Bei Winzern, Hoteliers und Gastronomen (mit Fotostrecke)

Wiederaufbau nach der Flut: Die Mut-Macher vom Ahrtal

Über zwei Jahre sind seit der Flutkatastrophe im Ahrtal vergangen. Wir haben Gastronomen, Winzer und Geschäftsleute in Altenahr und Ahrweiler besucht und zeigen, wie sie ihr Schicksal in die Hand genommen haben.

Von 
Katja Bauroth
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Christof Körtgen, Markus Bell, Andreas Carnott und Lukas Sermann: Sie sind Macher, Mutmacher im Ahrtal. Allesamt wurden von der Flut getroffen und haben ihre Unternehmen wieder neu aufgebaut sowie teilweise neu ausgerichtet. © Katja Bauroth, Hotel Ruland

Altenahr/Ahrweiler. Stellen Sie sich vor, Ihre Existenz, alles, was Sie und Ihre Familie sich aufgebaut haben, werden binnen Minuten zerstört, geradezu weggespült. Erinnerungen, Liebgewonnenes, Wertvolles – einfach weg. Was bleibt ist ein riesiger wirtschaftlicher Schaden, Verzweiflung und pure Überlebensangst. Genau das haben viele Menschen im Ahrtal in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 erfahren müssen. Eben war die Welt noch in Ordnung, plötzlich ist da ein Hochwasser, das die Lebensgrundlage wegreißt.

Das Hotel Ruland in Altenahr blickt auf eine lange Geschichte zurück, die im Jahr 1862 begann. Der Familienbetrieb wurde 2021 von der Flut im Herzen getroffen, Restaurant, Küche, Garten und sowie zwei Etagen im Brunnenhaus wurden total zerstört. Bereits zwei Wochen nach dem Ereignis entschied Inhaber Andreas Carnott, nicht aufgeben zu wollen und begann mit den Planungen, das Haus nachhaltig für die nächsten Generationen aufzubauen. Das Angebot ist nach der Wiedereröffnung im Spätsommer 2022, ein Jahr nach der Hochwasser-Flut, um eine Sauna im dritten Obergeschoß und einen neu gestalteten Restaurationsbereich mit einer Kaminlounge ergänzt. Auch der komplette Außenbereich sowie der Weingarten an der Ahr wurden nach und nach wieder hergestellt. Hier warten neueste Standards (E-Tanksäulen) auf die Gäste. © Katja Bauroth

Hotel Ruland: Familienbetrieb in fünfter Generation

Für Andreas Carnott war zwei Wochen nach der Flutkatastrophe klar: Er macht weiter. Grund hierfür war auch eines seiner drei Kinder, das in den elterlichen Betrieb mit einsteigen möchte. In fünfter Generation führt Carnott das Hotel Ruland in Altenahr (hotel-ruland.de).

Andreas Carnott ist der Chef im Hotel Ruland in fünfter Generation. Ein Macher und Visionär. Ein leidenschaftlicher Koch und Dreifachpapa. © Hotel Ruland

Der Familienbetrieb wurde von der Flut im Herzen getroffen, wie Carnott beschreibt: Restaurant, Küche, Garten und sowie zwei Etagen im Brunnenhaus wurden total zerstört. Die Ahr fließt direkt am Haus vorbei und doch entschied der Koch, das Hotel an gleicher Stelle nachhaltig für die nächsten Generationen neu aufzubauen. So eröffnete er nur ein Jahr später wieder.

Das Restaurant im Erdgeschoss des Hotels Ruland erstrahlt in neuem Glanz. © Katja Bauroth

Der neue und moderne Restaurantbereich wurde um eine Kaminlounge ergänzt, das Haus bekam ein drittes Obergeschoss mit Saunen und Ruhebereich mit toller Aussicht auf die Ahrberge. Der komplette Außenbereich sowie der Weingarten an der Ahr wurden erneuert.

Lukas Sermann schaut nach vorn, die Flut möchte er hinter sich lassen. Er ist stolz auf die Weine, die er kreiert. Und das zu Recht. © Katja Bauroth

Auf den Parkplätzen ließ Carnott E-Tanksäulen installieren. Gäste, die das Haus von früher kennen, sind begeistert, sprechen von einer Aufwertung. Und auch Inhaber Carnott erwähnt, dass man in Sachen Interieur nicht allem nachtrauere, was die Flut mit sich gerissen hat. Um das Hotel herum gibt es noch Baustellen, Häuser in der Nachbarschaft, darunter auch Hotels, sind noch vom Hochwasser gezeichnet. Schnell wird deutlich, was Hotelier Carnott bestätigt: Wer privat Geld in die Hand nimmt, kommt schneller beim Wiederaufbau voran als jene, die auf Finanzmittel aus öffentlichen Kassen setzen müssen.

Weingut Sermann: Wein als Leidenschaft

Vorangekommen ist auch Lukas Sermann, der als einer der besten Rieslingproduzenten an der Ahr gilt (sermann.de). Wein ist seine große Leidenschaft und die Lagen des Ahrtals seine Heimatliebe. „Die Rieslinge dieses Jahr werden richtig gut“, schickt er voraus und ergänzt: „Ich stehe für filigrane Weine und bin froh, dass ich meinen Charakter hier mit reinbringen kann.“ 2017 stieg er in den Betrieb ein, übernahm ihn 2019. Von seinen zehn Hektar füllt er 100 000 Flaschen ab. 20 000 Liter Wein verlor er bei der Flut, 30 000 Flaschen schwammen weg – eine halbe Million Euro Schaden.

Die Vinothek im Weingut Sermann im Oktober 2023 ist ein moderner „Place to be“. Die Ahr fließt ruhig hinterm Haus und als schwungvolle Beleuchtung im Innenraum. © Katja Bauroth

Heute empfängt Lukas Sermann Gäste in seinem kleinen Restaurant „Thüres“ in der Seilbahnstraße 22 in Altenahr. Im minimalistisch gehaltenen, stilvollen Ambiente gibt es Platz für 17 Gäste plus für weitere an der Theke. Die Ahr fließt hier nicht nur hinterm Haus, sondern auch als Lichtelement an der Wand. Der Fluss, der Unheil brachte, bleibt im Mittelpunkt. Als Mahnmal. Als Motivation.

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In der Küche des „Thüres“ steht mit dem 23-jährigen Robert Bösel ein Fluthelfer, der unter anderem bei einem Sternekoch über die Schulter geschaut hat. Er sorgt freitags und samstags für Fine-Dining-Abende mit lokalen Produkten und bringt zudem klassische Gerichte der Region auf die Teller. Ein Konzept, das prima ankommt (Sermann: „Ein bissl Stadtflair auf dem Land“). Reservierungen werden empfohlen.

"Bells Genusshof & Marktplatz": Eine Pop-up-Genusswerkstatt

Viele haben sich Neues überlegt, die Flutkatastrophe als Chance genutzt. „Es wird wieder das Ahrtal werden, und es wird schöner werden.“ Markus Bell leistet seinen Beitrag dazu mit „Bells Genusshof & Marktplatz“ in Ahrweiler (bells-genusshof.de). „Hier finden vom Hochwasser betroffene Betriebe eine Heimat“, macht er ganz andere Kundenpotenziale deutlich. Es gibt vier feste Läden, zwei Künstlerinnen stellen immer wieder Neues aus und eine Schneiderei hat sich auf dem Areal niedergelassen.

Gastronom Markus Bell baute nach der Flut seinen „Bells Genusshof & Marktplatz“ mit einem pfiffigen Konzept in Ahrweiler auf. Wo er früher ganze Busgesellschaften versorgte, steht heute Genuss im kleineren Maß im Blickpunkt, kombiniert mit weiteren Geschäftsfeldern wie Kunst, Kunsthandwerk und Floristik – allesamt mit regionaler Note. © Katja Bauroth

Der langjährige Hotelier und Gastronom empfing vor der Flut Busgesellschaften und reichte bis zu 400 Essen täglich aus seiner Küche.

Egal, was hier hängt und steht: In „Bells Genusshof & Marktplatz“ in Ahrweiler gibt es quasi alles zu erwerben. Und fein essen kann man hier außerdem. © Katja Bauroth

Statt Schnitzel in Massen setzt er nun auf lokale Gerichte in Maßen, bedingt durch das neue Konzept einer Art Pop-up-Genusswerkstatt kombiniert mit einem Eventraum, die sich immer wieder ändert. Jetzt gehen etwa 100 Essen am Tag raus, wobei er nur donnerstags bis sonntags sowie auf Anfrage den Restaurantbetrieb anbietet. Als weiteres Standbein hat er einen Foodtruck. Der Umsatz, gibt er zu, habe sich freilich halbiert, „doch es fühlt sich gut an“, ist Bell glücklich mit dem neuen Weg. Von Olivenöl über Gewürze und Weine bis hin zu Kunstwerken und Blumen ist alles zu haben. Auch das Mobiliar kann bei Gefallen erworben werden.

„Wohlfühlfaktor“ hat Ruth Lehnen ihr kleines Paradies genannt, in dem jeder Deko-Queen das Herz aufgeht. Ihr Geschäft befindet sich in „Bells Genusshof & Marktplatz“. © Katja Bauroth

Ruth Lehnen hat ihr Deko-Geschäft „Wohlfühlfaktor“ ebenfalls bei Markus Bell angesiedelt, obwohl sie nach der Flut eigentlich nicht wiederkommen wollte. Doch das Konzept hat sie überzeugt. Markus Bells ist froh, dass seine Idee auf fruchtbaren Boden fällt. Noch glücklicher wäre er allerdings, wenn endlich ein übergeordnetes Hochwasserkonzept fürs Ahrtal seitens der politischen Verantwortungsträger auf den Weg gebracht werden würde. Doch bis dahin könnten Jahre vergehen – kostbare Jahre, die den Menschen im Ahrtal bei Starkregen Nerven kostet.

Weingut Körtgen: Die nächste Generation ist am Zug

Nicht nur Herzblutgastronom und Winzer, sondern auch leidenschaftlicher Musiker: Christof Körtgen spielt gern Piano für seine Gäste in der Weinstube des Winzerhofs. © Katja Bauroth

Christof Körtgen sorgt mit Klaviermusik für Entspannung bei seinen Gästen in der lauschig-lässigen Weinstube im Winzerhof Körtgen in Ahrweiler (koertgens.de). Mittlerweile sitzt der 61-Jährige häufiger an den Tasten, da er auf die nächste Generation setzt. Sohn Niklas (27) hat die Sektkellerei übernommen, Tochter Antje (30) nun die Winzerstube mit Vinothek.

Im Winzerhof Körtgen in Ahrweiler, Oberhutstraße 16. Auch dieser war stark von der Flut betroffen. © Katja Bauroth

Das Hochwasser brachte auch für den Winzerhof, der zudem drei Ferienappartements anbietet, große Zerstörung. Die Flutbewältigung, gibt Körtgen zu, habe man nur dank des großen Zusammenhalts innerhalb der Familie und durch die vielen Helfer geschafft. „Vieles wäre sonst nicht gegangen.“

Auch, gesteht er, dass die Menschen im Ahrtal durch ihre Gäste ein ganz anderes Bild von der Region haben, als sie selbst: „Wir sehen die vielen Wunden, die Brücken, die fehlen. Die Gäste schauen auf das, was man hier vorfindet, und das wird positiv wahrgenommen. Wir müssen lernen, die Dinge auch so positiv wahrzunehmen, wie es die Gäste mittlerweile tun.“

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Und derartige positive Dinge gibt es viele. Allen voran die Menschen, die Macher, die Mut-Macher im Ahrtal.

Autor Katja Bauroth liebt Begegnungen und Storys - im Lokalen und auf Reisen.

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