Stuttgart. Als vor zwei Wochen die Mannheimer Polizeipräsidentin Ulrike Schäfer und der Präsident des Landeskriminalamts in Baden-Württemberg, Andreas Stenger, ihre Aussagen im Prozess um das Mannheimer Messerattentat machten, war der größte Sitzungssaal am Oberlandesgericht in Stuttgart-Stammheim gut gefüllt. Später am Nachmittag lichteten sich die Reihen wieder. Und so ging in der öffentlichen Wahrnehmung fast unter, was später an diesem Tag passierte.
Der Vorsitzende des Senats, Herbert Anderer, gab am Nachmittag einen sogenannten rechtlichen Hinweis, lapidar gesprochen eine Art Vorabinformation oder eine „Vorwarnung“ ab. Er verkündete, dass das Gericht mit dem Urteil gegen Sulaiman A. eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung oder den Vorbehalt der Sicherungsverwahrung anordnen könnte.
Urteil Mitte September erwartet
- Der Prozess um das Mannheimer Messerattentat neigt sich seinem Ende entgegen. Ende Juli soll der Psychiatrische Sachverständige sein Gutachten vortragen, im August sollen dann die Schlussvorträge der Bundesanwaltschaft, der Nebenkläger sowie der Verteidiger folgen.
- Nach der Sommerpause will der Staatsschutzsenat am Oberlandesgericht (OLG) in Stuttgart das Urteil gegen den mutmaßlichen Messerattentäter verkünden.
Sollte der Angeklagte Sulaiman A. wegen Mordes – wie angeklagt – verurteilt werden, kann er nach deutschem Recht nur mit einer lebenslangen Haftstrafe bedacht werden. Doch lebenslang heißt nicht immer tatsächlich bis zum Ende des Lebens. Stellt ein Gericht aber die besondere Schwere der Schuld fest, gilt eine vorzeitige Haftentlassung zur Bewährung nach 15 Jahren als nahezu ausgeschlossen. Als weiteres Mittel zur Strafverschärfung steht Richterinnen und Richtern die sogenannte Sicherungsverwahrung zur Verfügung.
Stellvertretende JVA-Leiterin sollte Sulaiman A.s Reue bezeugen
Dieser rechtliche Hinweis sorgte in den vergangenen beiden Wochen für einen gewissen Handlungsdruck bei Sulaiman A. und seinen Verteidigern. So beantragten sie die Vernehmung einer weiteren Zeugin. Als der Angeklagte in einer der Frankfurter Justizvollzugsanstalten untergebracht war, war sie stellvertretende Leiterin der Anstalt. Ihr gegenüber soll Sulaiman A. geäußert haben, dass er die Tat aufrichtig bereue, zumindest finden sich in den Akten Hinweise darauf.
Doch während der Aussage der Zeugin kristallisiert sich heraus, dass sie nie alleine mit Sulaiman A. sprach. Die Gespräche im Beisein anderer Mitarbeiter kreisten meist um die Haftbedingungen, um „ihre Themen: Sicherheit und Ordnung“.
Doch der Zeugin und den anderen Mitarbeitenden fiel auf, dass Sulaiman A. eigentlich immer betete, wann immer sie zu ihm kam, wann immer ihr Blick im Vorbeigehen zu dem Überwachungsbildschirm wanderte. Einmal fragte sie ihn nach seinen Gebeten und er sagte ihr, dass er den Imam des Gefängnisses gefragt habe, ob er zusätzliche Gebete sprechen könne, weil er Schuldgefühle habe, und das habe dieser bejaht. So erzählt es die Zeugin vor Gericht. Während er von Schuldgefühlen sprach, bezog sie das auf Sulaiman A.s Familie – aber das sei ihre eigene Interpretation gewesen.
Zwei Wochen nach dem rechtlichen Hinweis betritt eine weitere Frau den Zeugenstand: die Ehefrau des Angeklagten. Ihre Aussage soll die andere, die private Seite des Sulaiman A. zeigen. Auf Hinweis des Psychiatrischen Sachverständigen hätten sie Rücksprache mit der Ehefrau gehalten, die eingewilligt habe, sagen die Verteidiger von Sulaiman A., Mehmet Okur und Axel Küster, am Rande der Verhandlung im Gespräch mit dieser Redaktion.
Offene Fragen bleiben: Was passierte mit dem Tablet? Wer löschte den Google-Account des Angeklagten?
„Ich habe mich entschieden, dass ich heute sprechen möchte, damit ich es in ein paar Jahren nicht bereue“, sagt sie. Weil sie nicht will, dass ihre Kinder ihr irgendwann einmal Vorwürfe machen, weil sie geschwiegen hat. Dann wendet sie sich an die Angehörigen der Familie Laur. Den Eltern und den Schwestern ihr Beileid auszusprechen, sei ihr am wichtigsten, sagt sie. Und auch den Verletzten wolle sie sagen, wie schrecklich leid ihr das tue, was passiert sei.
Dann beginnt die Frau zu erzählen, von der Liebe zu Sulaiman, dem Angeklagten, die zwischen den beiden erwuchs, als sie fast noch Kinder waren. Von der Heirat, kurz nach ihrem 18. Geburtstag, die ein gemeinsamer Lebenstraum gewesen sei. Dann spricht sie über die Geburt der ersten Tochter, die an diesem Tag, an dem sie vor Gericht aussagt, fünf Jahre alt wird. Und über die Geburt des Sohnes im Januar 2024, über die zehrenden Wochen danach. 16 Tage nach der Geburt stellten Ärzte Herzprobleme bei dem Jungen fest. In dieser Zeit habe sie Sulaiman A. zum ersten Mal weinen sehen. Sie habe bemerkt, dass er sich mehr und mehr zurückzog, sagt die 24-Jährige.
Sie berichtet vor Gericht, dass ihr auffiel, dass er mehr Zeit am Handy verbrachte und auch, dass er sich mehr mit Religion beschäftigte. „Aber ich habe nichts bemerkt.“ Bis heute begleite sie die Frage nach dem „Warum“. „Das macht keiner mit normalem, gesunden Menschenverstand“, sagt die Ehefrau. Sie hätten Pläne gehabt, wollten in den Urlaub, der kleine Sohn sei ein Wunschkind gewesen. Bis heute könne sie nicht realisieren, was er getan habe.
Und doch bleiben Fragen offen. Fragen die der Senatsvorsitzende stellt und die sie nicht beantwortet. Was passierte mit dem Tablet, das sich in der Wohnung befunden haben soll? Wer löschte den Google-Account des Angeklagten?
Danach spricht sie über die Zeit nach dem 31. Mai 2024, über den Hass und die Hetze, die über sie hereinbrachen, die Drohungen im Netz, die sie für die Staatsanwaltschaft dokumentierte. Und über die Wut auf ihren Mann, die bis heute anhält. Doch da seien auch viele andere Gefühle, Verzweiflung und Angst. Angst vor Rache und ja, auch Angst um ihren Mann. „Obwohl ich wütend auf ihn war, wollte ich natürlich nicht, dass er stirbt“, sagt sie.
Doch ihr Leben sei ruiniert, ihr Leben und das der beiden „unschuldigen Kinder“.
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