Speyer. Er ist der Mönch schlechthin: schwarze Kutte, wallendes Haupthaar, weißer Vollbart – der perfekte Habitus für einen Klosterbruder. Ein Gottesmann wie aus dem Bilderbuch. Seine Popularität sichert Anselm Grün auch in Speyer ein volles Haus. Der Kaiserdom ist bis auf den letzten Platz besetzt, als der frühere Cellerar der Benediktinerabtei Münsterschwarzach seine sanfte Stimme erhebt. Grün spricht auf Einladung des Speyerer Dombauvereins. Sein Thema ist dem Anlass gemäß: Spiritualität in einer Kirche, die jahrtausendalte Glaubensgeschichte in ihrer Architektonik bewahrt.
Vom Vorsitzenden des Dombauvereins, Dr. Gottfried Jung, begrüßt, heißt Anselm Grün seine Zuhörer als „liebe Schwestern und liebe Brüder“ willkommen. Die Speyerer Kathedrale bezeichnet er als „gebaute Hoffnung“, sie habe in kriegerischen Zeiten immerfort Stabilität bewahrt und präsentiere sich auch angesichts gegenwärtiger Umwälzungen und weltweiter Konflikte als Ort der Geborgenheit. Die runden Formen der romanischen Baukunst betonten die „mütterlichen“ Seiten Gottes.
Zugleich ermögliche der Aufenthalt im Gotteshaus auch die Erfahrung, „dass ich immer mehr ich selber werde“. Dies sei das eigentliche Ziel spiritueller Reife: „Bei sich selbst daheim zu sein.“ Dank der musikalischen Umrahmung durch Domorganist Markus Eichenlaub lässt sich das Gesagte unmittelbar nachvollziehen. Hat Eichenlaub zu Beginn mit dem Allegro aus Louis Viernes zweiter Orgelsymphonie noch die machtvolle Dimension des Kirchenraums betont, so strahlt César Francks „Cantabile“ eine tröstliche Ruhe aus.
Kreuz als Symbol der Hoffnung
Unterdessen lässt sich die kirchliche Architektur nach den Worten Anselm Grüns auch als ästhetisches Faktum erleben. In der Schönheit äußere sich laut platonischer Philosophie obendrein das Phänomen der Liebe. Hässlichkeit werde hingegen durch Hass erzeugt.
Vor dem Hintergrund weltweiter kriegerischer und spaltender gesellschaftlicher Prozesse betont Grün jenes Ziel menschlicher Einheit, in der alle Gegensätze aufgehoben seien. Das christliche Kreuz gelte auch deshalb als Symbol der Hoffnung, da es als „Zeichen der Umarmung“ die Vision einer umfassenden Einheit unter Menschen am Leben erhalte.
Max Regers „Te Deum“, das Domorganist Eichenlaub nach dem abschließenden Segen des Paters intoniert, fördert obendrein die Präsenz des Mysteriösen und des Unerklärlichen. Nicht zuletzt die Musik verdeutlichte die Unverfügbarkeit sakralisierter Spiritualität gegenüber Deutungsversuchen, in denen die Kompatibilität geistlicher und ästhetischer Momente im vorschnellen Zugriff als evident erscheint.
Mag der kirchliche Raum auch Erfahrungen von Geborgenheit und Schönheit stiften, so kommt im Vortrag des Benediktinermönchs das weltweit zunehmende Phänomen der Heimatlosigkeit allenfalls als Randerscheinung vor. Wohl dem, der „bei sich selbst daheim“ sein kann, nachdem ihm gerade das Dach über dem Kopf weggebombt wurde.
Ein „mütterlicher Gott“ würde in diesen aufgewühlten Zeiten gerade auch außerhalb von Kirchenmauern dringend benötigt.
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