, denn das führe am Ende nur dazu, dass die Tiere leiden oder ausgesetzt werden. „Es ist wichtig zu verstehen, dass das keine Kinderspielzeuge sind.“
„Es gibt hier in der Region auch einfach zu wenige richtige Anlaufstellen“, wirft Sandra Mummert ein. Denn wer sich mit anderen Tieren auskennt, sei nicht automatisch qualifiziert, Auskunft bei Problemen mit Landschildkröten zu geben. „Es ist auch schwerer zu erkennen, ob es einer Schildkröte schlecht geht als zum Beispiel bei einer Katze“, fügt Brehm hinzu. Zum Abschluss unterstreicht er, dass er gerne Fragen zu Schildkröten beantwortet. „Natürlich helfe ich, dafür ist mein Wissen ja auch gut.“
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