Festival

Samba in Honky Tonk Town: Viel Rhythmus in Speyer

Insgesamt rund 2000 Besucher erleben bei der Reihe „Jazz im Rathaushof“ mit fünf kleinen und großen Bands fantastische Konzerte. Wir geben rückwirkend einen Überblick.

Von 
Uwe Rauschelbach
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Speyer. Auch wenn der Oldtime-Jazz von Beginn an zum Kernrepertoire der Speyerer Reihe „Jazz im Rathaushof“ gehört, so verwalten die Ensembles, die in Speyer vor historischer Kulisse auftreten, kein museales Erbe. Nach den South West Oldime All Stars zum Auftakt bewiesen an den Folgeabenden auch die New Orleans Shakers sowie die Square City Stompers die Vielfältigkeit dieses Genres wie seine ungebrochene Aktualität.

Freilich reichen die Wurzeln tief bis in die 1920er-Jahre, da Musiker wie Louis Armstrong dem Jazz eine offenbar bis heute andauernde Beschleunigung verlieh, die noch immer nicht gebremst scheint. So integrieren die New Orleans Shakers mit Berliner und Hamburger Musikern wesentliche Elemente des New Orleans Jazz in ihre Arrangements, erweitern das Repertoire aber durch lateinamerikanische Stile. Mitte der 1970er-Jahre gegründet, dann eine Pause von drei Jahrzehnten eingelegt, spielt das Ensemble einen locker swingenden, delikaten Akustik-Jazz auf hohem Niveau.

Sänger, Klarinettist und Tenorsaxofonist Thomas l’Etienne ist mit Schlagzeuger Torsten Zwingenberger das Kernduo der New Orleans Shakers, die mit Lorenz Boesche einen vor musikantischer Fantasie und spielerischer Raffinesse sprühenden Pianisten in ihren Reihen hat. Der Jüngste im Quartett ist Franz Blumenthal, der sich am Kontrabass mit technischer Virtuosität, präzisem Taktgefühl und enormem Einfühlungsvermögen profilierte.

Ziemlich zu Beginn kredenzten die New Orleans Shakers ihrem Publikum „Un Ti Punch“ von Claude Lelouch, einen Cocktail, der auf der Insel Martinique der französischen Antillen gemixt wird, um anschließend eine gar nicht so sentimentale „Sentimental Journey“ anzutreten, für die Torsten Zwingenberger am Schlagzeug einen mächtigen Zug mit Dampflokomotive in Bewegung setzte. New-Orleans-Standards wie „Down In Honky Tonky Town“ aus der Armstrong-Ära wurden mit einer brasilianischen Samba kontrastiert, die Pianist Boesche als romantisch beseelten Sänger und Torsten Zwingenberger als perkussiven Schlagzeuger präsentierte.

Rumba-Rhythmen mischten sich mit Oldtime-Jazz-Elementen, ohne dass es knirschte, und in „If I Were A Bell“ mit dem einschlägigen Big-Ben-Motiv zu Beginn spielte Pianist Lorenz Boesche seine beträchtlichen improvisatorischen Fähigkeiten aus. Dagegen sah Fats Wallers Standard „I’m Crazy ‘bout My Baby“ dann schon fast ein wenig alt aus. Mit einer Eigenkomposition im Paradenrhythmus Marke New Orleans ehrte Thomas l’Etienne Schlagzeuger „Black Benny“ Williams, der als Förderer Louis Armstrongs galt.

Mit einer von Schlagzeuger Zwingenberger abermals angeführten Reise ließen sich die Konzertbesucherinnen und -besucher von der ostafrikanischen Savanne in den brasilianischen Regenwald geleiten, schnupperten mit George Lewis’ „Burgundy Street Blues“ über eine Straße in New Orleans ein wenig Lokalkolorit und wurden mit einem zünftigen Boogie Woogie entlassen. Und das alles mit einer feinen, distinguierten Note, die nicht die geringste Arroganz verströmte.

Einflüsse aus der Popularmusik

Etwas zupackender und dynamischer gingen anderntags die Mannheimer Square City Stompers zur Sache, die mit dem „Kiss“-Cover von Prince ihre Neigung demonstrierten, den Jazz mit Popeinflüssen zu koppeln. Seyda Sibel ist eine charismatische, mit ausdrucksstarker Stimme begnadete Frontsängerin, während Tobias Altripp mit seinen profunden Jazzeinlagen am Klavier den Ton angibt. Carl Krämer konnte mit solistischen Einlagen an Saxofon und Klarinette glänzen, Moritz Koser lieferte einen soliden Bass dazu, und Johannes Hamm zeigte sich als temperamentvoller Perkussionist.

Zusammen kreierten die Quadratestädter einen Jazz, der seine Wurzeln nicht verleugnet, sich aber weit für moderne Stilistiken öffnet. Beatles-Titeln wie „Honey Pie“ und „When I’m Sixty Four“ verliehen die Stompers einen ordentlichen Swing, und „I Wanna Be Like You“ aus Disneys „Dschungelbuch“ wurde zur wilden Urwald-Hatz. Bernie Millers „Bernie’s Tune“ verpasste das junge Quintett einen treibenden Bebop-Drive. Außerdem zeigten die Mannheimer, dass sie auch als klassisches Jazzrio mit Klavier, Bass und Schlagzeug funktionieren.

Enorm wandlungsfähig zeigte sich Sängerin Seyda Sibel, die nach Cole Porters Song „The Laziest Gal In Town“ eine romantische Eigenkomposition zum Besten gab, die schon klassische Qualitäten hatte. Der Refrain in Ray Charles’ „Hit The Road, Jack“ wurde vom Publikum mitgesungen, das vom neuen künstlerischen Leiter des Jazz im Rathaushof, Matthias Debus, zuvor ordentlich animiert worden war.

Doch die Speyerer und ihre Gäste kommen auch ohne Anleitung in die richtige Stimmung, das hat auch die diesjährige Veranstaltungsreihe bewiesen. Vielleicht herrscht im Hof des Historischen Rathauses nicht immer die explosive Tonlage, dafür sind die Besucherinnen und Besucher mit ebenso großer Anhänglichkeit wie Aufmerksamkeit bei der Sache. Selbst, als am Samstagabend der Regen einsetzte, war im Rathaushof nicht gleich Schluss.

Auch die beiden Vormittagskonzerte, die bei freiem Eintritt besucht werden konnten, fanden ihre Gäste. Dabei wurde mit der Neustadter Blue Note Bigband, die hauptsächlich Count-Basie-Titel spielte, und dem Duo Laurent Leroi (Akkordeon) und Michael Herzer (Kontrabass) mit seinen intimen Tango- und Milonga-Stücken das ganze Spektrum des Jazz sichtbar. Bei insgesamt rund 2000 Besuchern zeigte sich künstlerischer Leiter Debus zum Einstand sehr angetan. Dieses Festival sei einfach „bombastisch“.

Freier Autor

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