Das Wichtigste in Kürze
Musik, die sich selbst auf die Schippe nimmt, hat das Gropius Quartett aus Weimar jetzt im historischen Rathaus zu Speyer geboten.
Speyer. Musik, die sich selbst bespiegelt, die über ihre eigenen Formen reflektiert und sich gelegentlich auch selbst auf die Schippe nimmt – solches lässt sich spätestens seit Barockzeiten beobachten. Solche performativen Späße haben die Wirkung, als würde der Komponist seine Hörer mit einem neckischen Augenzwinkern bedenken. Beim Konzert im Historischen Ratssaal in Speyer hatte das 2018 in Weimar gegründete Gropius Quartett unter anderen Werke aufs Programm gesetzt, die sich, mehr oder weniger versteckt, auf ein ironisches Spiel einlassen, in das sie ihr Publikum einspinnen.
Joseph Haydns Streichquartett Es-Dur, schon im Titel mit „Der Witz“ bedacht, macht hierbei den Auftakt. Im Scherzo mit seiner kantig-robusten Anmutung weckt die erste Geige dank der geschmäcklerischen Schleifer Assoziationen an tierische Lautäußerungen: Katzenmusik, die genauso klingen will. Und im Finale, das vom Gropius Quartett in einem geschliffenen Tempo präsentiert wird, provozieren die finalen Kadenzwirkungen, die auch noch mit harschen Generalpausen versehen sind, mehrfach Schlussbeifall, der dem Kalkül des Unzeitgemäßen erliegt. Für Erheiterung sorgt dies glücklicherweise bei allen Beteiligten.
Friedemann Eichhorn und Indira Koch spielen abwechselnd die erste Geige
In der trockenen Akustik des Historischen Ratssaals springt diese Musik unmittelbar an und lebt weniger durch klangliche Brillanz als durch das leidenschaftlich-musikantische Spiel. Freilich werden hierbei keine Ausdrucksgrenzen verschoben, Artikulation und Dynamik bleiben unterhalb der Schwelle zum Revolutionären. Dafür liefern Friedemann Eichhorn und Indira Koch, die im Quartett abwechselnd die erste beziehungsweise zweite Violine spielen sowie Alexia Eichhorn (Viola) und Wolfgang Emanuel Schmidt (Cello) einen runden, markanten Ensembleklang, der die Musik mit genüsslicher Süffisanz serviert.
Die Komposition „Divorce“ des türkischen Komponisten Fazil Say wollen die beiden Ehepaare, die sich im Gropius Quartett zusammengefunden haben, nicht wörtlich verstanden wissen. Der Titel „Scheidung“ verweist auf die Differenz zwischen okzidentaler und orientalischer Musiktradition, die Say in diesem Stück schroff aufeinander prallen lässt und sie zugleich miteinander vereint. Fremdartige, dissonante Harmonien und rhythmische Exotik treffen auf klanglich erweiterte Effekte durch Streichertechniken wie Col legno, Pizzicati und Flageolett. Da nimmt sich Hugo Wolfs Italienische Serenade geradezu leichtfüßig aus und versprüht eine durch keinerlei Konflikte beeinträchtigte Lebenslust.
Beethovens Streichquartett c-Moll mit seiner ins Unwirsche tendierenden Kratzbürstigkeit wird vom Gropius Quartett mit schicksalshaftem Ernst präsentiert, während die fugierten Passagen im zweiten Satz als Kommentar zu Vergänglichkeit und Zeitlichkeit einer Epoche anklingen. Auch die nachfolgenden Sätze scheinen mit harmonischen Mustern zu würfeln; über die Satzbezeichnung „Menuett“ könnte man dabei trefflich ins Grübeln kommen. Das abschließende Prestissimo ist ein grimmiger Kehraus, der dank des feurigen Ensemblespiels einen unbeugsamen Willen nach Ungebundenheit verrät. Pablo Casals „Gesang der Vögel“ geben die Musiker als sehnsüchtig klingende Friedensbotschaft zu.
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