Justiz

Mutmaßliche Attentäter von Mannheim: “Heute muss jemand sterben“

Der mutmaßliche Messerattentäter vom Mannheimer Marktplatz hat am Dienstag über die Tat und seine Radikalisierung gesprochen.

Von 
Agnes Polewka
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Der Angeklagte Sulaiman A. zu Beginn des Prozesses. © Martin Burkhardt

Mannheim. Er benötigt nur wenige Minuten, wenige Sätze, und dann spricht er über den 31. Mai 2024, den Tag, an dem er „diese schreckliche Tat“ begangen hat. Das Messerattentat auf dem Mannheimer Marktplatz.

Sulaiman A. hat in den vergangenen Monaten zu den Tatvorwürfen geschwiegen, während der Ermittlungen und auch zu Beginn seines Prozesses. Seit Mitte Februar muss er sich wegen Mordes, versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung vor dem Oberlandesgericht (OLG) in Stuttgart verantworten. Am Dienstag hat er sein Schweigen über die Tat gebrochen.

Verzweiflung des Angeklagten über den Gaza-Krieg

Er erzählt im Sitzungssaal 1 des Gerichtsgebäudes in Stuttgart-Stammheim, wie er am Morgen des 31. Mai 2024 sein Handy in einem Altkleidercontainer vor seinem Haus deponierte und die SIM-Karte entfernte. In der Hoffnung, es dort später wiederzufinden. Später, nach seiner Rückkehr vom Mannheimer Marktplatz.

Dann habe er einen Zug nach Mannheim genommen, vom Hauptbahnhof sei er mit der Straßenbahn zum Marktplatz gefahren. Um zu töten, um den bekannten Islamkritiker Michael Stürzenberger zu töten.

Über Wochen habe er dessen Auftritte auf YouTube verfolgt, in einer Zeit, in der ihn der Ausbruch des Gaza-Kriegs sehr beschäftigte. Er habe sich viele Gedanken gemacht, wie man „diesen armen Menschen“ helfen könne. Und wie sich ihr Leid mit seinem Schicksal vertrug, mit seinem Leben in Deutschland, einem Land, das solidarisch zu Israel stehe. Und so habe er sich gefragt, wie qualifizierte Gelehrte zu Ländern stehen, die Israel unterstützen.

Er abonnierte verschiedene Telegram-Kanäle und chattete mit einem Gesprächspartner, „OR“, den er als „Lehrer“ bezeichnete. Dessen Identität gilt bis heute als ungeklärt. Mit „OR“ sprach er über seine Gedanken, auch über seine Idee, das Land wegen seiner politischen Ausrichtung zu verlassen. Doch „OR“ habe ihn bekräftigt, zu bleiben. Und er erteilte ihm auch die „Absolution“, als „normaler“ Muslim Ungläubige töten zu dürfen. „Jeder, der für Gott tötet, ist ein Mujahedin“, sei ein islamistischer Widerstandskämpfer, habe „OR“ ihm geschrieben.

Stürzenberger als Provokateur empfunden

Sulaiman A. berichtet, er habe sich ein Messer bestellt und dann sei ihm ein bestimmter Gedanke gekommen: „Wenn man jemanden töten will, warum dann nicht Herrn Stürzenberger?“ Er empfand dessen Auftritte als Provokation, als Affront gegenüber den Muslimen, die wegen des Gaza-Konflikts ohnehin litten.

Als die Straßenbahn am Marktplatz eingefahren sei, habe er Angst bekommen. Er habe Polizeiautos gesehen und sei weitergelaufen. In einem Hausflur zwischen zwei Restaurants am Marktplatz habe er seine SIM-Karte zerbrochen, die in einem alten Gerät steckte. Und das Messer habe er an seinem Körper versteckt.

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Dann, sagt er, sei er wieder an den Stand der rechtspopulistischen „Bürgerbewegung Pax Europa“ (BPE) gegangen. Viele Monate früher, bei einem Besuch in Frankfurt, war er erstmals auf den Verein aufmerksam geworden. Michael Stürzenberger und sein Verein hatten seine Aufmerksamkeit erregt, in der Zeit danach verfolgte er Stürzenbergers Auftritte im Internet.

Stürzenberger habe sich auf dem Marktplatz zunächst mit zwei Polizisten unterhalten, danach habe er ein Handystativ in der Hand gehalten. A. beschreibt, wie er sein Messer zog und zustach. „Ich habe zweimal zugestochen und dann war ich auf ihm, und er hat ängstlich geguckt.“ Weitere Personen seien hinzugekommen, auch auf sie stach er ein. Beide BPE-Mitglieder, über die er spricht, sind an diesem Dienstag im Saal, einer von ihnen als Nebenkläger. Auch Michael Stürzenberger tritt in dem Verfahren als Nebenkläger auf und nimmt zum dritten Mal an der Verhandlung teil.

„Ich dachte Stürzenberger ist tot, aber dann ist er aufgestanden und ich dachte: Was? Er lebt noch?“, sagt Sulaiman A. und spricht dann darüber, wie er abermals zustach. Seine Stimme bricht immer wieder.

In den Sekunden danach sei alles dunkel geworden, jemand habe seine Hand gehalten, doch der Griff habe sich gelockert. Er habe wieder zugestochen und sei aufgestanden. „Ich habe den Polizisten gesehen und habe gedacht: Heute muss jemand sterben.“

Zwei Reihen hinter ihm sitzen zwei Frauen, die die Köpfe schütteln. Der Polizist – das war ihr Sohn und ihr Bruder. Die Schwestern von Rouven Laur und seine Eltern treten in dem Verfahren als Nebenkläger auf, eine Schwester und die Mutter sind an diesem Dienstag zum zweiten Mal im Gerichtssaal. Hinter ihnen ragt eine Panzerglaswand empor, dahinter sitzen Journalistinnen und Journalisten, Prozessbeobachterinnen und -beobachter. Alle 95 Plätze des Saals sind an diesem Dienstag besetzt, der Prozess hat wegen des großen Andrangs eine Stunde später begonnen.

Er habe auf Rouven Laur eingestochen, sagt er. Und dann, dann habe er auf dem Boden gelegen und nur noch Pflastersteine gesehen. Als er im Krankenhaus aus dem Koma erwachte, habe er zunächst geglaubt, er träume.

Wollte Sulaiman A. den Märtyrertod sterben?

Danach fragt der Vorsitzende Richter des Senats, Herbert Anderer, nach seiner Kindheit, wie religiös die Familie gewesen sei. „Mein Vater hat schon gebetet, meine Mutter manchmal.“ Dann geht es darum, wie er als Jugendlicher seinen Glauben kultivierte, ob er fastete – „ja“-, ob er zum Freitagsgebet ging – „ja, wenn möglich“ – und ob seine Religiosität seinen Blick auf Frauen verändert habe – „nein“.

Es geht um viele Details, um einzelne Chats, konkrete Dateien. Anderer begibt sich auf die Spuren von Sulaiman A.s Radikalisierung. Und Stunden später fragt er Sulaiman A., ob er den Märtyrertod sterben wollte. Warum er das Handy nicht einfach zu Hause gelassen habe, wenn er doch geplant habe, nach der Tat zurückzukehren? Und was mit der Abschiedsnachricht an seine Mutter sei? Oder warum er sich, wie viele Märtyrer vor ihm, vor der Tat die Haare geschnitten habe? Sulaiman A. windet sich, weicht aus, erklärt, er habe sich nicht verabschiedet. Und die Haare habe er sich geschnitten, um nicht wiedererkannt zu werden.

Und geht dann mit Anderer den Angriff auf den Marktplatz durch, an den er nur rudimentäre Erinnerungen habe, vor allem an Stürzenberger und den „armen Polizisten“. Zehn Monate nach der Tat sagt Sulaiman A.: „Ich wünschte, ich könnte die Tat rückgängig machen.“ Diese „unverzeihliche“ Tat, über die er Tag und Nacht nachdenke.

Redaktion

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