„Guter Ort“ – „Haus der Ewigkeit“ – „Haus des Lebens“: So nennen Juden den Begräbnisplatz, an dem sie ihre Verstorbenen zur letzten Ruhe bringen. In Schwetzingen gibt es einen solchen Ort seit nunmehr 125 Jahren.
Am Ortsausgang Richtung Mannheim und mit einer Mauer in das Gelände des Städtischen Friedhofs eingefasst, findet sich das etwa acht Ar große Feld, das die jüdische Gemeinde im Jahr 1893 käuflich erwarb. Es sollte als „ewige“ Ruhestätte dienen für die Verstorbenen aus Schwetzingen, Brühl und Ketsch, wie es die religiösen Regeln vorschreiben. Bis zur Eröffnung des Friedhofes wurden die Verstorbenen zum Verbandsfriedhof nach Wiesloch gebracht und dort beigesetzt. „Da die Verbringung der Leichen nach obengenanntem Orte“, so schrieb der damalige Lehrer der jüdischen Gemeinde, Simon Eichstetter, in seiner „Geschichte der Juden von Schwetzingen“, „sehr umständlich, zeitraubend und mit großen Kosten verknüpft war“, folgte die Gemeinde einem der hervorragenden Pflichten einer jüdischen Gemeinschaft und sorgte für den Bau eines eigenen Friedhofs. Der Frauenverein gab ein Darlehen zum Bau der Umfassungsmauer, die Bepflanzung am Rande spendete die Großherzogliche Schlossgartenverwaltung.
Begleitet von Leidensgeschichten
In Dienst genommen wurde der Friedhof, als die erste Beerdigung nach der Fertigstellung nötig war. Gestorben war der blinde Bruder von Aron Springer, Hänlein Springer. Er lebte in der Familie seines Bruders und wurde am Freitag, den 10. Februar 1893, nach dem hebräischen Datum am 24. Schwat 5653, durch den Bezirksrabbiner Dr. Hillel Sondheimer aus Heidelberg bestattet. Zugleich wurde damit der Friedhof seiner Bestimmung übergeben, wie die „Schwetzinger Zeitung“ einen Tag später meldete. Dabei hob der Geistliche hervor, „dass es für die hiesigen Israeliten ein erhebendes Bewußtsein wäre unter ihren Dahingeschiedenen zu weilen und ihre Ruhestätten besuchen zu können“.
Dass dies möglich sein würde, war nicht immer in der 125-jährigen Geschichte des Friedhofes gegeben. Der „Gute Ort“ kann leider auch Leidensgeschichten erzählen wie viele der Grabsteine mit den Namen derer, die unter den Folgen des Rassenwahns litten, die verfolgt und ermordet wurden. Dort, wo Einträge fehlen, müssten wir die Namen der zwangsweise Ausgewanderten, der in die Konzentrationslager Deportierten und Ermordeten ergänzen. Wie ein aufgeschlagenes Geschichtsbuch liegt dieser Gedenkort heute vor dem Besucher. Die Grabsteine folgen dem Geschmack der Zeit und drücken, zum Teil noch in ausführlichen hebräischen Aufschriften, die Wertschätzung der Familien für ihre Verstorbenen aus. Die Brüche und Risse, aber auch bruchstückhafte und fehlende Aufschriften auf den Grabsteinen zeugen davon, dass auch der Ort selbst mehrere Male in den 1960er und 1970er Jahren heimgesucht, geschändet und zerstört wurde.
Auch bleiben angesichts der Gräber Fragen offen: Eine unscheinbare Metalltafel zum Beispiel deutet auf eine Frau hin, die kurz nach der Verschleppung der badischen, pfälzischen und saarländischen Juden am 22. Oktober 1940 in das südfranzösische Lager Gurs, dort verstorben ist und bestattet wurde. Wer hat hier in Schwetzingen für sie dieses Gedenkzeichen in französischer Sprache gesetzt? Noch immer dient das „Haus des Lebens“ auch dem lebendigen Gedenken. Der Nachkomme einer Schwetzinger Familie aus der Herzogstraße hatte sich gewünscht, im Grab seiner Großeltern beigesetzt zu werden. Sein Wunsch konnte erfüllt werden. Für eine Mutter und ihre nach Gurs verschleppten Kinder wurde eine Namensplatte auf dem Grab des Ehemannes und Vaters niedergelegt. Eine in New York wohnende ehemalige Schwetzingerin konnte für die nach Auschwitz deportierten Tante und Onkel eine Gedenkplatte auf dem Friedhof stiften und übergeben.
Nachkommen noch heute zu Gast
Diesem Gedenken beim Besuch der Gräber und der Sorge für die Grabstätten gilt auch heute noch das Interesse der Nachkommen der dort Beigesetzten. Immer wieder, zuletzt vor zwei Jahren im Rahmen der Ausstellung über das „Jüdische Leben in Schwetzingen“, kamen Nachkommen der Familie Kaufmann aus Vancouver/Kanada und der Familie Metzger aus Stockholm, legten Steine auf die Gräber ihrer Vorfahren und zündeten Kerzen an. Alle Besucher erinnert dieser Ort an die gemeinsame Geschichte mit den jüdischen Menschen hier am Ort, an Versäumtes aus der Vergangenheit und Verpflichtendes für die Zukunft.
Für die in diesem „Haus der Ewigkeit“ Eingekehrten gilt der Schlussspruch auf jedem Grabstein: „Seine und ihre Seele sei eingebunden in das Bündel des Lebens“.
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