Norbert Stuhlfauth ist das, was man gemeinhin polizeibekannt nennt. Der 34-jährige Schwetzinger war schon oft genug in der Zeitung, nach Streitereien in der Bahnhofsanlage, bei einer Messerstecherei am Kaufland, bei seinen Verfahren wegen Erpressung oder schwerer Körperverletzung vor dem Amtsgericht, wenn es um Widerstand gegen Polizisten ging, oder zuletzt am zweiten Weihnachtsmarktwochenende im Dezember 2017, als man dem Betrunkenen auf dem Schlossplatz die beiden kleinen Töchter weggenommen und sie in ein Kinderheim gebracht hat. Umso ungewöhnlicher, dass der Mann sich jetzt telefonisch in unserer Redaktion gemeldet hat: „Ich würde Euch gerne meine Geschichte erzählen, mich bei allen Schwetzingern, die unter mir leiden mussten, entschuldigen und ein besserer Mensch werden“, sagt er.
Derzeit ist er in einer Therapieeinrichtung in der Pfalz. Hier auf dem Gelände einer alten Mühle weit abgelegen von der nächsten Ortschaft, grasen Ponys und Esel auf einer Weide. Neben dem historischen Gebäude gibt es moderne Gruppen- und Therapieräume und etwa 50 Zimmer für Menschen, die sich von einer Sucht befreien möchten. Norbert hat eine Trainingshose und ein Muskelshirt an, seine Tattoos sind gut zu sehen, er ist muskulös, ihm fehlt der Schneidezahn oben rechts. Er lächelt und macht einen sympathischen Eindruck, als er mich am Eingang abholt – und sein bisheriges Leben treibt ihn so um, dass er es nicht nur erzählen, sondern grundlegend ändern will.
„Ich war eine brutale Drecksau“
Das ist neu bei ihm: „Ich bin bisher bewusst meinen Weg gegangen. Vor einem Jahr war ich noch die brutale Drecksau, habe gestohlen, geprügelt, war ständig bekifft und besoffen. Ich habe inzwischen Frau und Kinder verloren und will jetzt einen anderen Weg gehen. Ich bin fest entschlossen und weiß, dass ich das schaffe“, sagt Norbert Stuhlfauth.
Aber warum war er eigentlich Dauerkunde der Schwetzinger Polizei und weshalb hat er „jedem eine reingehauen, wenn er mich blöd angeschaut hat“? In langen Therapie- und Gruppengesprächen sei er zu den Gründen vorgedrungen, habe gemerkt, dass es ihm helfe, sich zu öffnen. „Ich wurde schon als Kind misshandelt“, erzählt Stuhlfauth. Seine Muter habe ihn grundlos geschlagen, dann wieder einen Tag so geliebt, dass es kaum zu ertragen war.
Mit acht Jahren sei er dann zum Vater und dessen neuer Frau gekommen. Der habe ihm alles erlaubt, weil er ein schlechtes Gewissen wegen der Misshandlungen der alkoholkranken Mutter hatte. Auf die Stiefmutter habe er überhaupt nicht gehört, immer wieder gab es Streit. Da sei er dann wieder zur Mutter zurück. Dort gab’s fortan vor allem Psychoterror, erzählt Norbert. Bei Stubenarrest sei er aus dem Fenster geklettert. Noch vor seiner Strafmündigkeit mit dem 14. Geburtstag, war er schon mit 72 Straftaten registriert: „Ich habe andere Jungs und Mädels abgezogen, sie mussten mir ihre Handys oder das Geld abdrücken oder ich habe sie entsprechend verprügelt.“
Jugendarrest war ihm zu lasch
Noch vor dem 15. Geburtstag war er dann erstmals im Jugendarrest in Adelsheim. „Für mich war das dort eher wie in einer Jugendherberge, viel zu lasch. Wie Strafe aussehen kann, habe ich erst später in der Jugendvollzugsanstalt Schifferstadt gesehen“, sagt Norbert. Fast acht Jahre hat er inzwischen in Strafanstalten verbracht, zuletzt war er im „Café Landes“, der Justizvollzugsanstalt in Mannheim.
Und wenn er draußen war, dann fand man ihn vor allem in der Schwetzinger Bahnhofsanlage: „Zum Kaffee morgens zwei oder drei Joints und dann ins Kaufland, um drei kleine Fläschchen Chantré zu kaufen. Das wurde dann bei gutem Wetter draußen auf den Bänken oder bei schlechtem Wetter unterm Kaufland-Dach konsumiert. Bier habe ich nicht mehr getrunken, das war zu schwach, mittags gab’s dann eine große Flasche Schnaps. Zuletzt hab’ ich auch gekokst“, sagt Norbert.
„Wenn ich drauf war, genügte ein Wort und ich bin auf die Leute losgegangen“, sagt er. Bei der Polizei war er Dauergast. „Die haben mich schon mit Vornamen angesprochen, was ich denen alles angetan habe, ist mir heute so peinlich“, erzählt er. Nicht nur das, auch gegenüber den Nachbarn in der Goethestraße, wo er lange wohnte, sei er immer wieder ausfällig geworden, habe seine Kumpels mit in die Wohnung genommen. Im Trinkermilieu wasche halt eine Hand die andere, da dürfe man mal bei jemand pennen oder duschen und jeder lässt den anderen mal bei sich mittrinken, wenn er gerade „flüssig“ sei.
„Ich will mich hiermit bei allen Menschen in Schwetzingen entschuldigen, denen ich etwas angetan habe“, sagt er mit belegter Stimme. Dass er heute in Therapie ist, ist kein Zufall. „Die erste Entgiftung, die ich gemacht habe, musste ich dem Familienrichter zusagen, damit ich überhaupt meine Kinder wieder sehen darf.“ Norbert besucht seine beiden Mädchen nun regelmäßig im Kinderheim und sein größter Traum wäre es, sie irgendwann von dort in ein neues Zuhause holen zu können: „Darauf arbeite ich hin!“
Der Entgiftung folgte ein Rückfall. Er habe auf einem Bauernhof gearbeitet, habe dort auch bei der Familie gelebt, aber die therapeutische Betreuung habe gefehlt, weiß er heute. Und er hat sich ungerecht behandelt gefühlt, als er ein Karpaltunnelsyndrom bekam, Schmerzen hatte und operiert werden sollte, man ihn aber nicht zum OP-Termin gefahren habe. Noch einmal kehrte er zurück in die Szene, wieder flippte er aus, schlug sich mit Russen am Bowling-Center, fuhr dann mit nacktem Oberkörper per Taxi direkt zur Schwetzinger Polizeiwache, obwohl er kein Geld hatte. Dort traf er auf einen Polizisten, der ihn gut kennt. Der ließ ihn per Krankenwagen in den Entzug nach Wiesloch bringen.
Ein neuer Anlauf
Diesmal soll es klappen – und bisher ging es gut. Er durfte nach der Entgiftung und der Therapie in der geschlossenen Abteilung jetzt ins Therapiezentrum in die Pfalz. „Es ist total ungewohnt für mich, weil ich jetzt immer wieder über mich erzähle. Ich entdecke eine andere Seite an mir, die positiv und freundlich ist. Dinge, die manchmal Menschen in mir erkannt hatten, denen ich dann aber immer wieder vor den Kopf gestoßen habe. So auch der Polizist, der ihn sogar selbst hierher gefahren hat, weil er daran glaubt, dass er eine Chance braucht und sie nutzen soll.
Eines ist klar, Norbert will ein neues Leben beginnen, hat sich auf den Weg gemacht. Er weiß, dass der Weg steinig ist. Er will nicht mehr auf der Bank vor der Post schlafen, nicht mehr in der Obdachlosenunterbringung in der Scheffelstraße hausen. Norbert will nicht mehr zuschlagen und mit seiner Hände Arbeit Geld für sein Leben verdienen. Er will nicht mehr kiffen und nicht mehr saufen. Am liebsten würde er seinen Töchtern zeigen, dass sie einen anständigen Papa haben, der sie beschützt, liebt und für sie sorgen kann.
Wir wissen nicht, ob er es schafft. Aber so, wie seine Narben von der Messerstecherei am Kaufland in der linken Brust, gleich neben dem Herzen, inzwischen verheilt ist, können vielleicht auch die Narben in seiner Seele heilen und hoffentlich auch bei allen, denen er Leid angetan hat.
Immerhin hat er sich jetzt schon mal entschuldigt. Vielleicht gibt es irgendwo ein neues Leben für Norbert Stuhlfauth, denn nach Schwetzingen in die alte Maschinerie will er nie mehr zurückkehren. Viel Glück!
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/schwetzingen_artikel,-schwetzingen-ich-will-mich-bei-euch-allen-entschuldigen-_arid,1326885.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/schwetzingen.html