Schwetzingen. Wer schöne Klaviermusik liebt, wird auch Amy Reiss auf der Bühne zu schätzen wissen. Die junge Pianistin, Jahrgang 1996, ist in Schwetzingen keine Unbekannte. Angefangen hat alles durch einen Zufall, als Reiss mit sechs Jahren in der Wohnung über ihr jemanden Klavier spielen hörte. Statt sich zu beschweren, machte die Mutter etwas viel Besseres und schickte Amy zum ersten Klavierunterricht bei der Nachbarin Georgine Schneider.
Schnell wurde klar: Dieses Talent muss gefördert werden. Die Reise ging weiter im Klavierstudio Worm-Sawosskaja in Schwetzingen. Mit elf Jahren lernte Reiss den Pianisten und Pädagogen Sergey Korolev kennen, der sie bereits nach einigen Monaten an Schülerkonzerten teilnehmen ließ. Bereits ein Jahr später holte sie zahlreiche Preise von nationalen und internationalen Wettbewerben nach Schwetzingen.
Den Alltag vergessen
Hinter dem großen Erfolg steckt eine sehr sympathische, junge Frau, die sich an die Anfänge ihrer Karriere im Klavierstudio erinnert: „Den Unterricht bei Sergey Korolev und auch bei Miriam Weiss in Musiktheorie und -geschichte habe ich sehr genossen. Es war immer etwas Besonderes, weg vom Alltag aus Schule und Hausaufgaben bestehend, ins Klavierstudio einzutreten und mich voll und ganz auf die Musik zu konzentrieren. Wenn ich im Unterricht saß, hatte ich gar keine Zeit und Gehirn übrig, an irgendwelche Zankereien im Freundeskreis oder an den schier unbezwinglichen Chemieunterricht zu denken. Der Unterricht hat auch in meiner Persönlichkeitsentwicklung eine große Rolle gespielt.“ Sie habe mehr und mehr eigenständiges Interesse an klassischer Musik entwickelt und ständig davon geträumt, „diese und jene Werke irgendwann einmal spielen zu können“. Das habe sie sehr motiviert und half ihrem Selbstbewusstsein.
„Aber um ehrlich zu sein, war ich vor jedem Unterricht nervös und hatte schwitzige Hände. Im Nach-hinein sagt mir das, dass ich das Klavierspiel sehr ernst nahm und davon ausging, vieles im folgenden Unterricht zu lernen. Den Höhepunkt erreichte es immer vor den Schülerkonzerten, als ich vor lauter Aufregung nicht ein, noch aus wusste. Manchmal sind mit zittrigen Fingern auch Fehler passiert, aber oft habe ich alles um mich vergessen und den Moment auf der Bühne genossen und war danach stolz und noch ehrgeiziger als vorher.“
Die Reise ging in Karlsruhe weiter. Zwei Jahre vor ihrem Abitur bestand sie die Aufnahmeprüfung zum PreCollege der Hochschule für Musik Karlsruhe mit der höchsten Punktzahl und wurde somit in die Klasse der international angesehenen Professorin Sontraud Speidel aufgenommen.
Tiefsinniger studieren
Bis heute schöpft die fleißige Studentin aus dem Wissens- und Erfahrungsschatz der außergewöhnlichen Pianistin: „Von Professorin Speidel lerne ich bis heute bei jedem Unterricht neue Welten kennen. Ich gehe nach bestem Wissen vorbereitet in den Unterricht und komme doch jedes Mal grübelnd wieder heraus, das ist toll. Sie hat mir beigebracht, die einzelnen Komponenten der Musik von Anfang an zu verbinden, um Werke tiefsinniger zu studieren sowie epochengetreu und geschmackvoll zu interpretieren. Wie Technik mit Phrasierung und mentale Einstellung mit Melodieverläufen verbinden? Von ihr lerne ich, ständig zu hinterfragen und neugierig zu sein. Wertvoll ist auch ihre Arbeit im Piano-Podium, so dass es unaufhörlich Vorspielmöglichkeiten bei Themenkonzerten und Wettbewerben gibt. Ich bin dankbar, Teil ihrer Klasse zu sein.“
Wissen weitergeben
Nach zwei Bachelor- und einem Masterabschluss mit Auszeichnung, studiert Amy Reiss nun im zweiten Semester Solistenexamen, das nur den allerbesten und vielversprechendsten Talenten der Hochschule vorbehalten ist. Zahlreiche Konzerte, Wettbewerbserfolge, Stipendien und Meisterkurse zieren die Vita der Pianistin. So wurde sie 2022 Stipendiatin des Richard-Wagner-Verbandes Bayreuth und 2019 des Piano-Podiums Karlsruhe. Sie konzertierte im Münchner Künstlerhaus und im Rokokotheater Schwetzingen und reiste zu Wettbewerben nach München und nach Treviso in Italien.
Pianistisch steht eine Konzertreihe mit der Koloratursopranistin Laura Kirchgässner im Schumannhaus Leipzig und Kulturring Waldbronn an, wo Lied, Operette und Klavier solo erklingen wird.
Aber auch pädagogisch hat Amy Reiss wertvolle Erfahrungen an der Hochschule für Musik Karlsruhe gesammelt. Dort unterrichtet sie das Ergänzungsfach Klavier. An der Musikschule Stuttgart hat sie nun eine neue Stelle als Klavierlehrerin angetreten und freut sich auf die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Aus anderer Perspektive erinnert sie sich an die eigenen Anfänge: „Mein Wunsch ist es, dass sie sich immer etwas aus dem Unterricht mitnehmen können und in der Zeit bei mir alles andere um sich herum vergessen können. Das heißt, ich werde alles dafür tun, den Unterricht interessant, lebendig und fachgerecht zu gestalten. Sie sollen erfahren, wie persönlich Musik sein kann und dass es das Selbstvertrauen stärkt, wenn man Fortschritte macht. Am liebsten hört man als Klavierlehrer natürlich den Satz ,Wie? Schon vorbei?‘“