Buchneuerscheinung

Der lange Weg nach Hause

Eine Mutter-Tochter-Beziehung steht im Mittelpunkt von Bernadette Schoogs Romandebüt „Marie kommt heim“.

Von 
Elke Barker
Lesedauer: 
Autorin Bernadette Schoog. © Schoog

Speyer. Es ist gar nicht so ungewöhnlich, dass die Beziehung zu den Eltern, zum Vater, zur Mutter, schwierig ist. Dass es Probleme gibt, etwas, das zwischen den Generationen steht. So ist das auch in Bernadette Schoogs Romandebüt „Marie kommt heim“, erschienen im Stuttgarter Kröner Verlag (Edition Klöpfer), in dem die in Speyer lebende Autorin Familiengeschichte aufarbeitet: einfühlsam, ohne jemals kitschig oder rührig zu werden.

Auslösender Moment, der die Dinge gleich einem Katalysator in Gang bringt, ist ein Anruf aus dem Pflegeheim. Die Mutter liege im Sterben, so die Nachricht, woraufhin sich Marie auf die Reise macht. Eine Reise, die sie nicht nur zurück zur Mutter, sondern auch an den Ort ihrer Kindheit und Jugend bringt, einen bekannten Wallfahrtsort am Niederrhein.

Große Nähe zu den Figuren

Zur Person

  • Bernadette Schoog, geboren in Kevelaer, studierte Kommunikations- und Literaturwissenschaften in Aachen und Freiburg, erste Erfahrungen als Dramaturgin am Bochumer Schauspielhaus unter Claus Peymann, danach in München und Basel.
  • Ab Mitte der 1990er Jahre moderierte sie verschiedene Fernsehformate für ARD und SWR und lehrt seit Jahren Interviewführung und Präsentation am Seminar für Allgemeine Rhetorik in Tübungen. Seit 2008 führt sie Gesprächsreihen mit Prominenten.
  • Sie ist Autorin mehrerer Biografien aus der Kunstszene, etwa über Reinhold Würth, Frieder Burda, den Designer Peter Schmidt, das Brücke-Museum Berlin. Bernadette Schoog ist Mitglied im deutschen PEN. 

Wie sich Marie um die Sterbende bemüht, sich beide zunächst in alte Beziehungsmuster verstricken, leuchtet die Autorin mit großer Nähe zu ihren Figuren aus. Fremdheit ist dabei ein Leitmotiv. Obwohl Marie in ihrem Heimatort geboren wurde und dort aufwuchs, blieb ihr der Wallfahrtsort mit seiner Mischung aus Geschäftstüchtigkeit und Gottesfürchtigkeit immer fremd. „Marie schaute aus dem Fenster und sah gerade noch zwei Fahnenträger, die eine Vierergruppe anführten, in deren Mitte sich auf einem massiven Holzgerüst eine üppig ausstaffierte Statue der Mutter Gottes erhob (…) und zuletzt den Priester, in der Hand ein Megaphon, in das er die Perlen des Rosenkranzes hineinbetete und zwischendurch ein Marienlied hineinsang. Unnatürlich laut und blechern klang seine Stimme durch die Verstärkung.“

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Bernadette Schoog bedient sich einer Reihe von Rückblenden, die – eingewebt in die Handlung des Romans – diesen auf ein breites Fundament stellen und emotionale Tiefe erzeugen. Da gab es die enge Beziehung zum früh verstorbenen Vater, die von der Mutter argwöhnisch beäugt wurde, sei es, dass er ihr eine Tüte Pommes kaufte oder sich von Marie den Weihnachtswunschzettel diktieren ließ. Oder die von der Mutter erzwungenen Küsse, für die „Körperlichkeit zweckgebunden war und nicht der Freude dienen“ durfte. Und nicht zuletzt die plumpen Annäherungsversuche des Cafébesitzers, bei dem Marie als Jugendliche ihr Taschengeld aufbesserte, und der ihr unter dem Gejohle seiner Mitarbeiter mit den immer gleichen dämlichen Worten – „Du hast da was sitzen“ – in Höhe des Busens den imaginären Mehlstaub vom schwarzen T-Shirt wischte.

Angst, etwas falsch zu machen

Bei all dem mit von der Partie ist das Thema Schuld, die Angst, etwas falsch zu machen und den Anforderungen der Mutter nicht zu genügen. Personifiziert begegnen uns diese Gefühle in der „Muhme Angst“, werden so plastisch und greifbar. Die „Muhme Angst, stets in Trauerkleidung, hochgeschlossen bis zum faltigen Hals“, „immer blass um die Nase und säuerlich lächelnd, bittet unmissverständlich um Einlass“, um dann mit Vorwürfen à la „Jetzt hast du deine Mutter ja auch schon lange nicht mehr besucht“ aufzuwarten.

Doch der Roman begnügt sich nicht mit einer Bestandsaufnahme. Als Marie von einer Pflegerin eine Kiste mit Tagebüchern, Fotos und Briefen zugespielt bekommt, erfährt sie – frei von Idealisierungen und Verdrängungsmechanismen – die wirkliche Lebensgeschichte ihrer Mutter. Dies gibt der Handlung einen enormen Schub, setzt Energien frei, für Verständnis, Versöhnung, Neuordnung: Letzte Wünsche dürfen jetzt wahr werden, Verrücktes darf geschehen. Und wäre der Tod nicht der Tod, fast hat man das Gefühl, ihm würde ein Schnäppchen geschlagen. Der „Muhme Angst“ auf jeden Fall wird kräftig zugesetzt. Am Ende wirkt sie so lächerlich wie das von der Mutter geliebte Plastikblumengesteck, das ihr die Tochter ins Grab beigibt.

Bernadette Schoog ist mit „Marie kommt heim“ ein Debüt gelungen, das beim Lesen eine soghafte Wirkung entfacht und lange nachwirkt.

  • Bernadette Schoog: „Marie kommt heim“, Alfred Kröner Verlag Stuttgart, 272 Seiten, ISBN 978-3-520-76301-3, 24 Euro.

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