Buchbesprechung

Vom „Schwatten Ostfrees Jung“ bis zum Pfälzer Metzger

Die Vielfalt der Erlebnisse und Einschätzungen von zwölf Schwarzen Deutschen ist groß und lässt oft tief in die Seele der Einzelnen und der Gesellschaft blicken

Von 
jüg
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© Orlanda-Verlag

Florence Brokowski-Shekete hat uns in ihrem ersten Buch an ihrem eigenen Leben als Schwarze Deutsche teilhaben lassen und stieg damit ganz nach oben in die Spiegel-Bestsellerliste. Jetzt hat sie das Leben von zwölf Schwarzen Deutschen aufgeschrieben und lässt uns tief in die Schubladen schauen, in die wir diese Menschen bis heute gerne stecken. Etwa, wenn wir selbst in gebrochenem Deutsch etwas erklären wollen, wenn uns ein Schwarzer Deutscher anspricht, obwohl der die Sprache vielleicht besser oder zumindest dialektfreier kann als wir selbst. Und dieses baffe Erstaunen, wenn ein Schwarzer Deutscher nicht etwa Sänger oder Tänzerin sondern Gynäkologin, Schulamtsdirektorin oder der Besitzer der Metzgerei nicht etwa der Auszubildende ist. Und das trotz der anderen Hautfarbe. Das sind eben die Klischees und Schubladen, in denen wir denken.

Und spätestens nach der Lektüre dieses zweiten Buchs „Raus aus den Schubladen“ erwischen wir unsere Freunde und uns selbst zunehmend bei unserem Alltagsrassismus und hoffentlich reflektieren wir ihn dann auch ganz nach dem Motto des Buches: „Für mehr menschliches Verständnis.“

Zur Autorin

Florence Brokowski-Shekete ist in Hamburg als Kind nigerianischer Eltern geboren und wächst bei einer deutschen Frau auf.

1992 schließt sie ihr Studium an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg mit dem ersten Staatsexamen ab, macht am Studienseminar Heppenheim das zweite Staatsexamen.

Nach Lehrer- und Beratertätigkeiten wird sie 2007 Rektorin der Hilda-Werkrealschule in Schwetzingen. Seit 2013 ist sie Schulrätin in Mannheim, im April 2020 erfolgt die Ernennung zur Schulamtsdirektorin.

1997 gründete sie die Agentur FBS intercultural communication, in der sie als freie Beraterin und Trainerin Kommunikation, Führungskräfteentwicklung und kulturelle Sensibilisierung als Themenschwerpunkte hat.

Florence Brokowski-Shekete wurde mit ihrer Autobiographie „Mist, die versteht mich ja“ zur Spiegel-Bestsellerautorin.

Sie hat einen Lehrauftrag an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg zum Thema „Diskriminierungssensible Pädagogik im Bildungskontext“. Sie sieht sich als Brückenbauerin, mischt sich ein und setzt sehr klare Grenzen, wenn sie auf Alltagsrassismus stößt. jüg

Da ist Sylvie Brou aus Heidelberg . Sie ist Schulsekretärin und sie gibt zu: „Mein Lächeln ist meine Waffe!“ Sie lernt als Au-pair von der Elfenbeinküste in Bayern Deutsch, wo sie ihre Gastgeberin ermutigt viel zu sprechen: „Es geht doch eh niemand davon aus, dass du perfekt Deutsch sprichst. Die Leute erwarten, dass du Fehler machst.“ Wenn sie dann selbst die Fehler bemerkt habe, habe sie über sich gelacht und damit die anderen angesteckt. In so einem Sekretariat bekomme man alles ab, wenn die Eltern mal sauer sind. „Ich suche dann nach Lösungen und versuche zu helfen, das schätzen die Menschen“, sagt sie. Heidelberg sei zu ihrem Zuhause geworden, sie habe sogar für den Stadtrat kandidiert und über 1000 Stimmen gekriegt, erzählt Sylvie Brou.

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Oder Keno Veith aus Ostfriesland, der aussieht wie Mr. T und einen waschechten Ostfriesen-Slang spricht. Sein Vater ist ein weißer Agraringenieur, der in Kamerun seine Mutter kennenlernt und sie mit nach Wittmund nimmt, wo Keno 1981 auf die Welt kommt. Er habe gar keinen Alltagsrassismus gespürt: „Auf dem Dorf nimmt jeder jeden auf“. Auch später bei der Bundeswehr habe er keine Probleme gehabt. Und inzwischen ist er auf Facebook und Instagram als „Schwatten Ostfrees Jung“ viel geklickt und ein echtes Original. Das N-Wort höre er selten und er stehe darüber – „außerdem kann man ja niemand verbieten, ein Dummkopf zu sein“, sagt der Landmaschinen-Mechaniker und Youtuber und grinst.

Bei Isaac Boateng aus Hamburg mit Wurzeln in Ghana ist das schon anders. Ihn nervt es, wenn in sein Büro im Hamburger Amt für Grundsicherung und Soziales jemand reinschaut und gleich wieder rausgeht, weil er denkt, oh, da ist noch jemand vor mir dran. Denn dass er als Schwarzer Deutscher dort arbeitet, trauen ihm die anderen Klienten offensichtlich nicht zu. Und es sei auch nicht schön, dass seine Frau Freya, eine weiße Deutsche, wegen ihres Nachnamens schon am Telefon in Schubladen gesteckt werde. Ihr Ziel sei, dass ihre Kinder in der Mitte der Gesellschaft glücklich und erfolgreich sein können. Diversität müsse zu etwas Selbstverständlichen werden.

Ingrid Adjoa Yeboah ist Rechtsanwältin, sie beschreibt ihre schwierige Stellensuche und Vorbehalte an der Uni und sie erzählt die Geschichte, dass sie als Kind bei einer Freundin zum Spielen war und deren Vater eine Landkarte von Afrika herausgeholt hat, um sie nachdrücklich zu fragen, wo sie denn herkomme. Sie habe als Kind gar nicht gewusst was er wolle, schließlich war sie in Hamburg geboren und lebte schon lange in Hannover, Städte, die auf der Karte nicht zu finden waren.

Oder Victor Nettey, der Schwarze Metzger aus Speyer. In der Schule ist er sauer, weil die Mitschüler ihn durch ihr Quatschen am Zuhören hindern, als er die um Ruhe bittet, schickt der Lehre ihn aus. Solche Ungerechtigkeiten ärgern ihn maßlos. Er lernt in Harthausen Metzger, wechselt in eine Feinkostmetzgerei nach Mannheim in den Verkauf. Dann endlich kommt seine Chance, er träumt schon lange von der eigenen Metzgerei, in Speyer sucht Familie Heiß einen Nachfolger und im August 2018 übernimmt er das Geschäft mit 14 Mitarbeitern. Auf seinem Facebook-Account postet ein Speyerer, dass er zu einem farbigen Metzger nicht gehen wolle. Ein Sturm der Entrüstung und Solidarität entfacht sich: „Das hat mir gezeigt, dass es eine Vielzahl positiv eingestellter Menschen gibt. Das tut gut“, sagt er. Wie sagt er so schön zum Schluss: Ich bin ein Speyerer Bub.“

Und das sind nur einige wenige Beispiele aus dem neuen Buch, das mir viel Lesespaß bereitet hat. jüg

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