Schwetzingen. Also das haben wir uns immer anders vorgestellt: Eden soll in diesem Stück ein wüster Ort sein, ein „waste land“, eine grausame Einöde zwischen sozialistischen Lochfassaden in Plattenbauten und Forschern im farblosen Einheitslook? Alles ist grau. Alles nackt. Alles tot. Gott, die hier Andrea Moses heißt und im Nebenberuf auch noch Regisseurin ist, hat echt einen schlechten Job gemacht. Lebendig sind hier nur Adam und Eva, die ständig notgeil an sich herumfummeln, und – natürlich – das Objekt der Begierde: der Apfel. In diesem Paradies namens Socialism reloaded baumelt er prall mitten an einem Drahtseil und ist vor allem eines: gelbrot.
Svoboda und seine Oper „Adam und Eva“
- Der Komponist: Mike Svoboda, geboren 1960 auf Guam, studierte in Illinois und arbeitete eng mit Karlheinz Stockhausen zusammen. Bekannt für unkonventionelle Kompositionen, kombiniert er experimentelle Klänge mit Jazz und Minimal Music. Ausgezeichnet mit dem Schneider-Schott-Musikpreis, hat er über 40 Jahre Erfahrung. „Adam und Eva“ ist seine erste Erwachsenen-Oper.
- Die Oper: Gott hat die Welt und Adam und Eva erschaffen, um ein ernstzunehmendes Gegenüber zu haben. Satanael verführt Eva, den Apfel zu probieren, während Gabriel sie vergeblich zu schützen versucht. Eva beißt in den Apfel und überzeugt Adam, es auch zu tun. Das Paar wird aus dem Paradies verbannt, erkennt Gut und Böse und erlangt Freiheit, während Gott trauert - und weint.
Hundertfünfzig mitunter lange Minuten später wird das Ding angenagt, die Erkenntnis gewonnen, der Eden-Sozialismus zu Grunde gegangen und die ach so bunte Erlebnis-, Individual- und Hedonistengesellschaft ausgerufen sein. Déjà-vu? 1989? Auch Gott, der irgendwie verdammt aussieht wie Mauerbauer Walter Ulbricht, lässt die Hosen runter und tritt ab. Unter Glitzern, Leuchten und blubbernden Hormonen heißt es dann: It’s Party-Time! Adam, Eva und die ganze Bibel-Bande widmet sich über einem geordneten schmerzenden Fünfertakt dem Credo einer neuen Zeit und singt: Love, beauty, serenity, novelty, mischief and mirth! Kapitalismus frisst Seele auf.
Eine Oper über Ur-Verführung und Weltanschauung
Klar, es geht um Verführung bei dieser Premieren-Eröffnung und ja insgesamt bei diesen Schwetzinger Festspielen, die erstmals von Cornelia Bend verantwortet werden. Eine Ur-Auf- zum Thema der Ur-Verführung gewissermaßen ist Mike Svobodas Oper, zu der seine Partnerin Anne-May Krüger das Libretto schrieb - auf die Dramen-Vorlage des zwiespältigen Sozialistenmillionärs Peter Hacks, dessen Stück 1972 die Genesis-Episode ins Hegel‘sche Große erweitert hat zu Weltanschauung und politischer Überzeugung.
Das funktioniert hier nur punktuell gut. 130 Minuten zeitgenössisches Musiktheater für eine Geschichte, die die Autoren des Buch Mose in zwei Minuten erzählen und die jeder kennt, sind mehr als gedehnte Zeit - da können die abwechslungsreichen Stilistiken Svobodas und das überflüssige Hineinmontieren zweier Einhörner nicht helfen. Über weite Strecken vor allem in Teil eins des Abends breitet sich immer wieder Langeweile unter dem instrumental-vokalen Dauerbeschuss aus – da können das hr-Orchester (das des SWR war nicht verfügbar für die SWR-Festspiele), der Extrachor aus Linz sowie Tina Josephine Jeager (Eva), Alexander York (Adam), Morgane Heyse (Gabriel), Manuela Leonhartsberger (Sataniel), die Einhörner Génesis Beatriz López Da Silva und Felix Lodel sowie Sprecher Sebastian Hufschmidt (Gott) noch so gut spielen, singen, sprechen und agieren.
Auch Diktatur ist gewissermaßen Absolutismus
Nun kann der Schlossgarten in Schwetzingen ja mehr mit dem Paradies verwechselt werden als die DDR, und es hat ja eine besonders würzige Note, dass dieses Stück, das den Sozialismus ja gewissermaßen als den Garten Eden postuliert, sich auf diesem absolutistischen Terrain abspielt.
Auch Diktatur ist gewissermaßen eine Form von Absolutismus. Darum kümmert sich bei dieser Verführungs-Orgie am zweiten Festivaltag dann auch keine Geringere als Katja Riemann mit Geigerin Franziska Hölscher, Pianistin Marianna Shirinyan und dem Doppel-Schlag „Karneval des Glücks“ und „ver-Führung“. Mal sehen.
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