Zum Internationalen Weltfrauentag (mit Podcast)

„Gleichberechtigung liegt in der Hand jeder Frau und jedes Mannes“

Professorin Dr. Sabina Schutter ist Vorständin bei SOS-Kinderdorf Deutschland und damit eine der wenigen Frauen in Vorstandsetagen. In einer neuen Folge des Podcasts "Leben.Lieben.Lachen." zeigt sie auf, warum ein Überdenken der Rollenverteilung in der Gesellschaft so wichtig ist.

Von 
Katja Bauroth
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Professorin Dr. Sabina Schutter gehört zu den zehn Prozent der Frauen in Deutschland, die in Vorstandsetagen Entscheidungen treffen - in ihrem Fall für SOS Kinderdorf Deutschland. © SOS Kinderdorf Deutschland/Andre Kirsch/www.andrekirsch.de

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts gibt es den internationalen Weltfrauentag, der seit 1921 an diesem 8. März begangen wird und in Berlin sogar ein gesetzlicher Feiertag ist. Er setzt damals wie heute ein Zeichen für Gleichberechtigung. Anno dazumal ging es um das Frauenwahlrecht, heute um eine gleichere Rollenverteilung im gesamtgesellschaftlichen und gesamtwirtschaftlichen Aspekt. Und mit Blick auf die Geschehnisse in der Welt ist es wichtiger denn je, den Weltfrauentag in den Blickpunkt zu rücken.

Wie wichtig ist dieser Tag in Zeiten von Frauenquote und Gendern? Gerade zeigt wieder eine neue Studie, dass 90 Prozent der Vorstandspositionen in Deutschland immer noch mit Männern besetzt sind, nur zehn Prozent von Frauen. Zu diesen zehn Prozent gehört Professorin Dr. Sabina Schutter. Die promovierte Soziologin ist Expertin für Kindheit, Geschlecht und Familie, Buchautorin und eben Vorstandsvorsitzende von SOS-Kinderdorf Deutschland. In einer neuen Folge des Podcasts „Leben.Lieben.Lachen.“ beschreibt sie, warum wir so schwer vom Hausfrauenmodell wegkommen, warum sie gendern befürwortet und warum Frauen selbst für eine neue Rollenverteilung aufstehen müssen. Hier gibt es einen Auszug des Gesprächs, welches in voller Länge hier zu hören ist.

Frau Schutter, was macht in Ihren Augen eine gute Familie aus?

Professorin Dr. Sabina Schutter: Ich glaube, dass eine gute Familie vor allem darauf basiert, dass Menschen füreinander Verantwortung übernehmen und sie verlässliche, vertrauensvolle Beziehungen zueinander haben. Am Ende des Tages kann man sich seine Familie nicht aussuchen und die, die wir haben, ist dann die, mit der wir auch so leben müssen – wir sind ja alle nicht perfekt.

Und wie sieht es Ihrer Meinung nach mit der Rollenverteilung in einer „guten Familie“ aus?

Schutter: Auch da gibt es sicherlich Familien, in denen Frauen das Hausfrauen- und Männer das Hausmannmodell gewählt haben und vielleicht damit auch sehr glücklich sind. Wenn das funktioniert, ist das eine gute Sache und damit für diejenigen Menschen eine gute Familie. Wenn wir das gesamtgesellschaftlich betrachten, dann wäre es so: Wenn wir Familien haben, in denen der überwiegende Anteil der Frauen als Hausfrau zuhause ist, dann hat das gesamtwirtschaftliche Auswirkungen, damit auch Auswirkungen auf die Lebenssituation der Frauen und für deren Zukunftschancen. Dann würden wir uns auf einem schwierigen Terrain bewegen. Da sind wir in Deutschland – zum Glück – schon einige Zeit nicht mehr.

Warum kommen wir so schwer vom Hausfrauenmodell weg?

Schutter: Da spielen individuelles Verhalten und politische Anreize ungünstig zusammen. Wenn wir das Beispiel des Ehegattensplittings nehmen, dann bedeutet dies, dass es sich für viele Ehefrauen – wenn sie keine so guten Verdienstchancen haben – lohnt, nicht oder nur geringfügig beschäftigt zu sein. Wir haben in Deutschland die Minijob-Regelungen, die es zusätzlich attraktiv machen für Frauen, im geringen Umfang erwerbstätig zu sein, und nicht zuletzt können dann noch Kosten für Kindertagesbetreuung hinzukommen oder andere Anreize, dass es sich individuell richtig anfühlt, zuhause zu bleiben. Und wenn wir dann noch dazu nehmen, dass die Gesellschaft ja auch immer wieder die Rollenerwartung an Mütter und Frauen stellt, dann fühlt sich das alles richtig an und ist auch günstiger - zumindest auf die kurze Sicht.

Wie stehen Sie zum Werkzeug Gendern in der deutschen Sprache?

Schutter: Sprache generiert Realität. Wenn wir immer von Erzieherinnen und Polizisten sprechen und nie das gegenteilige Geschlecht verwenden, dann haben wir im Kopf immer, ein Arzt ist ein Herr Doktor und die Kindergärtnerin ist eine Frau – und wenn wir so weiterdenken, dann wird sich in den Köpfen und gerade auch in denen von Kindern nichts ändern. So schwierig das Gendern ist: Das ist eine Weiterentwicklung der Sprache, die uns zugutekommt.

Aus Sicht der Frauen sprechen wir ja über die Stärkung des weiblichen Geschlechts. Bedeutet das nicht auch gleichzeitig eine Art „Entmannung“ des männlichen? Letztlich müssen wir ja das grundlegende Rollenbild aller Geschlechter überdenken.

Schutter: Ganz sicher müssen wir das: Wenn wir von Geschlechterverhältnissen sprechen, dann sprechen wir ja nicht nur von biologischen Männern und Frauen, sondern auch von Transfrauen und -männern, wir sprechen auch von Menschen, die sich weder für das eine noch das andere Geschlecht entscheiden. All diese Geschlechter stehen miteinander in einem Verhältnis. Und wenn wir dafür kämpfen wollen, dass Menschen nicht mehr wegen ihres Geschlechts benachteiligt werden, dann sprechen wir natürlich darüber, dass sich Männer verändern müssen, Frauen verändern müssen und alle dazwischen auch. Das ist das Leitbild einer inklusiven Gesellschaft: dass alle Menschen die gleichen Chancen haben. Ob das letztlich einer „Entmannung“ gleichkäme, wage ich zu bezweifeln, weil wir ja aus der Forschung wissen, dass auch klassische männliche Rollenbilder für Männer viele Nachteile bieten. Es ist nicht so toll, wenn man zum Beispiel als Mann – 1,70 Meter groß und 60 Kilo schwer – gefragt wird, ob man mal den schweren Kasten nach oben tragen kann, auch wenn daneben eine Frau steht, die 1,80 Meter groß ist und Bodybuilderin.

Wer oder was glauben Sie, muss sich wie ändern, um eine ausgewogene Rollenverteilung hinzubekommen?

Schutter: Wenn sich am individuellen Verhalten von Frauen nicht im großen Stil etwas ändert, das heißt, wenn sie nicht dazu bereit sind, dafür zu kämpfen, dass sie eine gleichberechtigte Rollenverteilung haben, dann werden wir nicht weiterkommen. Das heißt, Gleichberechtigung liegt aus meiner Sicht in der Hand von jeder einzelnen Frau und von jedem einzelnen Mann. Und ich glaube, da haben wir noch eine Strecke zu gehen.

Hier geht's zum Podcast.

Er ist auch zu hören auf Spotify, Amazon Music, Podigee, Apple Podcasts und Deezer.

AUDIO: LLD_11_Sabina_Schutter_zum_Weltfrauentag

Zur Person

  • Professorin Dr. Sabina Schutter ist studierte Soziologin und Vorstandsvorsitzende von SOS Kinderdorf Deutschland. Zuvor war sie Professorin für Pädagogik der Kindheit an der Technischen Hochschule Rosenheim und hat als Direktorin den Campus Mühldorf geleitet (2016 bis 2021).
  • Sie ist zudem Buchautorin, ihre jüngste Veröffentlichung trägt den Titel „Frauenrolle vorwärts: Wie Sie Familie, Job und Finanzen unter einen Hut bekommen – ohne Mental Load“, Verlag Gräfe und Unzer, 256 Seiten, 14,99 Euro.
  • Sabina Schutter ist Gesprächspartnerin im Podcast „Leben.Lieben.Lachen.“, der unter www.schwetzinger-zeitung.de/podcast abrufbar ist sowie auf gängigen Portalen wie Spotify, Podigee, Deezer, Apple Podcast und Amazon Music.

Autor Katja Bauroth liebt Begegnungen und Storys - im Lokalen und auf Reisen.

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