Schwetzingen. Es ist ein Stück über Verantwortung, Zuversicht und die Kraft, nicht aufzugeben. Passender hätte Intendant Joerg Steve Mohr den – man muss schon sagen – neuerlichen Neustart für sein Theater am Puls in Schwetzingen nicht wählen können. Mit der ausverkauften Vorstellung der KiTZ-Theaterkumpanei und einer Variation von „Der kleine Prinz“ für Kinder ab sechs Jahren kam die kleine Bühne in der Marstallstraße am Sonntagnachmittag aus dem erneuten Lockdown.
Das Kulturherz fängt wieder zu schlagen an. Dabei freut sich darüber kaum jemand so, wie das Zentralgestirn an diesem kurfürstlichen Schauspielhaus, Joerg Steve Mohr, und Daniele Veterale, seit mittlerweile sieben Jahren am Theater am Puls tätig. Doch diese Vorfreude war nicht unbelastet. Die vergangenen 15 Monate haben mit ihnen, ja der ganzen Kultur, etwas gemacht. Die Politik habe, so Mohr, relativ unverblümt klar gemacht, dass „wir nicht wichtig sind“. Kultur als ein gesellschaftliches Teilsystem, das weit weg von jeder Systemrelevanz ist. Enttäuscht ist Mohr vor allem von den Grünen. „Kultur kam bei denen in Stuttgart praktisch nicht vor und wenn, dann nur als Show.“ Die großen Worte erwiesen sich meist schnell als hohle Phrasen. „Wir sind halt nicht Daimler oder Erste Fußball-Bundesliga“, ergänzt Veterale beinah schon lakonisch.
Stadt hält zu den Künstlern
Theater am Puls im Juni
Freitag, 18. Juni, 20 Uhr: „Männerschnupfen“, Improvisationstheater „Als wir“. Tickets ab 12 Euro.
Samstag, 19. Juni, 19 Uhr: Premiere „Büro, Büro“ (ausverkauft).
Sonntag, 20. Juni, 19 Uhr: „Die Wunderübung“, Komödie von Daniel Glattauer, Tickets 24/18 (ermäßigt)/12 (Kinder bis zwölf Jahre) Euro.
Freitag, 25. Juni, 20 Uhr: Premiere „Fettes Schwein“ (ausverkauft).
Samstag, 26. Juni, 19 Uhr: „Heute wieder Hamlet“. Ein Monolog von Rainer Lewandowski. Tickets ab 12 Euro.
Karten gibt es im SZ-Kundenforum (Montag bis Freitag, 8 bis 12 Uhr) und unter https://theater-am-puls.reservix.de/events.
Für die Veranstaltungen im Theater am Puls stehen aufgrund geltender Abstands- und Hygieneregeln lediglich 28 Plätze zur Verfügung.
Die Termine für Open-Air-Veranstaltungen im Juli und August im Schlossgarten Schwetzingen werden diese Woche bekannt gegeben.
Möglichkeiten der Unterstützung: Spendenkonto Theater am Puls gGmbH IBAN: DE83 6725 0020 0009 2435 85. Oder Mitglied im Freundeskreis werden. kaba
Die beiden wirken – angesprochen auf das Verhältnis von Politik und Kultur – sichtlich irritiert. Der englische Kriegspremier Winston Churchill soll im Kontext drohender Mittelkürzung bei der Kultur zugunsten der Kriegswirtschaft geantwortet haben: „Wofür kämpfen wir dann?“. Solch ein Zeichen der Wertschätzung hörten Mohr und Veterale weder aus Berlin, noch aus Stuttgart. „Ganz anders als aus Schwetzingen.“ Die Stadt habe verstanden, dass die Kultur einen Lebensnerv darstelle, und habe aus diesem Wissen heraus ganz grundlegend mit dazu beigetragen, dass das Theater am Puls und seine Schauspieler ihren Kopf über Wasser halten konnte. Trotzdem waren es harte Monate.
Jetzt, mit der Perspektive vor sich, sei der Blick nicht mehr so beängstigend. Für Veterale stand im Grunde alles auf dem Spiel. „Natürlich habe ich mich als Schauspieler hinterfragt“, gesteht er offen ein. Eigentlich sei er immer davon ausgegangen, dass Kultur, dass Theater für eine Gesellschaft grundlegend sei. Ohne den Spiegel von der Bühne gelinge anständige Gesellschaft nicht. Angesichts der 15 Monate seien das Ansichten, die so nur schwer Bestand hätten. Zumindest hätte diese Sicht in der Politik kaum Kompasswirkung gehabt. Im Grunde bewahrte ihn ein halbes Jahr Arbeitslosengeld sowie das anschließend durchgehend bezahlte Engagement am Theater am Puls vorm Aufgeben – „und dass ich bei meinen Eltern wieder einziehen konnte“. War alles nicht leicht und trug sicher mit dazu bei, alles zu hinterfragen. Aber irgendwann sei ihm klargeworden, dass die Schauspielerei es Wert sei: „Für mich ist das mein Leben.“
Grundeinkommen als Lösung?
Ein Satz, den Mohr für sich eins zu eins übernimmt. Natürlich sei Kultur nicht alles. Aber ohne sie sei alles nichts. Es sei die Kultur, die aus einer Ansammlung von Menschen eine Zivilisation mache. Ausgehend von diesem Gedanken wünscht sich Mohr ein gesellschaftliches Nachdenken über die Bedeutung von Kultur und auch eine andere Finanzierung. „Wie wäre es mit einem Grundeinkommen für Kulturschaffende, nicht in der Spitze, aber in der Breite?“ Die Diskussion darüber ist in den Augen Mohrs dringend geboten. Denn auch wenn es erste Hoffnungszeichen gebe, die Kultur sei noch lange nicht über den Berg. „Ich bin sehr gespannt, wo in Baden-Württemberg gespart wird, wenn der Rotstift angesetzt wird“, spricht er die bekannt straffe Finanzlage im Land an. Und Mohr ist sich leider sehr sicher, wo Mittel gekürzt werden. Es wäre für die beiden ein weiterer Beleg dafür, welchen Stellenwert Kultur in Berlin und Stuttgart tatsächlich genieße.
Die einzige Stelle, wo in den Augen Mohrs gekürzt werden darf, findet sich bei der Digitalisierung. Das sei der komplett falsche Weg. Theater funktioniere nur analog. Die Spiegelfunktion des Theaters entstehe auf dem schmalen Grat zwischen Schauspieler und Publikum. Zu glauben, das gehe auch via Bildschirm, sei ein Irrglaube. Und dieser Irrglaube kann durchaus gefährliche Folgen haben. Kultur, auch Theaterkultur, setze Maßstäbe, ordne die gesellschaftlichen Verhältnisse und halte den Menschen einen Spiegel vor.
Am besten hat diese einordnende und sich selbstvergewissernde Bedeutung von Kultur der österreichische Schriftsteller Karl Kraus (1874 – 1936) erfasst. „Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge einen langen Schatten.“ Heißt, ohne Kultur gerät eine Gesellschaft spätestens mittelfristig in eine gefährliche und selbstzerstörerische Schieflage. Ein Prozess, dem Mohr und Veterale nicht tatenlos zusehen wollen. Verantwortung, Zuversicht und die Kraft, nicht aufzugeben – das macht nicht nur den „Kleinen Prinzen“ aus.
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