Über viele Jahre verhinderten Finanznöte infolge andauernder Kriegslasten und zu hohe Baukosten den Neubau eines repräsentativen Schwetzinger Rathauses. Einer glücklichen Fügung ist es zu verdanken, dass das Projekt dennoch und sogar unter Kostenbeteiligung des Großherzogtums Baden umgesetzt werden konnte. Ausschlaggebend hierfür waren die schlimmen Zustände der Gefängnisse im gesamten Amtsbezirk Schwetzingen, die einen Gefängnisneubau dringend notwendig machten.
Der Plan, ein Gebäude zu errichten, das sowohl das Rathaus als auch das Amtsgefängnis unter einem Dach vereinte, wurde deshalb geboren. Am 3. April 1821 konnte schließlich der Grundstein für dieses Gemeinschaftsprojekt unter großer Beteiligung der Gemeinde gelegt werden.
Eine überraschende Wendung
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es im Amtsbezirk Schwetzingen, dem neben der Amtsstadt selbst die Ortschaften Altlußheim, Brühl, Edingen, Friedrichsfeld, Hockenheim, Ketsch, Neckarau, Neulußheim, Oftersheim, Plankstadt, Reilingen und Seckenheim mit insgesamt annähernd 20 000 Einwohnern angehörten, zwei Gefängnisse. Eines befand sich im alten Schwetzinger Rathaus und eines war im Zentturm in Leimen, welches sich die Ämter Schwetzingen und Heidelberg teilten, untergebracht. In beiden Gefängnissen waren die Verhältnisse menschenunwürdig. In Schwetzingen gab es nach einem Bericht von Amtmann Karl August Vierordt vom Juli 1819 „einen so genannten Bürgergehorsam und zwei unterirdische Löcher, einer Art Hundeställe, welche [man] in unserer Zeit wohl nicht mehr für den Aufenthalt von Menschen gebrauchen kann“. Vierordt mahnte diese schlimmen Zustände an und forderte einen Gefängnisneubau im Amts- und Gerichtssitz des Bezirks in Schwetzingen.
Die staatlichen Behörden reagierten dann auch auf seinen Bericht und beauftragten den Architekten J. F. Dyckerhoff mit der Planung eines Gefängnisneubaus. Ende Dezember 1819 machte sich Dyckerhoff ein Bild von der Situation im Amtsbezirk und kam gemeinsam mit Amtmann Vierordt zu der weitreichenden Erkenntnis, Gefängnis und Rathaus in einem Bau zusammenzufassen. Dies war die Gelegenheit für die Gemeinde, endlich ihr Rathaus zu bekommen.
Das bisherige Rathaus, inzwischen deutlich reparaturbedürftig, stammte aus dem Jahr 1706 und war dem Zweck nach „unentsprechend, baufällig und unanständig . . . die äußere Form ist hässlich und störend“. Karl August Vierordt, dem diese Situation schon lange missfiel, zögerte nicht lange und beauftragte den Kreisbaumeister Dyckerhoff mit der Planung des Neubaus.
Im Sommer 1820 genehmigten die staatlichen Behörden den Rathaus- und Gefängnisneubau an der Stelle des alten Rathauses. Es wurde vereinbart, die Neubaukosten in geschätzter Höhe von 12 000 Gulden zu zwei Drittel auf die Gemeinde und zu einem Drittel auf den Staat zu verteilen. So zogen beide Vertragspartner nur Vorteile aus dieser Einigung.
Wirrwarr um die Dyckerhoffs
Doch wer war der für die Bauplanung zuständige Architekt J. F. Dyckerhoff? Er gehörte einer Familie an, die in der Kurpfalz und im Großherzogtum Baden über Generationen hinweg Architekten und Ingenieure hervorbrachte. Da der Leitname innerhalb der Familie Friedrich war, kam und kommt es nach wie vor zu Verwechslungen zwischen den einzelnen Mitgliedern. So auch bei dem Architekten des Schwetzinger Rathauses. Dieser war keineswegs der bekannte Ingenieur Jakob Friedrich Dyckerhoff (1774-1845), der auch im Schwetzinger Schlossgarten tätig war und eine Freundschaft zu Gartendirektor Johann Michael Zeyher pflegte, sondern dessen jüngerer Bruder Johann Friedrich Dyckerhoff (1789-1859).
Dieser studierte bei dem berühmten Friedrich Weinbrenner, dem Architekten des Klassizismus in Baden, und arbeitete zeitlebens als Architekt. Als Bezirksbaumeister war er für die Ämter Philippsburg, Schwetzingen, Mannheim und Ladenburg zuständig und führte später gar den Titel eines Großherzoglich-Badischen Baurats. Er entwarf 1818 das Rathaus in Mannheim-Käfertal, das durchaus Vorbild für das Schwetzinger Rathaus gewesen sein könnte. In Schwetzingen trägt außer dem Rathaus noch das heutige Volkshochschulgebäude, die frühere Friedrichschule von 1842, seine Handschrift.
Dyckerhoffs Plan des Rathaus- und Gefängnisneubaus sah einen zweistöckigen Baukörper gegen die Hebelstraße vor, der im Erdgeschoss links des Haupteingangs die Wohnung des Gefängniswärters und rechts des Eingangs die Wachtstube der Gemeinde samt zweier Arrestzellen vorsah. Ein großer Flur mit Treppenhaus schloss sich westlich davon an.
Im Obergeschoss waren der repräsentative Gemeindesaal mit Balkon sowie eine Schreibstube und die Registratur untergebracht. Ein Verhörzimmer bildete die Verbindung zu den vier Amtsgefängnissen, die im Obergeschoss des Seitenbaus entlang der Zeyherstraße untergebracht waren. Das darunterliegende Erdgeschoss war mittig von der Einfahrt in den Rathaushof unterbrochen und diente ansonsten als Holzlager – beziehungsweise als Tabak- und Hopfenwaage sowie als Feuerwehrgeräteraum.
Ein Gebäude des Spätklassizismus
Das Äußere des Gebäudes folgt nach Einschätzung von Kulturreferentin Dr. Barbara Gilsdorf dem Architekturstil des badischen Staatsklassizismus mit klarer Gliederung der Fassaden, mit den Rundbogenfenstern im Erdgeschoss, den Rechteckfenstern im Obergeschoss, dem hervorkragenden Mittelrisalit der Hauptfassade mit zentriertem Thermenfenster, schmucklosem Dreiecksgiebel, zierlichem Balkon und bekrönendem Rathausturm. Für sie geht der Schöpfer des Baus hinsichtlich einer schlichten Gestaltung noch weit über die klassizistische Ästhetik Weinbrenners hinaus: „Der Bau ist vergleichsweise deutlich entschlackter, puristischer, verhaltener, funktionaler und somit moderner. Er wirkt in sich ruhend und trotz aller Schlichtheit glanzvoll, und folgt im übertragenen Sinne dem klassizistischen Postulat von Johann Joachim Winckelmann der ,edlen Einfalt und stillen Größe‘“.
Der Rathausneubau wurde zu Beginn des Jahres 1821 dem Schwetzinger Bauunternehmer Christian Barfuss übertragen. Er begann sogleich mit dem Abriss des alten Rathauses und der Vorbereitung des Baugrunds. Am 3. April 1821 wurde der Grundstein für das neue Gebäude vermauert. „Unter Gebet und zweckmäßig erachtetem Vortrag wurde der Stein mit beschrifteter Platte gelegt, an die Schuljugend wurden Esswaren verteilt, die durch den Druck vervielfältigte Inschrift wurde ausgeteilt und die Feierlichkeit mit Musik und Freudenschüssen geschlossen“, so heißt es in einem Bericht von damals.
Im August 1821 war bereits der Dachstuhl samt Turm aufgeschlagen und als Bekrönung wurde der Turmknopf vergoldet. Im Februar 1822 war der „meisterhaft ausgeführt befundene Rathaus- und Gefängnisbau“ fertiggestellt.
Moderne Verwaltungsgebäude
Über 35 Jahre blieben die Verhältnisse in dieser Form bestehen – bis drängende Raumnot die Auslagerung des Amtsgefängnisses notwendig machte. Die Stadt löste die Räumlichkeiten für 4000 Gulden ab und das Großherzogliche Justizministerium ließ an der Ecke Kurfürsten-/Scheffelstraße ein neues Gefängnis erbauen. Bis 1889 genügte das bisherige Rathaus noch allen Anforderungen, doch dann wurden Anbauten, wie das Spritzenhaus an der Zeyherstraße oder 1912 das hofseitige großzügige Treppenhaus mit Toilettenanlagen, errichtet. Zeitgleich erwarb dann die städtische Sparkasse das benachbarte Gebäude in der Hebelstraße 3, das sie der Stadt zur Nutzung als Verwaltungsgebäude im Jahr 1919 verkaufte.
Nach nur unwesentlichen Veränderungen seit der Erbauung stand 1965/1966 eine grundlegende Renovierung und Erneuerung des Rathauses an. Nach Abbruch des Spritzenhauses der Feuerwehr entstanden zeittypische Anbauten, die den Rathausinnenhof umrahmen. In Zeiten des Kalten Krieges wurde unter der Grasnarbe sogar ein Atombunker gebaut. 1985 folgte schließlich der Neubau des Stadtbauamtes, Hebelstraße 7, und 1994 das neue Ordnungsamtsgebäude, Zeyherstraße 1. Im Jahr 2017 gelang es der Stadt, das Kulturdenkmal der ehemaligen Hofapotheke in der Hebelstraße 5, zu erwerben. Dort werden zurzeit weitere, dringend benötigte Räumlichkeiten für die Verwaltung geschaffen.
Der Umbau soll laut Erstem Bürgermeister Matthias Steffan 2023 abgeschlossen sein. Mit diesem vorläufigen Schlusspunkt endet die Ausdehnung des Rathauskomplexes, dessen Geschichte zwei Jahrhunderte zuvor als Gefängnis mit Gemeindesaal begonnen hatte.
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