Schwetzingen. Eigentlich hätte die Siedlergemeinschaft im Schwetzinger Ortsteil Hirschacker schon 2022 ihr 75-jähriges Bestehen feiern müssen, denn sie wurde schließlich 1947 gegründet. „Aber wir wussten ja nicht, wie sich die Lage entwickelt“, blickt Vorsitzender Rudolf Hoffmann (Bild) zurück. Die Vorbereitungen mussten ja rechtzeitig anlaufen und zu dieser Zeit war ja alles noch von Corona geprägt. So entschied sich der Vorstand, das Jubiläum um ein Jahr zu verlegen. Dann wird eben jetzt gefeiert – von Freitag bis Sonntag.
Das Programm des Jubiläumswochenendes
Freitag, 7. Juli: 17.30 Uhr Kranzniederlegung auf dem Friedhof zu Ehren der verstorbenen Mitglieder der Siedlergemeinschaft. 19 Uhr: Festeröffnung mit Empfang für geladene Gäste und Mitglieder mit diversen Ansprachen. Musikalisch wird der Abend von Alleinunterhalter Otto Heilig gestaltet.
Samstag, 8. Juli: ab 11 Uhr Frühschoppen; ab 14.30 Uhr Kaffee und Kuchen. Otto Heilig unterhält musikalisch bis etwa 16 Uhr. Ab 19 Uhr spielt die Band „K’lydoscope“ bis etwa 23 Uhr.
Sonntag, 9. Juli: 10 Uhr Ökumenischer Gottesdienst; ab 11 Uhr Frühschoppen mit dem Musikverein-Stadtkapelle Schwetzingen; ab 14.30 Uhr Kaffee und Kuchen; um 15 Uhr singt der Chor „d’accord“ vom Sängerbund Schwetzingen; 18.30 Uhr Ausklang des Jubiläumsfestes.
Es gibt eine reichhaltige Speisen- und Getränkekarte. sz
Rudi Hoffmann ist seit 2015 im Amt und damit erst der zehnte Vorsitzende in der Geschichte der Siedlergemeinschaft. Denn einige seiner Vorgänger waren stets lange im Amt, allen voran Erich Dietewig (21 Jahre von 1994 bis 2015) und Franz Heppler, der sogar 24 Jahre lang von 1963 bis 1987 das Ruder in der Hand hielt. In seine Ära fielen mehrere wichtige Ereignisse, vor allem der Bau des Siedlerheims, das 1972 den Namen „Zum Rheintal“ erhielt und seitdem der gesellschaftliche Mittelpunkt für die Siedlergemeinschaft bildet und Ort unzähliger Feste und Feiern war – so auch an diesem Wochenende.
Gegründet worden ist der Verein ursprünglich aber aus einem ganz anderen Grund: „Gemeinsam ist man leichter an Baumaterialien gekommen“, weiß Hoffmann. Als 1947 begonnen wurde, das vorher nur gärtnerisch genutzte Areal „Siedlungsgebiet westlich der Rheintalbahn“ zu erschließen, war das nämlich ein Problem. Einige der Bauherren erfuhren dann, wie man über den Deutschen Siedlerbund an Baustoffe und sonstige Förderungen gelangen konnte. So beschlossen sie, sich zu einer Gemeinschaft zusammenzuschließen und dem Siedlerbund beizutreten.
In der Folge wurden aber nicht nur Steine, Zement oder Ziegel zusammen bestellt, sondern auch Torf, Obstbäume, Düngemittel oder Kartoffeln, die im Bauland selbst abgeholt wurden. „Sie haben sich auch gegenseitig beim Hausbau geholfen“, erzählt der heutige Vorsitzende. So wohnten Ende 1949 schon 37 Familien – darunter zahlreiche Flüchtlinge oder Heimatvertriebene – in der „Rheintalbahnsiedlung“, die 1950 dann den Namen Hirschacker erhielt. Sie bestand aus lediglich zwei Straßen, der Rheintal- und der Siedlerstraße, die sich in der Mitte beim Marktplatz trafen.
Erinnerung ans Dreckloch
In den folgenden Jahrzehnten wuchs der Hirschacker immer weiter, es wurden Schulen, Kirchen, Kindergärten gebaut. Nicht zu vergessen der Fußballplatz der Badenia. „Dort war früher das Dreckloch“, erinnert sich Rudi Hoffmann an die stinkende Müllgrube, die bis 1962 für eine ständige üble Geruchsbelästigung der Bewohner sorgte – besonders bei Westwind. 1962 machte der neue Bürgermeister Kurt Waibel dem ein Ende.
Es gibt unzählige Geschichten und Anekdoten aus diesen 75 Jahren Hirschacker-Historie. Viele haben Karl Greulich und Erich Dietewig schon 2007 zum 60. Vereinsbestehen zusammengetragen, auch in der jetzt herausgebrachten Festschrift ist einiges nachzulesen. Rudi Hoffmann kennt eine Menge davon.
Etwa die Story, als ab 1959 der Hirschacker an die Kanalisation angeschlossen wurde. Für die Anbindung an die Häuser sollte jeder Eigentümer selbst sorgen. „Aber wie? Die hatten doch kein Geld“, erzählt der Vorsitzende. Und da habe sich dann etwas bewährt, was immer die Stärke des Ortsteils war: der Gemeinschaftsgeist. Dank eines Siedlers, der den Bagger fuhr, zweier Kanalbauer, der Brühler Baufirma Langlotz und unter Mithilfe der Eigentümer war die Frage der Hausanschlüsse in nur vier Monaten gelöst. „Deutlich billiger, als wenn es eine Firma gemacht hätte.“
Mächtig ins Erzählen kommt Hoffmann auch, wenn es um die Gaststätten, Läden, Banken, Apotheken oder Arztpraxen geht, die im Laufe der Jahre „uffm“ Hirschacker eröffnet wurden – und meistens auch wieder schlossen. Die erste Wirtschaft war die „Siedlerschänke“, die später zu einer Diskothek wurde und dann zur Filiale der Volksbank – alles Geschichte. Allein an sechs Lebensmittelgeschäfte erinnert er sich, an Metzgerei- und Bäckereifilialen, Schreibwarenläden oder den Bau der Sparkasse. Auch die ist inzwischen geschlossen. Sogar eine eigene Feuerwehr-Fußtruppe gab es, das damalige „Spritzenhaus“ steht heute noch.
Zusammenhalt pflegen
Und für was steht die Siedlergemeinschaft heute? Die Zeiten, in denen zusammen Backsteine und Kartoffeln eingekauft wurden, sind ja längst vorbei. „Wir wollen das erhalten, was die Alten aufgebaut haben“, sagt Rudi Hoffmann. Den Zusammenhalt und Gemeinschaftssinn pflegen, was vor allem durch die zahlreichen geselligen Veranstaltungen gelingt – wie Sommerfeste, Maibaumaufstellung oder das Weinfest im Vorjahr, das alle Erwartungen übertraf.
Aber es gibt immer noch Dinge, die im Sinne derer stattfinden, die die Siedlergemeinschaft 1947 gegründet haben: So hat der Verein Gerüste, Leitern oder andere Werkzeuge, die aktuell knapp 200 Mitglieder ausleihen. Auch die Natur wird nach wie vor gepflegt, beispielsweise durch die Osterputzaktion.
Und es gilt immer noch, die Interessen des Stadtteils zu vertreten. „Wir kümmern uns um Probleme und neuralgische Punkte“, betont Hoffmann und nennt auch die jährliche Begehung mit dem jeweiligen Oberbürgermeister, die immer großen Anklang finde. Der aktuelle OB Dr. René Pöltl wird auch an diesem Freitagabend dabei sein, wenn mit einem Festakt das Jubiläumswochenende gestartet wird – das sicher auch mit einem Jahr Verspätung eine große Sache wird.
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/schwetzingen_artikel,-schwetzingen-siedlergemeinschaft-hirschacker-feiert-ihren-75-geburtstag-_arid,2102177.html