Schwetzingen. Die Welt dreht sich. Nicht nur die Erde. Am Ende, wenn alle privaten Schicksalsschlachten verloren sind, wird sie sich weiterdrehen; so viel ist sicher. Die titelgebende Frage des kleinen Mannes - “was nun?“ - wird uns Hans Fallada unbeantwortet lassen. In seinem 1932 erschienen Roman wie auch auf der kleinen Schwetzinger Bühne, für die der ehemalige NTM-Schauspieler Till Weinheimer die Textfassung erstellte und auch Regie führte, wissen wir nicht, wie es weitergeht.
Der Sternenhimmel als klassenfreies Abendvergnügen
Von Sternen umbraust nähern wir uns per Videoprojektion dem Planeten dessen Existenzen in Gefahr sind und fürderhin sein werden. Ziehen wir dräuende Umweltkatastrophen der Neuzeit mal ab, gibt es eine Spezies, die ganz selbstverständlich schneller in existenzielle Nöte gerät als andere. Bei Georg Büchner hießen sie „wir arme Leut‘“ bei Hans Fallada eben der „der kleine Mann“. Der Sternenhimmel spielt bei beiden als klassenfreies Abendvergnügen, wunderlicher Sehnsuchtsraum und Metapher der Systemunbegreiflichkeit eine leitmotivische Rolle. Betrachten wir die Schwetzinger Sterne genauer, erkennen wir nicht nur Sterne und Sternchen, auch Herzen und Dollarzeichen.
Es ist die erste von vielen Kleinigkeiten des Abends, die als Beleg dafür gelten können, wie liebevoll, umsichtig und kleinteilig im Theater am Puls mit Texten und Gedankenwelten umgegangen wird. „Spielt in der Nacht und handelt von Liebe und Geld“ steht dann da auch Weiß auf Schwarz sternenklar an der Rückwand der von Joerg S. Mohr, Teresa Ungan und Julian Arndt gestalteten Bühne.
Karten und Termine
Regie führt der lange am Nationaltheater Mannheim engagierte Schauspieler Till Weinheimer , das Bühnenbild stammt von Joerg S. Mohr, Teresa Ungan und Julian Arndt, Musik und Komposition von Stefan Ebert, die Videoprojektion von Philippe Mainz.
Es spielen : Nikolas Weber, Natalie Heiß, Johanna Withalm, Rüdiger Hellmann und Christoph Kaiser.
Weitere Aufführungen am 28. Februar, 20 Uhr, sowie am 16. März, 19 Uhr.
Karten zwischen 6 und 24 Euro gibt es telefonisch täglich von 9-18 Uhr unter 062 02/9 26 99 96 sowie online auf theater-am-puls.de rcl
Ein kleiner Angestellter verliebt sich an der See in eine Urlaubsbekanntschaft. Die Welt scheint Johannes Pinneberg und Emma, seinem „Lämmchen“ offenzustehen, die Heirat und der kleine Horst, der „Murkel“, scheinen das kleinbürgerliche Familienidyll perfekt zu machen. Strebsam, fleißig, sparsam und anständig hofft man auf das kleine Glück. „Doch die Verhältnisse, die sind nicht so“, wusste auch Falladas Zeitgenosse Bert Brecht.
Nikolas Weber und Natalie Heiß erweisen sich hierbei als jugendlich-naive Idealbesetzungen für dieses Paar anständiger Menschen, die mittellos in die Mühlen der Weltwirtschaftskrise geraten. Was nützen Anstand, guter Wille und Zeugnisse, wenn der Markt längst zu enthemmt ist, um Abhängigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis erträglich zu halten? Nach „Biedermann und die Brandstifter“ legt Prinzipal Joerg S. Mohr innerhalb eines Monats mit Fallada somit das zweite Stück zur Stunde vor. Dieses Theater ist ernsthaft am Puls der Zeit. Dafür braucht es einen Blick in die Welt und Gespür.
Breite Darstellungsklaviatur trifft auf atmosphärische Dichte
Dass bei ihm und bei Regisseur Till Weinheimer beides vorhanden ist, zeigt sich allein an der Besetzung, die jedes Staatstheaters würdig wäre. Johanna Withalm ist als sanft-maliziöse Erzählerin ebenso feinnervig wie in ihren zahlreichen Mehrfachrollen als liederliche Mutter, Landpomeranze oder Hamburger Bonzengattin souverän. Das Feine und das Derbe, Tragik und Komik sind in ihrer Darstellungsklaviatur so wohl geordnet wie ihre Sprechkunst.
Das Zeug zur wihelminisch grundierten Respektsperson bringt indes Rüdiger Hellmann mit und überzeugt in allen Chef-Rollen mit nuancenreichen Unterschieden. Für das lasterhafte Zeitkolorit der Schieber, Falschspieler und Zuhälter zeichnet Christoph Kaiser verantwortlich. Sein jovialer Jachmann ist zwielichtiger Filou und auf ganzer Linie Sympathieträger mit Herz und Schnauze, dessen Darstellung keinen Moment in die Nähe der Charge rutscht.
Einige Längen in den Szenenübergängen sind leider dennoch spürbar, wett gemacht werden sie durch die atmosphärisch bereichernde Videokunst von Philippe Mainz, der uns durch Berliner Straßenszenen, Mietskaserene, an die See und bis zu den Sternen führt.
Und so wechseln wir mit den netten und zunehmend verzweifelten Pinnebergs über zweieinhalb Stunden (inklusive Pause) die Wohnorte, Hinterhöfe und Arbeitsplätze, während
Schauspielmusiker Stefan Ebert uns an Mikro, Piano, E-Bass und der akustischen Gitarre einen atmosphärischen Teppich bereitet, der Konzertreife hat. All das führt Till Weinheimers Regie mit ruhiger wie kundiger Hand zusammen.
Pinneberg, Nikolas Weber sei Dank, wird trotz devotester Übererfüllung zum gebrochenen, depressiven Mann. Auch ohne Kaiser bleibt man in der Weimarer Republik wie in der fragmentierten Weltwirtschaft von heute eben oft nur „Untertan“ - und „Wer einmal aus dem Blechnapf frisst“ hat auch künftig nichts zu lachen. Was damals wie heute bleibt, ist der vielbeklagte Rückzug ins Private. Doch immerhin hier höret zumindest bei den Pinnebergs die Liebe nimmer auf. Herzlicher Applaus.
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