Interview

Gesundheitsökonom am ZEW Mannheim: „Sind nur bei den Ausgaben spitze“

Was Gesundheitsökonom Simon Reif an der Krankenhausfinanzierung für verbesserungswürdig hält - und welche Ideen der Mannheimer ZEW-Experte für ein besseres medizinisches Vergütungssystem hat.

Von 
Michaela Roßner
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Simon Reif plädiert für mehr Konkurrenz unter den Krankenkassen und Transparenz im Klinik-Vergleich. © Anna Logue
Herr Professor Reif, wie gut ist Baden-Württemberg auf die Krankenhausreform vorbereitet?

Simon Reif: Baden-Württemberg hat seine Hausaufgaben bereits zu einem ansehnlichen Teil erledigt und ist gut aufgestellt. Anders als beispielsweise Bayern hat es zum Beispiel schon seit längerem auf eine Spezialisierung der einzelnen Kliniken hingearbeitet. Umso erstaunlicher eigentlich, dass das Land Baden-Württemberg gerade eine Klage gegen das neue Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) erwägt.

Warum braucht es das neue KHG überhaupt?

Reif: Deutschland bewältigt sehr hohe Gesundheitskosten. Das wäre prima, wenn man sich das auch weiter leisten könnte - und wenn sich das in der Gesundheitssituation der Bevölkerung ausdrücken würde, etwa in einer höheren Lebenserwartung im Vergleich zu anderen Ländern. Das ist aber leider nicht so. Wir sind nur bei der Ausgabenhöhe spitze.

Wohin verschwindet das Geld?

Reif: Wir leisten uns eine große Anzahl an Krankenhausbetten, die teuer sind, weil dafür auch Pflegekräfte verfügbar sein müssen - und das vor dem Hintergrund des Pflegekräftemangels. Es werden zu viele medizinische Leistungen im Krankenhaus erbracht, einige davon wären gar nicht nötig. In Deutschland werden zum Beispiel rekordverdächtig viele Hüften und Knie operiert. Viel mehr als in anderen Ländern. Es ist aber einfach unwahrscheinlich, dass wir (als Gesellschaft, Anmerkung der Redaktion) so kaputte Knie haben.

Zur Person

  • Simon Reif ist Gesundheitsökonom und leitet seit 2021 die ForschungsgruppeGesundheitsmärkte und Gesundheitspolitik“ am ZEW Mannheim.
  • Zudem ist er Professor für Volkswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Gesundheitsmärkte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU).
  • Aktuelle Forschungsprojekte beschäftigen sich mit Strategien zur Evaluation digitaler Gesundheitsanwendungen sowie außerdem dem Design von Krankenhaus-Entgeltsystemen.

Sie meinen, es werden überflüssige Diagnosen gestellt?

Reif: Nein, die Diagnose stimmt wahrscheinlich. Aber was dann passiert ist aus meiner Sicht ein Fall von Ressourcenverschwendung, der sich für die Krankenhäuser lohnt.

Es sollten also mehr Eingriffe als bisher ambulant erfolgen?

Reif: Das Gesundheitssystem der Zukunft muss trennen zwischen jenem Ort, an dem komplexe Operationen wie Transplantationen oder andere komplexe Krankheitsbilder behandelt werden, und dem anderen Ort, an dem ambulant oder stationär die Vor- und Nachbehandlung stattfindet. Das hätte zum Beispiel bei Patienten im ländlichen Raum zudem den Vorteil, dass ihre Familie und Freunde sie leichter besuchen oder sich kümmern können - und das trägt bekanntlich auch zur Heilung bei. Die großen Krankenhäuser müssten dann weniger Betten vorhalten. Den allermeisten Menschen macht es keinen Spaß, im Krankenhaus zu sein. In Deutschland wäre mehr Ambulantisierung auch gut machbar, weil wir die doppelte Facharztschiene haben.

Was bedeutet das?

Reif: Im Gegensatz zu anderen Ländern gibt es in Deutschland Fachärzte im niedergelassenen Bereich. Um eine Orthopädin zu sehen, muss ich also nicht unbedingt ins Krankenhaus.

Gerade die Erfahrungen während der Covid19-Pandemie haben gezeigt, dass wir dankbar über die große Anzahl an verfügbaren Klinikbetten waren und von Bildern wie in Frankreich oder Italien verschont blieben...

Reif: Aber wir wollen doch unsere Planung nicht nach einer hoffentlich nicht in zwanzig Jahren wieder auftretenden Ausnahmesituation ausrichten. Was wir natürlich brauchen, ist die Möglichkeit, die Systeme in einen Notfallmodus zu versetzen, wenn es benötigt wird. Eine schiere Anzahl an Betten vorzuhalten bringt da nicht so viel. Und das Bett an sich ist ja billig.

Das Problem am aktuellen neuen Gesetz ist, dass von der ursprünglichen Idee wieder Dinge rausgenommen wurden, die sinnvoll gewesen wären.

Sie sind ein Befürworter des neuen KHG?

Reif: Die Reform ist eine gute Idee. Das Problem am aktuellen neuen Gesetz ist, dass von der ursprünglichen Idee wieder Dinge rausgenommen wurden, die sinnvoll gewesen wären. Ein Beispiel ist die Regelung zu Vorhaltepauschalen für die Krankenhäuser. Das bedeutet, sie bekommen Leistungen der Krankenkassen dafür, dass sie Betten, medizinisches Gerät und Personal vorhalten - unabhängig von den Behandlungszahlen. So könnte man zum Beispiel gewährleisten, dass Geburtsstationen, die in vielen Regionen geschlossen werden, weil sie sich nicht rechnen, erhalten blieben. Dadurch soll auch der Anreiz, möglichst viele Operationen durchzuführen, gemindert werden. In der jetzigen Version wird diese Pauschale aber auf Basis der vergangenen Behandlungen berechnet und setzt also doch wieder einen Mengenanreiz. Besser wäre gewesen, diese Pauschalen auf Basis des Bedarfs zu berechnen.

Wäre eine komplette Abkehr von Fallpauschalen die Lösung?

Reif: Die perfekte Krankenhausfinanzierung gibt es leider nicht. Wird pro Leistung bezahlt, werden mehr Eingriffe gefördert. Bekommen Krankenhäuser einfach ein jährliches Budget, wird hingegen eine Unterversorgung provoziert. Die Idee der Fallpauschalen ist ein Mittelweg und grundsätzlich auch eine gute Idee.

Es wird auch immer wieder über andere Wege Geld zu sparen diskutiert. Gibt es zum Beispiel zu viele Krankenkassen?

Reif: In Deutschland gibt es inzwischen etwas unter hundert Krankenkassen. Doch die Verwaltungskosten sind nicht ungewöhnlich hoch. Das Problem ist nicht ihre Anzahl, sondern dass sie alle das Gleiche anbieten müssen. Man müsste ihnen mehr Freiraum geben, ihr Angebot zu ändern.

Viele Krankenkassen können dann zu besserer und günstiger Versorgung führen, wenn sie im echten Wettbewerb stehen

Wie meinen Sie das?

Reif: Viele Krankenkassen können dann zu besserer und günstiger Versorgung führen, wenn sie im echten Wettbewerb stehen... Im Moment bieten die Krankenkassen alle zu über 95 Prozent die gleichen Leistungen an. Dazu sind sie gesetzlich verpflichtet. Der Wettbewerb findet also vor allem über den Zusatzbeitrag statt.

Was könnten die Kassen zusätzlich tun?

Reif: Die Krankenkassen haben einen riesigen Datenschatz, der es ihnen ermöglichen würde, zielgerichtete Angebote zu entwickeln und auch Empfehlungen, z.B. bei der Krankenhauswahl, zu geben. Aber aktuell dürfen sie das nicht.

Kann man sich als Patient nicht zum Beispiel über die Weiße Liste informieren, wo die beste Behandlung zu erwarten ist?

Reif: Grundsätzlich wissen wir, dass Patientinnen und Patienten solche Informationen viel zu wenig nutzen. Leider hat auch die Bertelsmann-Stiftung die Weiße Liste zurückgezogen, bei der diese objektive Informationsaufgabe ganz gut erfüllt wurde. Hintergrund ist, dass das Gesundheitsministerium seit Anfang 2024 ein eigenes Portal auf Basis der Qualitätsbericht der Krankenhäuser veröffentlicht. Das Problem mit den Qualitätsberichten ist allerdings, dass deren Qualität nicht sonderlich gut ist. Es bleibt also schwierig für Patientinnen und Patienten, eine fundierte Krankenhauswahl zu treffen.

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Zurück zum KHG: Wie werden Mannheim, Heidelberg und die Region davon profitieren?

Reif: Die genaue Abschätzung der Folgen steht noch aus. Was bisher an Daten bekannt ist, wird sich im Großraum weniger ändern als in anderen Regionen. In der Rhein-Neckar-Region gibt es bereits eine gut gegliederte Versorgungsstruktur - also genau das, was die Krankenhausreform überall implementieren will.

Wie bewerten Sie den geplanten Klinikzusammenschluss HD-MA aus ökonomischer Sicht? Wird Mannheim sich weiter ein Universitätskrankenhaus leisten können?

Reif: Aus ökonomischer Sicht muss man bei Fusionen die Kosten durch niedrigeren Wettbewerbsdruck und die Effizienzgewinne durch Synergieeffekte und Qualitätsgewinne durch höhere Fallzahlen gegenüberstellen. Zwischen den Standorten gibt es einen gesunden Wettbewerb um die beste Spitzenmedizin und Forschung. Ich bin optimistisch, dass dieser Antrieb auch nach einem Zusammenschluss erhalten bleibt. Ob sich Region und Land zwei Universitätskrankenhäuser leisten wollen, ist eine politische Frage. Mannheim ist hier ein gutes Beispiel, dass Krankenhausplanung nicht an der Landesgrenze aufhören sollte, denn betroffen sind natürlich auch Patientinnen und Patienten aus den Teilen der Metropolregion, die nicht in Baden-Württemberg liegen.

Redaktion Redakteurin Metropolregion/Heidelberg

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