Speyer. Als Junge hatte er den Film „Es ist Mitternacht, Doktor Schweitzer“ über den Orgel spielenden Urwaldarzt gesehen. Daraufhin beschloss Daniel Roth, diesem Instrument sein Leben zu widmen. Die Zuhörer im Speyerer Dom dürften sich einig gewesen sein: eine gute Entscheidung. Denn der aus dem Elsass stammende und in Paris lebende Kirchenmusiker setzte mit seinem Konzert im Rahmen des Internationalen Orgelzyklus im Dom zu Speyer Maßstäbe.
Hatte Roth zuvor schon die Teilnehmer an einem Meisterkurs in die Kunst des Spiels der Orgelwerke César Francks eingewiesen, so stand der belgisch-französische Komponist auch im Mittelpunkt des Konzertprogramms an der Hauptorgel im Dom. Franck, dessen 200. Geburtstag in diesem Jahr begangen wird, hat als Begründer der symphonischen Orgelmusik auch die Bauart der französischen Orgeln beeinflusst. Im Speyerer Dom fand sein Interpret, der als fast 80-jähriger Titularorganist an der Pariser Kathedrale noch immer seinen Dienst tut, indes alle Voraussetzungen vor, um sich des spätfranzösischen Erbes als würdig zu erweisen.
Hatte Daniel Roth seinen Meisterschülern noch den Rat mitgegeben, beim Vortrag an der Orgel die Absichten des Komponisten an die erste Stelle zu setzen und das Konzertpublikum mit informiertem Spiel in das Geschehen einzubeziehen, so wurde er selbst diesen Anforderungen als Organist an der Hauptorgel im Dom gerecht. Übersicht und Ruhe prägten sein Spiel ebenso wie die Berücksichtigung der besonderen Klangverhältnisse in der Speyerer Kathedrale.
Weder beeindruckte Roth durch Effekte noch durch Virtuosentum, wiewohl sein technisches Spiel über alle Kritik erhaben ist. Stattdessen aber konnte man sich als Zuhörer dank der bedachten und überlegten Spielweise des Organisten sofort in die musikalischen Abläufe einbezogen fühlen und entpuppte sich die im Dom häufig mächtig aufbäumende Klangfassade durchaus nicht als opak, sondern geradezu als transparent und anschmiegsam. Nichts geriet verschwommen oder wolkig, selbst komplexe Strukturen hatten Schärfe und Profil. Außerdem hatte der Organist die Farben der vielfältigen Register dieses Instruments sensibel auf Raum und Akustik abgestimmt. Während Organisten zuweilen gegen den immensen Nachhall im Dom ankämpfen, nutzte ihn Daniel Roth als Tragfläche für dynamische Prozesse.
Hommage an César Franck
Drei Stücke von Camille Saint-Saëns hatte der Organist für diesen Abend ausgesucht, wobei schon die strahlenden Stimmen des Präludiums mit Fuge in C-Dur, die sich vor der majestätischen Bassposaune abhoben, eine lichte Atmosphäre erzeugten. Saint-Saëns’ Des-Dur-Fantasie entpuppte sich als ein an poetischen Gedanken reiches Lied, dessen fugierte Passagen in einen hymnischen Finalteil mündeten, in den Roth seine Zuhörer führte, als würde er die Türen zu einem hell erleuchteten Saal öffnen. Das für Orgel bearbeitete Scherzo aus sechs Stücken für Harmonium und Klavier beeindruckte durch hingetupfte Töne über einer Melodie, die wie Leuchtpunkte an einem imaginären Firmament aufblinkten.
Doch dann: César Franck. Der große französische Spätromantiker, den Daniel Roth zunächst mit einer eigenwilligen Hommage würdigte. Darin wurden vor allem die Tonbuchstaben des Komponisten leitmotivisch verarbeitet und den für Franck typischen chromatischen Durchgängen überantwortet sowie in hymnischen Passagen verklärt. Auch hierbei nutzte Roth die Möglichkeit, Haupt- und Chororgel miteinander zu koppeln, was dem Klangspektrum im Dom eine zusätzliche Dimension verschaffte.
Auch Roths Improvisation über Themen Marcel Duprés erwies sich durchaus als anschlussfähig an avantgardistische Ansprüche, reizte tonales Empfinden und bot rhythmische Schroffheiten, strapazierte die Ohren der Zuhörer aber keineswegs mit dissonanter Kakophonie. Stattdessen erfreuten die kreativen und fantasievollen Ergebnisse, zu denen Roth nicht nur als Organist und Komponist, sondern auch als Improvisator fand. Dieser Musiker gebietet über Instrument, Werk und Raum, tritt ihnen aber dennoch nicht als Herrscher und Eroberer entgegen.
Mit Roths eigener, harmonisch wieder in romantischere Gefilde zurückfindenden Orgelbearbeitung des Orchesterstücks „Rédemption“ von César Franck fand das Konzert einen versöhnlichen Schluss. Und mit dem triumphalen Gestus des Finales schloss sich der Kreis zum Konzertbeginn und zu seinem verheißungsvollen Versprechen – von diesem begnadeten Organisten auf höchst beglückende Weise eingelöst. urs
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