Kirche

Mit den Fingern durch den Speyerer Dom

Vor dem Speyerer Dom steht jetzt ein Tastmodell, das den Innenraum des Doms für Menschen mit Seheinschränkungen erfahrbar machen soll. Das Bronzemodell bildet einen Schnitt durch das Gebäude in etwa 10 Metern Höhe ab

Von 
Uwe Rauschelbach
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Das Tastmodell für sehbehinderte Menschen am Speyerer Dom: Der Bronzeguss l bildet einen Schnitt durch das Gebäude in etwa 10 Metern Höhe ab. © Klaus Landry/epd

Sturm und Regen zeigen sich von ihrer schlimmsten Seite. Doch auch solche Wetterkapriolen können dem Werk von Egbert Broerken nichts anhaben. Der Soester Bildhauer baut vor allem Stadtmodelle für Blinde und Sehbehinderte. Vor dreieinhalb Jahren wurde sein Bronzemodell des Speyerer Doms im südlichen Domgarten eingeweiht. Wenige Meter davon ist nun auch eine betastbare Kupferform vom Innenraum der Kathedrale enthüllt worden.

Finanziert wurde das zweite Modell mit 30 000 Euro durch die Europäische Stiftung Kaiserdom zu Speyer. Deren Vorstandsvorsitzender, Alfried Wieczorek, sagte bei der Enthüllung, für die Stiftung sei dies „keine ganz große Geschichte, aber eine großartige Idee“. Immerhin handele es sich um eine deutschlandweite Premiere: „Keine andere Kirche hat ein solches Modell aufzuweisen.“

Auch der Kuratoriumsvorsitzende der Stiftung, der frühere rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck, hob die nationale „Einzigartigkeit“ des Tastmodells hervor. Es sei zugleich ein „Zeichen der Verbundenheit“, die auch Menschen mit eingeschränktem Sinnesvermögen zum Dom unterhielten. Allen Besuchern des Kaiserdoms wünschte Beck durch die Modelle eine „zusätzliche Erkenntnismöglichkeit“.

Auch Sehende tasten

Domdekan und Domkustos Christoph Kohl berichtete unterdessen von einem erklecklichen Interesse, das Dombesucher der Kleinausgabe des Unesco-Welterbes entgegenbrächten. In der Hauptsache seien es Menschen ohne Beeinträchtigungen, die anhand des Modells und aufgrund der monumentalen Ausmaße des Domes ein besseres Verständnis von der Architektur der Kirche erhielten: „90 Prozent derer, die das Modell erkunden, sind Sehende“, meinte Kohl: „Vor allem auch Kinder spielen damit.“ Kohl dankte der Europäischen Stiftung Kaiserdom für die finanzielle Unterstützung. Das erste Modell hatte der Dombauverein mit Unterstützung von Sponsoren finanziert.

Beim Entwurf für das Innenraummodell habe der Künstler auf keine Erfahrungen in anderen Städten zurückgreifen können, bestätigte der Domdekan. Das Ergebnis zeigt einen Querschnitt, der den Grundriss des Doms bis zu einer Höhe von etwa zehn Metern abbildet. Die Finger, die das Modell betasten, fahren das Hauptschiff entlang, wandern über die zwölf Arkaden die Stufen zum Königschor mit den Kaisergräbern empor und kommen beim Vierungsaltar und der Apsis an. Auch die Afrakapelle sowie die Katharinenkapelle und die Sakristei können auf diese Weise „begangen“ werden.

Einen solchen ersten Rundgang mit den Fingern unternahm bei der Einweihung der ehrenamtliche Behindertenbeauftragte der Stadt Speyer, Willy Pudlich. Er ist vor 23 Jahren erblindet und kann sich noch an frühere Seheindrücke vom Dom erinnern. Dies helfe beim Ertasten, sagte Pudlich im Gespräch mit dieser Zeitung. Sein Urteil: „Es ist ein tolles Objekt geworden.“

Das Innenraummodell des Kaiserdoms lasse mit den Fingern zwar lediglich Länge und Breite erahnen, bestätigte Pudlich. Doch einen Eindruck von den Höhenmaßen könne man beim Ertasten des Außenmodells wenige Meter daneben bekommen. Sogleich wanderten seine Finger wieder über Schraffuren und Erhebungen hinweg. Auch die ersten Treppen der beiden Aufgänge zur Empore kann man im Modell besteigen. Für Willy Pudlich fühlt sich das an, als wäre er jetzt drinnen. Im wirklichen Dom.

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