Schwetzingen. Beim Thema Nachhaltigkeit bekommt die Autoindustrie in erster Front eins aufs Dach. Doch wie nachhaltig die eigentlich rückblickend agierte, zeigt die ASC-Classic-Gala – 19. Internationaler Concours d’Elegance im Schlossgarten Schwetzingen.
Hier gibt es Oldtimer und Raritäten zu bestaunen, die viele Jahrzehnte auf dem Blech haben – darunter auch Elektroautos. Doch es ist nicht allein diese Zeitreise in Sachen Mobilität mit ihrer technischen Entwicklung und ihrem Design, sondern es sind vor allem die Geschichten, die mit den Fahrzeugen einhergehen.
Die Ausstellenden aus ganz Deutschland und den Nachbarländern erzählen diese gern. Schnell stellt man als Besucher fest, dass da selbst drei Tage viel zu kurz sind, um alles zu erfahren und zu entdecken.
Classic-Gala Schwetzingen: Großes Angebot für kleines Geld
Kein Wunder, dass Jury-Mitglied Lars Peter Rudorff die Classic-Gala als „Bernsteinzimmer der Automobilität“ bezeichnet. Was hier drei Tage lang im kurfürstlichen Ambiente zu einem Spottpreis (regulär 8 Euro plus 2 Euro Systemgebühr) geboten wird, gibt’s sonst nirgends.
Selbst Experte Rudorff, der seit 2019 Jury-Mitglied ist und viele einzigartige Fahrzeuge kennt, ist immer wieder aufs Neue begeistert. Sein persönliches Highlight bei der 2023er-Schau: der Flanierwagen des Reichspräsidenten von Hindenburg, ein Horch 8 Typ 350 aus dem Jahr 1929. „Hier drin wurde Geschichte geschrieben“, macht er deutlich, dass dieses Auto in etlichen Dokumentationen zu sehen ist.
Überhaupt macht dies das Flair der Classic-Gala aus: der Hauch Nostalgie, der über allem schwebt und ein historischer Zeitstrahl, aufgezeigt durch Fahrzeuge.
Flanieren auf einem Zeitstrahl bei der Classic-Gala in Schwetzingen
Die Besucher flanieren vorbei an den Veteranen bis 1904 und erleben danach die Kaiserzeit bis 1918, den Aufschwung der 1920er und die erste Blüte der 1930er-Jahre. In der Westhälfte des Parks reihen sich die Wirtschaftswunderzeit und die Träume der 1960er-Jahre aneinander.
Exoten der 1970er und die Klassiker der Zukunft, ergänzt von der Sonderschau „Supersportwagen aller Jahrzehnte“ finden genauso ihre Fans wie die originalgetreuen US-Klassiker in der USCCC-Sonderschau, stilecht begleitet von Elvis-Interpreten, US-Snacks, Burgern und Rockabilly-Atmosphäre.
Oldtimer mit Elekromotor: Bei der Classic-Gala gibt's das
Und da gibt es dann noch die Sonderausstellungen etwa zu 125 Jahre Renault, 70 Jahre Corvette und 60 Jahre Lamborghini – letztere Flitzer ziehen bei einer Parade am Samstag die Blicke auf sich. Vom Kunststoff-Sportwagen Chevrolet Corvette sind in Schwetzingen alle acht Baureihen zu sehen: Die älteste Chevrolet Corvette aus dem Jahr 1953 startet als Einzelstück mit Glasdach den Reigen der verschiedenen C-Baureihen über die berühmte „Split window“ und die C3 „coke-bottle“ bis zur aktuellen Mittelmotor C 8.
Auch weitere Jubiläen wie 100 Jahre MG, 70 Jahre Opel Olympia, 60 Jahre Mercedes 230 SL und 600 sowie 75 Jahre Porsche-Automobile finden Beachtung ebenso wie die Jaguar IG mit echten Raritäten.
Die Pagode wird vom Brühler Oldtimer-Stammtisch vorgestellt
Zum Jubiläum der Pagode, wie der Mercedes 230 SL aufgrund seines nach innen gewölbten Hardtops, welches an das Dach eines fernöstlichen Tempels (Pagode), genannt wird, hat der Oldtimer-Stammtisch Brühl eine schöne Sammlung aufgebaut. Vorsitzender Karlheinz Eisner und seine Kollegen informieren gern bei einem Kaffee, Kuchen oder Würstchen rund um die besondere Bauweise der Fahrzeuge, die zwischen 1963 und 1971 vom Band liefen.
„So einer war doch im Film ,Arabeske‘ kurz zu sehen, mit Sophia Loren und Gregory Peck“, weiß Besucher Norbert Leis aus Mannheim vom roten 230 SL in dem Hollywood-Streifen aus dem Jahr 1966 zu berichten. „Filmreife“ Auftritte gibt es auf der Classic-Gala zuhauf. Die einen fühlten sich beim Flanieren an Klassiker der 1950er- und 1960er-Jahre mit Doris Day und Rock Hudson erinnert, andere an Disneys „101 Dalmatiner“ in der 1996er Verfilmung mit Glenn Close, die dort in einem Panther de Ville vorfährt.
Ein Panther de Ville aus "101 Dalmatiner" in Schwetzingen
Der Nachbau im Antlitz der 1930er-Jahre stammt von der britischen Marke Panther Westwinds. Zwischen 1974 und 1985 wurden davon nur 46 Stück in Handarbeit hergestellt, für eine Karosserie brauchte es über 2000 Arbeitsstunden. Peter Härtel aus Haltern am See hat eines der Modelle (Baujahr 1981) mit seiner Gattin Bianca Biehl mitgebracht. Die Kühlerfigur des Wagens aus Kristall von Lalique – ein schöner Frauenkörper, der beleuchtet wird – dürfte mit zu den meist fotografierten Details an diesem Wochenende gehören.
Apropos filmreif und Nachbau: Gestatten, Zweigle, Hansi Zweigle! Der Esslinger kam sozusagen im Auftrag Ihrer Majestät mit einem Wagen von 007-Agent James Bond vorgefahren – einem Lotus Esprit HC Turbo. Der britische Schauspieler Roger Moore fuhr einen solchen als 007 im Film "In tödlicher Mission" (1981).
007 bei der Classic-Gala in Schwetzingen
Witzig: Auch die Ski hat Zweigle wie im Film aufs Heck "geschnallt". So fuhr der Wagen damals durch Cortina d’Ampezzo. Der Lotus ist jedoch nur ein Nachbau, wie Zweigle aufklärt. Das Original steht im Filmmuseum in Orlando, USA.
Dort durfte er auch Maß nehmen und alle Details festhalten, um sein Fahrzeug originalgetreu herzurichten. Damit ist er im In- und Ausland auf vielen James-Bond-Events gefragt. In Luzern, Schweiz, chauffierte er sogar den britischen Schauspieler John Moreno, der im besagten Film den Agenten Luigi Ferrara mimte. Und der plauderte einiges vom Filmdreh aus. Zum Beispiel, dass der Lotus mit einigen Raffinessen – sprich James-Bond-typischen Waffen – ausstaffiert war, wovon eine während der Dreharbeiten versehentlich gezündet wurde („Ein Fenster ging nur zu Bruch“).
Das erklärt auch den Hinweis von 007 an Ferrara, er möge bitte keine Knöpfe drücken, während er im Auto wartet (und da ermordet wird). Oder dass sowohl Moreno als auch Moore Höhenangst hatten und entsprechend mit weichen Knien in der Gondel standen, die sie auf den Berggipfel brachte. „Moreno meinte, dass da sein Bild vom unverwüstlichen Agenten bröckelte“, erzählt Zweigle lachend. Er hat übrigens noch einen anderen Lotus aus einem James-Bond-Film nachgebaut: den weißen Esprit S 1 aus „Der Spion, der mich liebte“ (1977), damit ging Roger Moore sogar im Wasser auf Tauchstation.
Ein Oldtimer wie ein Neuwagen
Passenderweise steht der Lotus neben einem anderen, aus dem Kino bekannten Flitzer: dem DeLorean aus der „Zurück in die Zukunft“-Triologie, die in den 1980er und 1990er-Jahren mit US-Schauspieler Michael J. Fox als Hauptdarsteller gedreht wurde. Robert Matussek gehört damit mittlerweile zum „Inventar“ der Classic-Gala. Er kommt auch immer wieder gern aus der Essener Ecke nach Schwetzingen. Dabei entdeckt der Autoliebhaber auch immer wieder Neues.
Und ganz nach dem Motto „Zurück in die Zukunft“ zum Beispiel ein Elektroauto aus dem Jahr 1981: den Renault R5 Le Car Lectric Leopard. Der normale Antriebsstrang wurde bei diesem Modell mit einem 12-PS-Prestolite-Motor MTA 4001 Elektromotor ersetzt (24 bis 48 Volt DC, bis zu 500 Ampere). Und auch sonst baute die Firma US Elecric da einiges um. Das Fahrzeug gehört zur tollen Auswahl anlässlich des 125. Geburtstags der Marke Renault. Hier gibt es ein Wiedersehen mit vielen Vorkriegsmodellen, dem „Cremeschnittchen“ 4 CV, Fregate, Dauphine, R 8 und R 16 oder auch Floride, „Quatrelle“, R 5 Turbo oder Estafette bis hin zu Fuego, Avantime oder auch dem Elektro-Stadtauto Twizy.
„Das ist ja der Hammer“ – diesen Satz hört Markus Wemmert aus Schönenberg-Kübelberg bei Kaiserslautern sehr oft an dem Wochenende. Er hat wieder ein paar "Schätzchen" mitgebracht, zum Beispiel diesen Mercedes W 123. Das Besondere: Der Wagen, Baujahr 1984, ist so, wie er dasteht, im Originalzustand und hat nur 31 Kilometer auf dem Tacho. Dafür soll’s später nicht nur die Plakette für den ersten Platz geben, sondern auch Anerkennung von Harald Pfinder aus Stuttgart. Er lässt sich den fast unberührten Innenraum und sogar noch Stellen mit Original Konservierungswachs zeigen. Wemmert hat sich spezialisiert auf Oldtimer mit wenigen Kilometern, die er auch zu Hause nur in die Garage stellt und sich ab und an mal reinsetzt.
Elizabeth II. und ihr Flitterwochen-Wagen
Auf der Classic-Gala stehen Autos, an denen man selbst schrauben kann, die Charakter haben und so manch Geheimnis mit sich führen. Was wohl einst Elizabeth II. von England ihrem Liebsten Philip im blauen Paradewagen Armstrong Siddeley (Baujahr 1927) während der Flitterwochen zugeflüstert hat, bleibt ihr ewiges Geheimnis – ein solches Flanierfahrzeug selbst ist im Schlossgarten zu sehen. Der polnische Eigentümer hat es aufwendig restauriert und dafür sogar ein Dankesschreiben vom Buckingham Palace bekommen. Wie viel Internationalität in der Classic-Gala steckt, ist nicht nur an dieser Stelle zu merken. Mit Veranstalter Johannes Hübner haben die Polen auch zarte Bande geknüpft, um das Thema Oldtimer im eigenen Land voranzutreiben und werben in Schwetzingen für eine Classic-Rallye in Torun.
Stichwort Rallye: Die Strecke von Berlin nach Rom konnte der stromlinienförmige handgefertigte Aluminum-Flitzer vom Typ 64 nie unter die Räder nehmen. Die Fernfahrt fand wegen des Beginns des Zweiten Weltkriegs 1939 nicht statt. Der „Porsche vor dem Porsche“ besticht durch seine aerodynamische Tropfenform und der Fahrersitz ist fast in der Mitte. Einer der einst drei hergestellten Sportwagen wurde später vom österreichischen Rennfahrer und Öl-Erfinder Otto Mathé im Rennsport gefahren.
Ein knuffiger Kerl mit Aha-Effekt
Nicht nur die großen Flitzer ziehen die Blicke auf sich, sondern auch die knuffigen Autos. Der Brütsch Zwerg wird immer wieder gern als „Kinderauto“ deklariert, dabei ist der dreirädrige Ein- und Zweisitzer ein Schnuckel aus der Wirtschaftswunderzeit.
Die kennt Stefan Richter nur vom Hörensagen. Er ist mit Madeleine und Luzius (8) zum ersten Mal bei der Classic-Gala dabei. Da er in Großsachsen (Gemeinde Hirschberg) wohnt, hat er fast ein Heimspiel. Sein VW-Porsche (Baujahr 1971) lenkt mit seiner leuchtenden saturn-gelben Farbe die Blicke auf sich. Der Sportwagen war ein Garagenfund, der 20 Jahre vor sich hinvegetierte, sagt Richter, der das Fahrzeug als Familienprojekt restauriert hat. Allein ihm zu lauschen, wie er dieses Coupé, das aus dieser Kooperation von Volkswagen und Porsche stammt, in den jetzigen Zustand versetzt hat, ist faszinierend. Eine Fotodokumentation untermauert seine Erzählungen und er erfährt eine Menge Zuspruch für seine automobile Liebe.
Interesse bei Nachwuchs wecken
Den erhalten übrigens auch die Organisatoren um Veranstalter Johannes Hübner und sein Team samt Kurator Hans Hedtke. „Das Ambiente ist einfach etwas Besonderes“, so Frank Scherrer, Vorsitzender der Alt-Ford-Freunde und Regionalleiter Ludwigshafen. Zum achten Mal sind Mitglieder seines Clubs dabei – „dieses Mal mit Escort-Service“, witzelt er in Bezug auf die gezeigten Modelle des Ford Escort. Gern kommt er dabei mit Besuchern ins Gespräch, stellt etwa den Ford Escort MK 1 (Bauzeit 1968 bis 1974) vor, der genauso familien- wie rallyetauglich ist.
Das Besondere: Viele dieser Fahrzeuge sind derzeit für Schnäppchenpreise zu haben, da sie keiner so richtig als Oldtimer auf dem Radar hat. Nur irgendwann wird es so sein, wie bei vielen anderen Wagen: Sie sind Werte auf zwei, drei und vier Rädern. Scherrer ist vor allem wichtig, Nachwuchs für das Thema Oldtimer zu begeistern. Das schafft er unter anderem mit einem stärkeren Internetauftritt und dortigen Eigenerfahrungsberichten.
Stefan Mohr aus Großenlüder bei Fulda hat den Nachwuchs gleich mitgebracht: Tochter Marlene (20) fährt gerne mit auf dem Locomobile-Steamcar aus dem Jahr 1901. Das Vehikel fährt mit Wasserdampf und ist Mohrs großes Hobby zusammen mit fünf weiteren Wagen, erbaut vor 1935. Eines seiner Fahrzeuge war auch schon in der Filmreihe "Babylon Berlin" zu sehen. Er erzählt, dass er seine Fahrzeuge selbst pflegt und repariert. Dabei sei manchmal Einfallsreichtum gefragt, denn Ersatzteile für über 100-jährige Automobile sind rar gesät. Daher ist die Classic-Gala letztlich auch nichts anderes als ein Ort zum Netzwerken und um sich auszutauschen.
Classic-Gala als Podium für Künstler
Dabei kommen das gesellschaftliche Miteinander und das Rahmenprogramm nicht zu kurz. Livemusiker spielen im Park, es gibt Verpflegungsstände und Eiswagen, vor denen sich in Anbetracht der warmen Temperaturen zum Teil Schlangen bildeten, und im Südflügel des Schlosses eine Kunstausstellung unter der Kuratel des bekannten Künstlers Curd Achim Reich („CAR“). Dieser hatte unter anderem mit Sven Bleckmann aus Heidelberg einen Lokalmatadoren eingeladen, der einen humorvollen, auch satirischen Blick auf die Automobilität präsentierte. Sein Rotkehlchen als „Porsche Killer“ (mit Matchbox-Porsche im Schnabel) sorgt für etliche Schmunzler.
Staunen und Begeisterung rufen zudem die Arbeiten von Hendrik Schmeer hervor. Er ist mit 23 Jahren der jüngste Künstler, der je auf der Classic-Gala ausgestellt hat. Und Curd Achim Reich muss nicht betonen, wie begnadet er den jungen Mann findet: Dessen fotorealistische Zeichnungen sprechen Bände.
Die Classic-Gala 2023 hat so viele Geschichten zu bieten – und die neuen Kapitel werden im nächsten Jahr wieder geschrieben, wenn die schöne Oldtimerschau vom 30. August bis 1. September 2024 in den Schlossgarten Schwetzingen kommt.
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