Interkulturelle Woche

World Café in Schwetzingen: Demokratie ist Vielfalt

Dieses World Café innerhalb der Interkulturellen Woche in Schwetzingen war besonders. Nicht nur, weil die kämpferische Landtagspräsidentin Muhterem Aras im Lutherhaus eine beeindruckende Rede zur historischen Realität der Vielfalt auf deutschen Boden hielt.

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Stefan Kern
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Moderatorin Anette Zietsch (l.) führt das abschließende Gespräch mit Muhterem Aras. © Dorothea Lenhardt

Schwetzingen. Dieses World Café innerhalb der Interkulturellen Woche in Schwetzingen war besonders. Nicht nur, weil die kämpferische Landtagspräsidentin Muhterem Aras im Lutherhaus eine beeindruckende Rede zur historischen Realität der Vielfalt auf deutschen Boden hielt und der Staatssekretär aus dem baden-württembergischen Umweltministerium Dr. Andre Baumann gelingende Demokratie mit Vielfalt untrennbar zusammenschnürte. Dieser gemeinsame Gedankenaustausch war besonders, weil hier 50 Bürger gemeinsam ihr gesellschaftliches Zusammenleben verhandelten. Denn es ist noch lange nicht alles gut. Doch den Gesprächen hier zuzuhören machte Mut für die Zukunft, dass Integration gelingen kann, gelingen muss. Und dass Menschen so leben dürfen, wie sich es für sich möchten.

Organisiert wird die offene Veranstaltung von Patrick Alberti aus dem Büro des Grünen-Landtagsabgeordneten Dr. Andre Baumann, Margit Rothe von der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen, Naweel A. Shad von der Ahmadiyya Muslim Jamaat und Gundula Sprenger, Leiterin der Volkshochschule, die breite Unterstützung von verschiedenen Seiten erfuhren. Zum grundlegenden Ablauf: Beim sogenannten World Café werden an Thementischen in Speeddating-Manier zu konkreten Fragestellungen Ideen gesammelt. Dafür ist eine bestimmte Zeit vorgesehen, dann wechseln die Teilnehmenden zum nächsten Tisch. Insgesamt zehn Tische gab es mit fünf Themenfindungen, die da lauteten „Wo findet Vielfalt in Schwetzingen statt?“, „Wie können wir ein gutes und friedliches vielfältiges Zusammenleben in Schwetzingen gestalten?“, „Was/wie können wir (in unserer Vielfalt) voneinander lernen?“, „Wie können wir uns auf Augenhöhe begegnen?“ und „Wo erlebe ich selbst interkulturelle Begegnungen?“ Doch wo stehen wir überhaupt in Sachen Zusammenleben, Vielfalt und Toleranz? Bülent Yarar, als 16-Jähriger Anfang der 1980er Jahre nach Deutschland gekommen, beschrieb den Wandel der vergangenen Jahrzehnte mit der Formulierung, „die Blicke haben sich verändert, sie sind freundlicher geworden“.

„Wie können wir ein gutes und friedliches vielfältiges Zusammenleben in Schwetzingen gestalten?“ Ibrahim Ahmed (v. l.), Felix Dimitrijevic, Nikolai Hoffmann, Alois Willing und Philipp Wolfart tauschen hierfür Ideen aus. © Dorothea Lenhardt

World Café in Schwetzingen: Denken in langen Linien

Seinen Auftakt erlebte dieser Abend mit den vier Musikern Alois Willing (Posaune), Felix Dimitriyevi (Posaune), Nikolai Hoffmann (Posaune) und Philipp Wolfart (Kontrabass) von der Musikschule. Schon ab da herrschte ringsum eine Art fröhliche Grundstimmung im Lutherhaus. Moderatorin Anette Zietsch, langjährige Redakteurin dieser Redaktion und mittlerweile Pressesprecherin im Rathaus Eppelheim, eröffnete den Abend, der zum Ideensammeln im Bezug auf Zusammenhalt und Vielfalt in Schwetzingen einlud, und begrüßte hierzu ganz besonders Landtagspräsidentin Mutherem Aras, die Bürger und Dr. André Baumann, der sich sodann per Videoschalte einklinkte. Zu gerne wäre er live dabei gewesen und hätte Aras, die eloquente Kämpferin für die Demokratie, wie er sie titulierte, persönlich begrüßt. Leider habe ein Virus das nicht zugelassen. Was ihn aber nicht daran hinderte, ein paar Pflöcke für die Bedeutung der Vielfalt, der Demokratie und des Lebens einzuschlagen.

Für die Demokratie, so Baumann, sei die Vielfalt eine Art Lebenselixier. Als Vergleich zog er die Kultur herbei, die in seinen Augen auf Vielfalt geradezu angewiesen sei. Ohne sie würde Kultur eingehen, wie eine Blume ohne Wasser. Zugleich sei diese Vielfalt natürlich immer wieder fordernd und erscheine Zeitgenossen durchaus auch als Bedrohung. Doch das Gegenteil, dass alles irgendwie gleich ist, scheint für eine Gesellschaft über die Zeit weit gefährlicher. Die Spannungen in einem so engen Korridor würde jede Gesellschaft irgendwann zerreißen.

Naweel Ahmed Shad gehört mit zum Organisationsteam und bringt hier Impulse seiner Gruppenarbeit vor. © Dorothea Lenhardt

Für die Landtagspräsidentin Aras ist die Vielfalt ein politischer Leitfaden, der ihr Handeln tiefgehend prägt. Wichtig war ihr das Denken in langen Linien. Deutschland sei nie homogenes Konstrukt gewesen. Schon allein seine Entstehung weise darauf hin, ist es doch einem Potpourri von 39 Fürstentümer entwachsen. Und am 4. Juli 1848, so Aras, erklärte der Schriftsteller und Politiker Wilhelm Jordan während einer Sitzung der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche: „Jeder ist ein Deutscher, der auf deutschem Boden wohnt. Die Nationalität ist nicht mehr begrenzt durch die Abstammung oder die Sprache, sondern ganz einfach bestimmt durch den politischen Organismus, durch den Staat“.

World Café in Schwetzingen: Was im Grundgesetz steht

Ein Gast des World Cafés brachte es 174 Jahre später auf die Formel, „wir sind keine Ausländer, Ausländer leben im Ausland“. Und im Grundgesetz, Artikel 3, von 1949 stehe deutlich: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“. Das sei ein starkes Versprechen. Angesichts dessen sei es schwer zu verstehen, wie viel politische Energie in den Satz, Deutschland sei kein Einwanderungsland, investiert wurde. „Es war schon damals falsch.“

Sorgen für tolle musikalische Beiträge: Felix Dimitrijevic (v. l.), Nikolai Hoffmann, Alois Willing und Philipp Wolfart. © Dorothea Lenhardt

Vielfalt war in den Augen von Muhterem Aras schon immer Realität und ein Garant für gelingende Zivilisation. Denn am Ende gelte, dass das Ganze mehr ist als seine Teile. Gerade in der Wirtschaft zeigten immer mehr Untersuchungen, dass Vielfalt im Unternehmen messbar für bessere Ergebnisse sorge. Oder, so Pfarrer Steffen Groß, der als einer der Gruppenleiter wirkte, etwas später, man denke an die Fußballnationalmannschaft. Wo würde diese stehen ohne Vielfalt.

Nach den Impulsvorträgen machten sich die Bürger ans Werk zur Vielfalt und ihrem Gelingen. Und dieses Gelingen habe viel mit ganz grundsätzlichen und eigentlich auch erwartbaren gesellschaftlichen Umgangsformen zu tun. Vor allem Höflichkeit, Respekt, in Form von Gesprächen auf Augenhöhe, und Offenheit. Entscheidend sei die Begegnung, denn das Sehen des anderen mache den anderen zum Subjekt, ganz jenseits von pauschalen Vorurteilen. Der Blickwinkel würde sich dabei nicht nur ändern, sondern weiten. Es waren Gedanken, die Aras sichtlich gefielen. Im abschließenden Gespräch mit der Moderatorin Zietsch zeigte sich die Landtagspräsidentin mit anatolischen Wurzeln erfreut darüber, dass in Schwetzingen die Vielfalt nicht nur ein Wort, sondern gelebte Kultur sei. Nur in den Institutionen würde sich das noch zu wenig ablichten, doch das gelte wohl für ganz Deutschland. Ausgenommen der Schwetzinger Gemeinderat hinsichtlich der Geschlechtervielfalt. Ein Gemeinderat, zur Hälfte mit Frauen besetzt, sei im Ländle nicht die Regel. Fehlt noch der Aspekt Migrationshintergrund. Hierfür müssten noch stärker Wege aufgezeigt werden. Vor allem Kindern müsste verdeutlicht werden, wie sie in die Institutionen gelangten, egal, ob es da um einen Verein gehe oder ein Regierungsamt. Es gilt, in langen Linien denken.

Schwetzingen

Schwetzingen: World Café mit Landtagspräsidentin Muhterem Aras

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Übrigens: Ein Punkt, der an den Tischen angesprochen wurde, war, mehr Begegnungsräume etwa durch Feste zu schaffen – und wie gut das funktionieren kann, zeigt auch hier Schwetzingen mit der Interkulturellen Woche und darüber hinaus.

Freier Autor Stefan Kern ist ein freier Mitarbeiter der Schwetzinger Zeitung.

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