Speyer. Die Geschichte, die Gerhard Jakob zum Einstieg in das Gespräch erzählt, wird wohl vor allem Männer zum Lachen bringen: Nach seinem Alltag seit seinem Ausscheiden aus dem offiziellen Arbeitsleben gefragt, sagt er frank und frei - und auch ein wenig ironisch: „Wissen Sie, ich bin es gewohnt, um 7 Uhr zur Arbeit zu fahren. Jetzt sitze ich um 7 Uhr im Bett und nehme die ersten Arbeitsaufträge meiner Frau entgegen. Um 8.30 Uhr stehen wir dann oft kurz vor der Scheidung.“
Gerhard Jakob: Ein Workaholic des alten Schlages
Gerhard Jakob ist ein Arzt vom alten Schlag. Der 78-Jährige hat sich in all seinen Berufsjahren als Vollzeit-Mediziner begriffen. Zwölf-Stunden-Tage waren in seiner Praxis eher die Regel als die Ausnahme - ein Workaholic wie er im Buche steht also. Daran änderten auch seine zwei Söhne, die beide inzwischen über 40 Jahre alt sind, wenig.
Seine Laufbahn begann seinerzeit im Speyerer Diakonissen-Krankenhaus als Oberarzt, das heute als die größte Geburtsklinik in Rheinland-Pfalz gilt. Als der gebürtige Franke in den 80er Jahren in die niedergelassene Praxis eines Kollegen in der Domstadt einstieg, da boomte das Geschäft.
Biografie
- Gerhard Jakob (78) arbeitete nach seinem Studium in Würzburg und in Heidelberg seit 1981 als Oberarzt im Diakonissen-Krankenhaus in Speyer
- 1986 stieg er in eine bereits bestehende Frauenarztpraxis in der Bahnhofstraße in Speyer ein. Seit dem Jahr 2022 gehört diese Praxis zum Medizinischen Versorgungszentrum Rhein-Haardt, das zu den Diakonissen gehört. Dort arbeite er bis Dezember 2024.
- Jakob lebt in Neustadt/Hambach und hat aus erster Ehe zwei Söhne. Der ältere Sohn ist heute ebenfalls als Frauenarzt in Würzburg tätig.
Wer viel arbeitete, der verdiente viel. Die heutigen Einschränkungen und Reglementierungen des Gesundheitssystems gab es in dieser Weise nicht. Heiner Geißler war Gesundheitsminister. Auf ihn folgte Rita Süßmuth. Ärzte waren die viel zitierten Halbgötter in Weiß und die Facharztpraxen waren jeweils Goldgruben. In den Neubaugebieten der Region konnte man das live mitansehen.
Denn da, wo die Mediziner in den 80er Jahren ihre veritablen Villen hinstellten, da konnte man sie als erstes bestaunen - diese sich automatisch öffnenden Garagentore, wenn der zum Haus gehörende Mercedes sich mitsamt seinem Fahrer anschickte, in die geflieste Hofeinfahrt einzubiegen. Sommerurlaub hieß Segelturn. Schenkt man aber den Aussagen des erfahrenen Gynäkologen Glauben, dann kommt die Kassenarztpraxis in dieser ursprünglichen Form langsam an ihr Ende.
Nehmen Frauenärzte ihre Patientinnen ernster?
Gerhard Jakob hat einige Gesundheitsreformen erlebt in seinem bisherigen Arbeitsleben. Am besten darstellen lassen sich all die Jahre, indem er ausdrückt, dass zuletzt die Enkelinnen jener Frauen in seine Praxis kamen, die er als junger Arzt zur Entbindung begleitete. „Das ist eine sehr befriedigende Geschichte, wenn Patienten so lange zu einem kommen, weil sie das Vertrauen haben.“
Ich bin immer noch der Meinung, dass Männer das Beschwerdebild abstrakter sehen und ernster nehmen.
Gerhard Jakob spricht tatsächlich von Patienten, also in der männlichen Form, obwohl es mutmaßlich zu 100 Prozent Frauen waren, die er behandelte. Gendern, das stellt man während des Gesprächs fest, ist seine Sache nicht. Das darf aber ja jeder selbst entscheiden. Aber auch in der Frage, ob Frauenärztinnen inzwischen nicht doch die beliebteren Frauenärzte sind, ist er mindestens zwiegespalten. „Ich bin immer noch der Meinung, dass Männer das Beschwerdebild abstrakter sehen und ernster nehmen“, sagt Jakob.
Er erläutert es an einem Beispiel: „Wenn ich einem Patienten mittleren Alters eine Gebärmutterentfernung empfehle und sie kommt in ein Krankenhaus, wo eine junge ärztliche Kollegin mit einem eigenen unerfüllten Kinderwunsch kämpft, dann wird die junge Kollegin vielleicht die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn jemand zur Entfernung einer Gebärmutter rät.“
80.000 Frauen behandelte der Frauenarzt aus Speyer
Rund 80 000 Frauen hat Gerhard Jakob in seiner Praxis empfangen. Das hat er selbst zuletzt zusammengerechnet. Sein Praxisteam, das aus mehreren Frauen bestand, erlebte einen Mann, dem die Herzlichkeit vielleicht nicht zu jedem Zeitpunkt aus dem Gesicht sprang. Es erlebte einen Chef, der seinen Beruf gewissenhaft ausübte und sich selbst nicht schonte. Als Dienstleister begreift er sich bis heute. So erleben wir ihn während des Treffens in einem Speyerer Café vergangene Woche am späten Nachmittag.
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Jakob ist einige Minuten früher da und hat sich schon eine Rieslingschorle bestellt. Auffallend ist, dass der Mann kein Gramm Fett zu viel an sich zu haben scheint. Sehnig und athletisch ist sein Oberkörper - eher untypisch für einen 78-Jährigen. Er trägt eine etwas schwerere Uhr am linken Handgelenk und einen modischen Pullover. Er arbeite gerade an seinem Golfspiel, gibt er zu. Seine Frau fordere ihn auf diesem Gebiet heraus. Dann kommt er schnell auf die Praxis zu sprechen. Denn: Er hat eine neue Stelle.
Der Trend geht zum Medizinischen Versorgungszentrum
„Die Form der Einzelpraxis kommt vielleicht an ihr Ende“, denkt er. Er meint damit den Ort, an dem sich ein einzelner Arzt niederlässt, mit der Vorstellung durch die Behandlung möglichst vieler Patienten eine gewisse Rentabilität zu erreichen. Inzwischen hätten niedergelassene Ärzte mehr Einschnitte durch die Krankenkassen. Durch einen höheren Zeitaufwand werde der relative Mehrverdienst nicht mehr so gedeckt.
Zudem habe sich die Gesellschaft durch die höhere Anzahl berufstätiger Frauen verändert. Die Kindererziehung werde auch unter den Ärzten auf die Schultern beider Elternteile verteilt, so komme es, dass viele Mediziner eben nicht mehr so lange arbeiteten. Das wiederum führe zu weniger niedergelassenen Praxen und zu mehr sogenannten Medizinischen Versorgungszentren, wo angestellte Ärzte um 16 Uhr ihre Instrumente fallen ließen. „Ich habe mich immer über meine Arbeit definiert und einen Erfolg darin gesehen, dass so viele Patienten übe einen solch langen Zeitraum zu mir kommen“, sagt Jakob.
„Für niedergelassene Ärzte ist Karl Lauterbach eine rote Socke“
Der Asket wohnt schon lange nicht mehr in Speyer. Mit seiner heutigen Frau lebt der dreifache Großvater im Neustadter Ortsteil Hambach und pendelte von dort aus über viele Jahre in die Praxis. Ein Freund des Gesundheitsministers Karl Lauterbach wird er in diesem Leben wahrscheinlich auch nicht mehr: „Für niedergelassene Ärzte war er immer eine rote Socke“, sagt Jakob.
Lauterbach habe nie in einer niedergelassenen Praxis gearbeitet, von daher könne er sehr schwer nachvollziehen, was engagierte Ärzte Tag für Tag leisteten und wie die Vergütung eigentlich aussehen sollte, aber heute nicht mehr aussehe. Wäre Jakob an Lauterbachs Stelle, würde er den vorhandenen Leistungswillen der Ärzte nicht derart beschränken.
So wenig er sich über die aktuelle Politik freut, so sehr genießt Jakob die schönen Erinnerungen, reflektiert aber auch Brustkrebserkrankungen, die er vielleicht nicht früh genug erkannt hat. „Es ist immer Teil unseres Berufs, sich selbst zu hinterfragen“, sagt er. Was sein Alter betrifft, gibt er der Erfahrung Vorrang vor der Agilität eines vielleicht 38-jährigen Arztes. Er sei da heute vielleicht weiter in der Fähigkeit, Dinge rechtzeitig zu erkennen - gerade bei Brustkrebs. Dreimal seien Kinder direkt in seiner Praxis geboren worden - auch das seien Erlebnisse, auf die er zurückblicke.
Nicht ausgeschlossen, dass ihm das ein weiteres Mal passiert, denn seit einigen Tagen arbeitet der promovierte Mediziner Gerhard Jakob wieder: In der Privatpraxis der Gynäkologin Tatjana Mönig in Waldsee „entflieht“ er in Teilzeit dem Dasein als Hausmann. Zusätzlich wirkt er am Bildschirm bei „Teleclinic“ und berät dort Menschen medizinisch per Videoübertragung - ein echter Workaholic eben.
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