Speyer. Die Namen der „Weisen von Speyer“, der Rabbiner und Schriftgelehrten der Talmudschule des mittelalterlichen jüdischen Gemeindezentrums von Speyer, sind in historischen Quellen gut belegt. Im Hof der Unesco-Welterbestätte in der Kleinen Pfaffengasse erinnert eine Skulptur des Bildhauers Wolf Spitzer an diese große Tradition der SchUM-Stadt. Bei den bekannten und belegten jüdischen Schriftgelehrten ist in allen Fällen von Männern die Rede. Aber wer waren die jüdischen Kantorinnen und Geschäftsfrauen, die in der Frauenschul von Speyer gebetet haben? Was weiß man über sie? Warum sind ihre Namen nicht überliefert? Und warum sind diese Frauen heute fast vergessen, obwohl viele von ihnen im jüdischen Gemeindebezirk wichtige Aufgaben erfüllten und an prominenter Stelle tätig waren?
Dazu finden sich nur sehr spärliche Informationen in den überlieferten Quellen. Zugegeben, in der Judaica-Sammlung des Historischen Museums der Pfalz gibt es einige mittelalterliche Grabsteine mit Namen von Frauen, aus deren Inschriften sich kleine Hinweise auf ihre Biographien ergeben. Und es gibt – allerdings eher selten – einige wenige namentliche Erwähnungen von Frauen in den Quellen. Viel ist es nicht. Man stößt schnell auf eine Forschungslücke, die wissenschaftlich aufgearbeitet werden muss.
Die Frauen
Minna wurde 1146 während des zweiten Kreuzzugs ermordet.
Nach dem Pestpogrom im 14. Jahrhundert werden in einer Speyerer Urkunde vier Jüdinnen als Haushaltsvorstände genannt: Mannat, Bluemen, Jutden und Sare.
Judith war die Tochter des Rabbi Juda ha-Saken.
Hanna war die Frau des Rabbi Juda ha-Kohen. Judith, Hanna und Bruna starben 1096 während des ersten Kreuzzugs.
Bruna war die Frau des Rabbi Samuel ben Benjamin. mn
Das ist auch Astrid Farmer aufgefallen, einer Grafik- und Kommunikationsdesignerin aus Berlin, die sich intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt hat. „Mit der Frauenschul hat alles angefangen“, erzählt sie. Ein Rundgang mit der auf jüdische Geschichte spezialisierten Gästeführerin Cornelia Benz durch die Speyerer Welterbestätte hat sie neugierig gemacht. Sie wollte sich künstlerisch mit dieser „Leerstelle“ auseinandersetzen und hat sich auf Spurensuche nach jüdischen Frauennamen begeben.
Vier Wochen hat sie dazu in Speyer verbracht, im Künstlerhaus in der Sämergasse gewohnt, recherchiert, Bücher gewälzt, Quellen studiert, mit Expertinnen und Museumsmitarbeitern gesprochen. Letztendlich hat sie in der Winkeldruckerey im Kulturhof Flachsgasse mit Unterstützung von Remo Krembel und Johannes Doerr aus ihren neu gewonnenen Erkenntnissen einen Handpressendruck gefertigt, der acht Frauennamen grafisch prominent ins Zentrum rückt.
Die Frauen sichtbar machen
Sie heißen Minna, Mannat, Bluemen, Jutden, Sare, Judith, Hanna und Bruna und sind alle mit kleinen Geschichten verknüpft (siehe Infobox). Astrid Farmer will mit ihren künstlerischen Blättern diese Frauennamen wieder sichtbar machen, aus den tiefen Schichten des Vergessens zurückholen. Und sie kann das mit einem alten jüdischen Sprichwort gut begründen: „Ein Mensch ist nur vergessen, wenn sein Name vergessen ist.“ Dieses Zitat aus dem Talmud, einem der bedeutendsten Schriftwerke des Judentums, hat sich die Graphik-Designerin aus Berlin für ihr Projekt zu eigen gemacht.
Ihre acht Namen von Frauen sind in übergroßen Lettern aufs Blatt gedruckt, für die sie eine neutrale, zeitlose Schriftart gewählt hat. Mit zwei Linolplatten als kreative Lösung für die übergroßen Buchstaben, für die es keine Satzschrift mehr gibt, kann sie Zweifarbigkeit und eine Art Überlagerung erzeugen. Die kleinen Erläuterungen zu den Namen werden zusätzlich im Bleisatz eingedruckt.
Auch in der gewählten Technik, einer Kombination aus Linolschnitt und Bleisatz, spiegelt sich die inhaltliche und künstlerische Herangehensweise von Astrid Farmer: Sie will diese jüdischen Namen aus den tiefen Schichten des Erinnerns zurückholen. Die Mehrschichtigkeit auf dem Papier ist ihr deshalb ein wichtiges Anliegen. Die blaue Farbe assoziiert das Wasser der Mikwe und das Mittelmeer. Und sie hat noch eine ganze Reihe anderer Ideen, wie man das Thema künstlerisch noch weiter entwickeln könnte, zum Beispiel mit einer Lichtinstallation am historischen Ort, eben in der Speyerer Frauenschul. Aber dazu braucht es eine längere Vorlaufzeit, die notwendigen Genehmigungen und natürlich auch entsprechende Projektmittel. Wer weiß, vielleicht findet sich im Rahmen der SchUM-Kulturtage eine Möglichkeit, dieses hoch interessante Projekt weiter zu vertiefen?
Astrid Farmer wurde 1986 in Österreich geboren und lebt seit 2009 in Berlin. In Graz studierte sie Grafik- und Kommunikationsdesign sowie Informationsdesign. 2014 schloss sie ihr Masterstudium mit Schwerpunkt Typografie an der Fachhochschule Potsdam ab. Ab 2015 lehrte sie Typografie und Grafikdesign in Potsdam, Berlin und Braunschweig. An der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig verwaltet Astrid Farmer seit 2021 die Professur für Typografie.
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