Es war einfach nur Glück

Andreas Lin erinnert sich an ein bitteres Erlebnis mit der Eisenbahn

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Andreas Lin
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Andreas Lin, Redakteur © siehe Bildtext

Wenn man über 25 Jahre in Schwetzingen direkt an der Bahnstrecke Mannheim – Karlsruhe wohnte, hat man viele Erinnerungen daran – zumal wenn es nur wenige Meter vom Bahnhof und vom Ausbesserungswerk war. Und selbst das Grundstück von Opa – zudem früher Lokführer – grenzte direkt an die Rheintalbahn und die Rangiergleise im Hirschacker an.

Die Eisenbahn war so mein tagtäglicher Wegbegleiter, die Züge fuhren praktisch direkt durch mein Kinderzimmer und unsere Wohnung. Besonders auffallend war das, wenn der Fernseher (mit übrigens vier Programmen) lief: Immer wenn etwas Interessantes kam oder der Krimi in eine entscheidende Phase ging, fuhr wenige Meter ein Zug vorbei – und das Bild war weg und der Mörder auch.

Das prägendste Erlebnis meiner Eisenbahn-Erinnerungen stammt aber aus dem Jahr 1974. Damals stand das Bundesbahn-Ausbesserungswerk in voller Blüte, Rangierzüge waren unentwegt unterwegs. Die Unterführung zwischen Heidelberger und Schubertstraße war mittendrin. Die Auf- und Abgänge waren mit einem Häuschen überdacht, an der Schubertstraße neben der Zeyher-Schule stand ein Lokschuppen – bis zu jenem Mittag im Jahre 1974.

Wir hatten in der Zeyher-Schule Schluss und sind nach Hause gegangen. Relativ zügig, ohne zu trödeln oder zu spielen. Gott sei Dank, wie sich wenig später herausstellen sollte. Als wir die Treppe zur westlichen Seite hinaufliefen, kam uns eine Frau entgegen – das fiel mir erst viel später ein. Ich bin in den Kiosk meiner Mutter gerannt, zog den Schulranzen aus und stand wenige Augenblicke später am Fenster – ein übliches Ritual, weil sie nur so das Mittagessen fertigmachen konnte. Es müssen Sekunden gewesen sein, denn kurz darauf habe ich – nach Erzählungen meiner Mutter – nur laut gerufen: „Mama, Mama, der Zug, der Zug.“ Ich war hautnah Augenzeuge, wie ein Rangierzug aufgrund einer falschen Weichenstellung durch den Lokschuppen raste, den Prellbock zerschmetterte, schließlich das Unterführungshäuschen in Trümmer legte und in dem heute noch stehenden Bahnwärtergebäude landete. Die Frau aus Plankstadt, die wir kurz zuvor am Treppenaufgang gesehen hatten, war gerade auf der anderen Seite der Unterführung dabei, nach oben zu gehen, und hatte keine Chance. Sie starb. Dass ich kurz zuvor durchgelaufen bin, war einfach nur Glück.

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