Orgelkonzert

Speyer: Das Schweben und Flirren der Spätromantik

Jens Wollenschläger entwirft an der großen Kleuker-Orgel ein Pfingstpanorama von eher stiller Dringlichkeit.

Von 
Uwe Rauschelbach
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Professor Jens Wollenschläger spielt an der Kleuker-Orgel. © Klaus Venus

Speyer. Pfingsten in der Speyerer Gedächtniskirche: Es fallen keine Feuerzungen vom Himmel; der Heilige Geist nähert sich stattdessen, wie weiland beim alttestamentlichen Elia, im sanften Säuseln. Beim Konzert entwirft Jens Wollenschläger an der großen Kleuker-Orgel ein Pfingstpanorama von eher stiller Dringlichkeit, das in seiner kontemplativen Anmutung an innere Empfindungen appelliert, anstatt die Sinne mit ozeanischem Brausen überwältigen zu wollen.

Dabei verfügt die Orgel auf der Empore der Gedächtniskirche durchaus über Substanz und Volumen, die der Tübinger Kirchenmusiker mit Johann Sebastian Bachs Fantasie über den Choral „Komm, heiliger Geist, Herre Gott“ (BWV 651) gleich zu Beginn auch abruft. Der Cantus Firmus im Bass dringt majestätisch durch, und die Sechzehntelfiguren im Manual halten sich diskret zurück. Dieser Bach hat Luft und Raum, und dank der mächtigen Klangentfaltung wirkt das Stück wie ein unwiderlegbares Statement.

Die schlichte Wirkung mit einer innigen Tonsprache erreicht

Dagegen lässt Wollenschläger mit Bachs Bearbeitung dieses Pfingstchorals für zwei Manuale (BWV 652) kammermusikalische Transparenz und Akkuratesse walten; der feierlich-andachtsvolle Vortrag, der nicht die Spur eines unruhigen Drängens verrät, erweist sich aus der Perspektive des Beters als demütiges Bitten, ohne die Präsenz einer Kraft erzwingen zu wollen, die in ihrer transzendenten Unverfügbarkeit ohnehin nur als ephemeres Ereignis wahrgenommen werden mag. Dieterich Buxtehudes Version des gleichen Chorals (BuxWV 199) vervollständigt das barocke Tableau und entbietet, als ältestes Zeugnis kontrapunktischer Kompositionskunst an diesem Abend, seine schlichte Wirkung mit inniger Tonsprache.

Zwischen den Choralbearbeitungen Bachs und Buxtehudes lässt der Organist jeweils zwei Sätze der Zweiten Suite opus 53 von Louis Vierne erklingen. Der von 1870 bis 1937 lebende Komponist hat nach Informationen von Kirchenmusikdirektor Robert Sattelberger 1922 selbst in der Gedächtniskirche musiziert. Seine Stücke fordern weiterführende klangliche Potenziale der Kleuker-Orgel, wie sie für die französische Spätromantik typisch sind. Jenes impressionistisch wirkende Schweben und Flirren bettet Wollenschläger in eine atmosphärisch andächtige Stimmung ein, mit bedächtigem Spiel breitet er komplexere Klangverhältnisse aus und lässt aparte Farben aufleuchten und fluoreszieren, als hätte ein Aristide Cavaillé-Coll zuvor die Intonation besorgt. Der Satz „Clair de lune“ (Mondschein) ist ein funkelndes Netz aus Tönen mit entrückender Wirkung, während die Toccata in ihrer Wildheit nun auch die dynamischen Kräfte der Orgel stimuliert. Spätestens jetzt scheint der pfingstliche Geist dann doch erwacht zu sein.

Die nächsten Orgelkonzerte in der Gedächtniskirche finden am Sonntag, 17. August, 18 Uhr, mit Walter Muth und am Sonntag, 12. Oktober, 18 Uhr, mit Jochen Steuerwald statt. Außerdem bereiten die Chöre des Kirchenbezirks Speyer unter der Leitung von Kirchenmusikdirektor Robert Sattelberger für Samstag, 30. August, 21 Uhr, eine „Keltische Messe“ in der Gedächtniskirche vor. Am Sonntag, 9. November, 17 Uhr, wird Felix Mendelssohn-Bartholdys Oratorium „Paulus“ mit Vokalsolisten, der Kammerphilharmonie Mannheim und der Speyerer Kantorei aufgeführt.

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