Mannheim. Hat der Mann, der am Montag mit seinem Auto auf den Planken zwei Menschen getötet und mindestens elf weitere teilweise schwer verletzt hat, Verbindungen zu Rechtsextremen und zu Reichsbürgern? Am Dienstag berichtet die Online-Plattform Exif, dass Alexander S. Teil der Gruppe Ring Bund, einem nicht eingetragenen Verein mit Sitz in der Schweiz, gewesen sein soll.
Demzufolge soll die Gruppe von Neonazis angeführt werden und der Reichsbürger-Szene zugeordnet werden. Die Plattform teilt außerdem ein Bild, das Alexander S. mit einer Waffe zeigen soll. Auch die Plattform Belltower veröffentlicht am Mittwoch ein Bild, das ihn auf einer rechtsextremen Demonstration zeigen soll.
Worauf sich Exif beruft, ist kaum bekannt. Der Text weist an zahlreichen Stellen keine Quellen aus. Die Online-Plattform bezeichnet sich selbst als „unabhängig“ und „antifaschistisch“. Sie gilt allerdings, wie vergleichbare Plattformen, in rechtsextremen Kreisen als gut vernetzt. In der Vergangenheit hatte Exif unter anderem Verbindungen des Mörders von Walter Lübcke in die rechtsextreme Szene offengelegt sowie weitere Recherchen in den Milieus betrieben. Kritiker werfen der Plattform, deren Autoren anonym arbeiten, hingegen eine Nähe zum Linksextremismus und vor allem mangelnde Transparenz vor.
Sprecherin des LKA zur Amokfahrt in Mannheim: „Für konkrete Tat keine Hinweise auf politische Motivation“
Landeskriminalamt (LKA) und Staatsanwaltschaft gehen am Mittwoch trotz des Berichts weiterhin nicht von einer politisch-motivierten Tat aus. Zwar seien den Behörden Hinweise „auf mögliche Kontakte“ von Alexander S. ins rechtsextreme Milieu im Jahr 2018 bekannt, heißt es am Nachmittag in einer gemeinsamen Mitteilung. „Abfragen bei verschiedenen Nachrichtendiensten führten allerdings zu keinen extremismusrelevanten Rückmeldungen. Auch bei den bisher gesichteten Asservaten konnten bislang keinerlei Anhaltspunkte für eine extremistische Gesinnung des Tatverdächtigen gefunden werden.“
Bereits am Vormittag hatte eine Sprecherin des LKA dieser Redaktion erklärt, „für die konkrete Tat“ läge nach derzeitiger Kenntnis „kein politisch motivierter Hintergrund vor, sondern vielmehr eine psychische Erkrankung des Tatverdächtigen“. Inhalte entsprechender Berichte würden die Ermittler allerdings „prüfen und verifizieren“.
Wie aus der Mitteilung am Nachmittag hervorgeht, gehen die Behörden davon aus, dass bei Alexander S. „seit vielen Jahren eine psychische Erkrankung vorliegt“. Demnach soll er sich regelmäßig in ärztlicher beziehungsweise psychiatrischer Behandlung befunden haben, im vergangenen Jahr auch stationär.
Mannheimer SPD-Politiker Weirauch fordert, politische Motive nicht auszuschließen
Der Mannheimer Landtagsabgeordnete Boris Weirauch (SPD) fordert am Nachmittag indes, sich nicht zu früh auf eine mögliche psychische Erkrankung als Ursache der Tat zu fokussieren. „Es treten jetzt verstärkt Anhaltspunkte für eine Verbindung des Amokfahrers in die rechte Szene auf, die ungeachtet möglicher psychischer Auffälligkeiten politische Tatmotive nicht ausschließen“, teilt der Sozialdemokrat mit. Zudem müsse geklärt werden, ob und inwieweit der Festgenommene über eine waffenrechtliche Erlaubnis verfüge. Gemeinsam mit seinem Mannheimer Fraktionskollegen Stefan Fulst-Blei hat Weirauch in einer Kleinen Anfrage Aufklärung der Landesregierung über Verbindungen des Verdächtigen in die rechtsradikale Szene gefordert.
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Alexander S. hatte sich vor seiner Festnahme mit einer Schreckschusswaffe in den Mund geschossen. Mittlerweile ist er aus dem Krankenhaus entlassen und in eine Justizvollzugsanstalt überstellt. Gegen ihn liegt ein Haftbefehl wegen Mordes in zwei Fällen, versuchten Mordes in fünf Fällen jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Körperverletzung in elf Fällen vor. Er hat sich bislang nicht geäußert.
Weirauch, verfassungsschutzpolitischer Sprecher seiner Fraktion, beschäftigt sich im Zuge seiner parlamentarischen Arbeit seit seiner Zeit als Obmann im NSU-Untersuchungsausschuss mit Extremismus. „Wenn psychiatrisch auffällige Personen, die in rechtsextremistische Verschwörungsmythen abgleiten, zudem noch – ob legal oder illegal – Zugang zu Waffen haben, ist das hochgefährlich und muss hinterfragt werden“, sagt Weirauch dieser Redaktion. Die Gruppe Ring Bund ist ihm im Rahmen seiner parlamentarischen Arbeit bislang noch nicht bekannt gewesen.
Festgenommener Alexander S. war 2010 wegen Körperverletzung verurteilt – und „vermindert schuldfähig“
In einem Gerichtsverfahren ist Alexander S. vor Jahren indes als „vermindert schuldfähig“ eingestuft worden, wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Koblenz dieser Redaktion mitteilte. Alexander S. ist demnach rechtskräftig verurteilt, nachdem er im Dezember 2009 eine Frau mit einem Elektroschocker leicht verletzt hat. Im November 2010 wurde er wegen gefährlicher Körperverletzung in einem minderschweren Fall zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden war, erklärt der Sprecher der zuständigen Staatsanwaltschaft Koblenz.
Nach Ablauf der Bewährung wurde die Strafe Ende 2012 erlassen. Weshalb das Gericht von einer verminderten Schuldfähigkeit ausgegangen war, konnte der Sprecher nicht sagen. Weil Tat und Verurteilung viele Jahre zurückliegen, seien die Akten gemäß den Vorschriften bereits ausgesondert und vernichtet, hieß es.
Zwei Tote – eine 83-Jährige und einen 54-Jährigen – und mindestens elf Verletzte, davon fünf schwer, forderte die etwa 1,2 Kilometer lange Amokfahrt zwischen Wasserturm und der Straßenbahnauffahrt zur Kurt-Schumacher-Brücke auf Höhe E 7. Sieben Verletzte, die ins Theresienkrankenhaus eingeliefert worden waren, sind inzwischen wieder entlassen. Das bestätigte eine Sprecherin der Klinik dieser Redaktion. In der Universitätsmedizin Mannheim werden noch zwei Verletzte behandelt. Das laut Staatsanwaltschaft zweijährige Kind konnte die Klinik bereits verlassen, hieß es aus dem Krankenhaus. Zu einer weiteren verletzten Person, die in die BG Klinik Ludwigshafen gebracht worden ist, macht das Krankenhaus keine Angaben.
Die ersten beiden Menschen soll der Täter am Plankenkopf auf Höhe eines Schnellrestaurants angefahren haben, berichtete ein Augenzeuge. Auf Handy-Videos, die dieser Redaktion vorliegen, ist zudem zu sehen, wie zwei weitere Verletzte, dem Anschein nach Frauen, am Paradeplatz auf dem Boden liegend von Passanten behandelt werden.
83-jährige Frau erlag noch vor Ort in Mannheim ihren Verletzungen
Eine weitere Frau hatte der Fahrer kurz zuvor auf Höhe des Kaufhauses Galeria angefahren. Auf einem weiteren Video ist zu sehen, wie eine Frau in Nähe des Kiosks am Paradeplatz reanimiert wird. Nach Informationen dieser Redaktion handelt es sich dabei um die 83-Jährige. Sie sei noch vor Ort ihren Verletzungen erlegen, teilte die Staatsanwaltschaft am Mittwoch auf Anfrage hin mit.
Den 54-jährigen verstorbenen Mann hatte der Amokfahrer auf Höhe der Haltestelle Strohmarkt am Modehaus Engelhorn erfasst. Er stammt nach Informationen dieser Redaktion aus Buchen im Neckar-Odenwald-Kreis, war im Stadtteil Bödigheim beheimatet und im Musikverein Hainstadt aktiv. Jahrelang habe er sich dort engagiert, sagte die Hainstadter Ortsvorsteherin Regina Schüßler dieser Redaktion.
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