Wärmeversorgung

Geothermie in der Region Schwetzingen: Bürger geben Geohardt Hausaufgaben

Ein Bericht des Dialogforums schließt die Arbeit von 49 Zufallsbürgern ab. Für die Geohardt, die eine klimafreundliche Wärmeversorgung in der Region will, ist das Bürgervoting Hausaufgabe, Leitfaden und Verpflichtung zugleich.

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Joachim Klaehn
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Die letzte Messung unter einer Fernwärmeleitung in Mannheim. © GeoHardt

Schwetzingen. Sieben von insgesamt 49 ausgewählten Zufallsbürgern trugen bei der Übergabe des Abschlussberichts an die regionale Politik, vertreten durch Umweltstaatssekretär Dr. Andre Baumann und Schwetzingens Oberbürgermeister Dr. René Pöltl, die Ergebnisse des Dialogforums im Luthersaal vor. Mit erstaunlicher Kompetenz, einem sich angeeigneten Detailwissen, konstruktiv-kritischer Sachlichkeit und jeder Menge Herzblut. Man spürte buchstäblich: Da haben sich interessierte Menschen aus der Region und für die Zukunft dieser Region richtig reingekniet – und zwar in das komplizierte, vielfältige und streitbare Thema der Tiefengeothermie, das wiederum in den vergangenen Monaten zu emotionalen Wallungen führte.

Die in Schwetzingen sprechenden Bürger waren mit jeder Faser ihres Körpers bereit, nach dem Zufallsprinzip diese schwierige Aufgabe zu übernehmen. „Entscheidend ist, dass Sie das gemacht haben“, wandte sich Hausherr René Pöltl sensibel und direkt ans „Fähnlein der sieben Aufrechten“: „Sie haben sich dem Thema offen angenommen. Es ist die Basis für alles, was noch kommt.“ Pöltl lobte das Format einer Dialogplattform, das er für das einzig geeignete halte und stellte in Vertretung der Kommunen – unabhängig von künftigen Standorten der mutmaßlich drei klimafreundlichen Wärmekraftwerke, die bis 2030 das Großkraftwerk ablösen sollen - in Aussicht, dass es in Schwetzingen und Umgebung weiterhin Bürgerbeteiligung geben werde. „Es wird neutral gesteuert, ganz klar“, konstatierte OB Pöltl unmissverständlich.

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Zusätzliches Signal seitens der Politik: Die Geothermie soll als dritte Säule der Energiewende etabliert werden. Staatssekretär und Grünen-Landtagsabgeordneter Andre Baumann sagte: „Die Tiefengeothermie ist der Game Changer. Sie ist sicher, bezahlbar und CO2-frei. Wir werden in den nächsten zehn, 20 Jahren im gesamten Oberrheingraben von Lörrach bis Weinheim Dutzende Kraftwerke haben. Der Schatz des heißen Thermalwassers funktioniert wie ein Flaschenöffner.“ Die Realisierung innerhalb des 7000 Hektar großen Potenzialgebiets (Mannheim, Brühl, Ketsch, Schwetzingen, Plankstadt, Heidelberg und Oftersheim) könne eine Vorreiterrolle mit sich bringen.

Baumann suggerierte jedenfalls, dass die Ampeln in der Landesregierung Baden-Württemberg auf Grün geschaltet seien, was freilich längst nicht jeder in der grün-schwarzen Koalition bestätigen würde. „Wir benötigen ein engmaschiges seismisches Monitoring und wir lernen von Fehlern und wissenschaftlichen Ergebnissen“, ergänzte Baumann, der Bürgerbeteiligung und bei Bedarf Schadensregulierung als unverzichtbare Mechanismen neben dem Sicherheitsaspekt der Projekte hält.

Geothermie in der Region Schwetzingen: Bürger durch Agentur begleitet

Beim Dialogforum, zu dem Geohardt als Tochter von EnBW und MVV eingeladen hatte, standen derweil andere im Blickpunkt. Sie heißen Ralf Schaub (Oftersheim), Dimitrios Tsiligiris (Schwetzingen), Inka Mirbach (Heidelberg), Günther Schmeiser (Ketsch) Ainhoa Palomo Vegas (Mannheim), Ralph Winter (Heidelberg) und Mechthold Lippolt (Mannheim). Nach dem Absolvieren eines mehrstufigen Forums, das im Juli 2022 anlief, präsentierten die sieben Genannten die Resultate. Herausgekommen ist ein stolzer 65-seitiger Schlussbericht, der mithilfe der Anhörung von Experten, vier Abendveranstaltungen, vielen zusätzlichen Abstimmungsterminen, 80 Fragestellungen sowie 71 Bewertungen und Empfehlungen zustande kam. Sie wurden angeleitet von der Dettenhausener Agentur „Dialog Basis“, die sich auf Bürgerdialoge und Partizipation spezialisiert hat und Innovations- und Transformationsprozesse begleitet. Moderatorin Klara Köberle führte souverän durchs Programm und würdigte die Leistungen der Freizeitforscher.

Im Lutherhaus bei der Übergabe des Schlussberichts des Dialogforums stehen (v.l.) Günther Schmeiser, Ainhoa Palomo Vegas, Dr. Andre Baumann, Ralf Schaub, OB Dr. René Pöltl, Ralph Winter, Mechthild Lippolt, Dr. Thomas Kölbel (EnBW), Dimitrios Tsiligiris, Inka Mirbach, Matthias Wolf und Stefan Ertle (beide von Geohardt). © Norbert Lenhardt

„Es war ein Lernprozess“, sagt Teilnehmer Ralf Schaub, der aus Bayern 2006 in die Region gezogen war: „Wir haben uns ein Grundverständnis erarbeiten können. Das fand ich klasse.“ Die meisten Dialogteilnehmer – 1100 Personen wurden angeschrieben – lobten die Mischung aus Diskurs und Expertenhearing. „Halbwissen macht ja auch Angst“, berichtete Inka Mirbach aus Heidelberg: „Wir raten den Bürgern, sich zu informieren.“ Mirbach forderte allseits und sehr plakativ: „Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung!“ Begeistert zeigte sie sich wie andere vom Besuch des Geothermiekraftwerks Bruchsal. Es sei relativ klein und laufe angenehm geräuschlos. „Mein Traum wäre es, genau dort wo das Großkraftwerk Mannheim steht, eins hinzubauen“, verriet Inka Mirbach.

Neben dem eindringlichen Appell des Griechen, ausgebildeten Geologen und Schwetzinger Bürgers Dimitrios Tsiligiris („Unsere Erde ist wie eine Apfelsine und hat ein riesiges Potenzial an Wärme“) stach mit der Mannheimerin Mechthild Lippolt eine ältere Dame hervor, die einräumte, vor Beginn des Dialogforums „tief verunsichert“ gewesen zu sein, mitunter auch wegen der Presseberichte über völlig unterschiedliche Vorfälle in Staufen und Landau: „Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wie eine Bürgerbeteiligung zum Thema Tiefengeothermie aussehen soll“, blickte Lippolt zurück.

Geothermie in der Region Schwetzingen: Schwierig, die Bürger abzuholen und mitzunehmen

Und jetzt – nach achtmonatiger intensiver Auseinandersetzung? „Dieses Ernstgenommenwerden war zugleich die überraschendste und befriedigendste Erfahrung. Deshalb bin ich gerne Teilnehmerin in diesem Verfahren gewesen“, bilanzierte Lippolt. Leider ließ sich einer der Teilnehmer zu einer Medienschelte hinreißen, was aber immerhin zeigte, wie schwierig es generell in der Kommunikation geworden ist, die Bürger in diesem Land abzuholen und mitzunehmen.

Dialogforum: Wie lief die Auswahl?

  • Zufallsauswahl: Insgesamt wurden 1100 Personen aus den sieben Kommunen Mannheim, Brühl, Ketsch, Schwetzingen, Plankstadt, Heidelberg und Oftersheim angeschrieben. Die Ziehung erfolgte von Adressen aus den Melderegistern.
  • Diese Bürger wurden nach folgenden vorher festgelegten Kriterien gesucht und ausgewählt: Alter, Geschlecht, Bildungsstand und Kommune. Es erfolgte der Ausschluss von Personen, die direkt betroffen sind oder in einem Interessenskonflikt stecken.
  • Die Festlegung und Verteilung der genauen Personenzahl war von der Größe des Potenzialgebiets abhängig: Mannheim (11 Zufallsbürger), Heidelberg (8), Schwetzingen (7), Ketsch, Brühl und Plankstadt (jeweils 6) und Oftersheim (5).
  • Die Präsentatoren und ihre Themen im Lutherhaus: Ralf Schaub, Oftersheim, Wärmewende, Anschlussmöglichkeiten und Kosten; Dimitrios Tsiligiris, Schwetzingen, Bohrung, Bau und Betrieb; Inka Mirbach, Heidelberg, Risiken und Sicherheit; Günther Schmeiser, Ketsch, Versicherbarkeit, Haftung und Genehmigung; Ainhoa Palomo Vegas, Mannheim, Beteiligung der Anwohner und Kommunen, Ralph Winter, Heidelberg, Stress durch 3D-Seismik; Mechthild Lippolt, Mannheim, Prozess des Dialogforums.
  • Geschlecht: Insgesamt 25 Frauen und 24 Männer wurden ausgewählt; Alter: 4 Zufallsbürger zwischen 18 und 29 Jahren, 15 zwischen 30 und 49, 15 zwischen 49 und 6, 15 mit mehr als 65 Jahren.
  • Expertenanhörungen: Auftaktveranstaltung am 21. Juli 2022; erste Anhörung am 29. September; zweite Anhörung am 27. Oktober; Dialogbericht am 24. November.
  • Der Abschlussbericht des Dialogforums steht auf der Projektwebsite www.geothermie-hardt.de zum Downloaden zur Verfügung.
  • Kontakt zur Geohardt GmbH: Per E-Mail info@geothermie-hardt.de und seismik@geothermie-hardt.de oder telefonisch unter 0621/2 90 23 01. jog

Die beiden Geschäftsführer der Geohardt GmbH, Matthias Wolf und Stefan Ertle, sowie der zuständige Geologe Dr. Thomas Kölbel von der EnBW, nahmen nach eigener Aussage für sich hilfreiche Erkenntnisse aus dem Bürgervotum mit. „Es ist eine Herkulesaufgabe bis 2030 – super sportlich“, sagte Wolf, „wir brennen auf dieses Projekt und wussten von Anfang an, dass es Gegenwind geben wird. Wir haben weitere Hausaufgaben bekommen.“ Das Hauptziel der Abschlussveranstaltung sei gewesen, „das Engagement der Zufallsbürger zu würdigen“, ordnete Stefan Ertle den Abend im Lutherhaus ein: „Ich bin stolz auf diese Gruppe. Wir werden im weiteren Prozess diesen Bericht als Leitfaden sowie die jeweiligen individuellen Perspektiven einfließen lassen.“

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Zuspruch und Divergenz gehöre bei einem Mammutprojekt wie der Tiefengeothermie dazu. „Wir sind keine Samariter“, meinte Kölbel, „wir sind nur überzeugt von dem, was wir tun. Wir suchen ausgewogene Standorte. Noch wissen wir nicht, wo das ist. Es ist ein bisschen die Suche nach der Perle.“

Beim Hinausgehen nahm Andre Baumann doch noch einen kleinen Karton mit Exemplaren des gedruckten Abschlussberichts des Dialogforums mit. Er möchte sie verteilen – bei der Landesregierung in Stuttgart. Die grüne Welle für die Energie- und Wärmewende soll seiner Ansicht nach dauerhaft geschaltet werden.

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