Speyer. Stadtrat Claus Ableiter von den Freien Wählern wirft der Stadtverwaltung Versäumnisse in der Obdachlosenarbeit vor. Er hat die Soziale Anlaufstelle besucht und sich in Gesprächen einen Eindruck von der Arbeit gemacht. Danach hat er folgende Stellungnahme verfasst.
„Seit vielen Jahren beobachte ich in Speyer auf dem Weg zur Arbeit an vielen Tagen tief im Gebüsch am Rande einer vielbefahrenen Straße ein Zweimannzelt. Mittags ist es fast immer weg. Wenn es regnet, denke ich daran, wie hart das Leben dieses Mannes ist, wenn er es Nacht für Nacht in diesem Zelt verbringen muss. Und ich dachte oft, es wäre schön, wenn jemand in Speyer diesem und den anderen etwa 37 obdachlosen Menschen respektvoll Hilfe anbieten würde. Und auch Möglichkeiten aufzeigt, aus diesem Leben wieder heraus zu kommen.“
Ableiter schreibt aber auch selbstkritisch: „Ich selbst habe das auch nicht getan, in all den Jahren. Anders der aus dem Raum Kaiserslautern stammende Stefan Wagner, der mit Frau und sechsjährigem Sohn in Schifferstadt lebt. Wie ich hatte er Eltern, die neben ihrer Arbeit für Beruf und Familie immer sehr viel im Ehrenamt gearbeitet haben. Und er war früher in der SPD engagiert, die er dann wegen Hartz-IV verlassen hat. Wagner geriet auf seinem Lebensweg in eine gravierende persönliche Krise, die ihn selbst nahe an die Obdachlosigkeit brachte. Er bekam aber rechtzeitig die Kurve und alles normalisierte sich. Diese Erfahrung führte dazu, dass er überlegte, wofür er sich engagieren wollte – für obdachlose Menschen.“
Ganzjährige Betreuung gestartet
Zuerst habe Wagner im Winter mit einem alten Transporter die Plätze in Speyer aufgesucht, wo sich Obdachlose in der Nacht verstecken, damit sie nicht zum Opfer von Gewalt werden. Er habe ihnen Isomatten, Schlafsäcke, Decken und warme Getränke angeboten. Schon damals hätten ihm Menschen geholfen. „Stefan Wagner sah einerseits die Hilfsbereitschaft, andererseits eben auch das Elend, das diese Leute in diesen Lebensumständen auch ohne Winterkälte erleiden, was Hygiene und Körperpflege, Ernährung und Gesundheit angeht. Nöte wie Hautkrankheiten und Zahnschmerzen, Einsamkeit und Isolation, Süchte, auch die mitgeschleppten seelischen Verletzungen, oft von Kindheit an, und vielfache Erfahrungen des Scheiterns“, schreibt Ableiter.
So sei es zur ganzjährigen ehrenamtlichen Unterstützung für obdachlose Menschen gekommen. Ab 2009 habe er das dann Soziale Anlaufstelle Speyer genannt – für die er bis heute insgesamt 15 Ehrenamtliche gewonnen habe, die regelmäßig aktiv helfen und Spender, die das Hilfsmaterial bereitstellen. Die von Stefan Wagner geleitete SAS sei weder ein Verein noch eine gemeinnützige GmbH, sondern ein einfacher Zusammenschluss von Menschen, die die genannten Ziele verfolgen, juristisch gesehen eine sogenannte BGB-Gesellschaft.
Das Ziel der SAS sei schon auf Basis seiner eigenen Erfahrung breiter formuliert als nur „Hilfe für obdachlose Menschen“, weil er und seine Mitstreiter möchten, dass Menschen bereits geholfen wird, bevor sie in die Obdachlosigkeit geraten. Etwa wohnungslose Menschen, die noch bei Freunden auf der Couch übernachten dürfen oder in städtische Notunterkünfte eingewiesen sind und deren soziale Strukturen sich weitgehend aufgelöst haben. Zielgruppe sind daher alle von Armut bedrohte und betroffene Menschen. „Die SAS möchte einen Beitrag leisten, dass alle Menschen ihr Leben selbstbestimmt und in Würde gestalten können“, habe Wagner ihm gesagt.
Sachen für die Bedürftigen
Im Kern war und ist die konkrete Hilfe der SAS gleichwohl auf obdachlose Menschen konzentriert. So wurden Kleidung und Schuhe, Hygieneprodukte und Übernachtungsmittel sowie Nahrung und Kaffeepulver ausgegeben. Da dafür ein Lager an günstiger Stelle gebraucht wurde, sprach der Gründer die damalige Bürgermeisterin auf die fast das ganze Jahr leerstehenden Sanitätswachräume neben der Toilettenanlage auf dem Festplatz an. Damals war dort aber das Dach undicht, ebenso die Fenster und es gab eigentlich nur zwei trockene Räume, wovon einen die Stadt als Lager nutzte. Der zweite wurde von der Stadt ohne Kosten für Miete, Strom und Heizung und ohne Vertrag der SAS als Lager- und Ausgaberaum überlassen. Die Stadt habe dann das Dach abgedichtet und die SAS mit gespendeten Fenstern, Türen und Handwerksleistungen die Gebäudehülle geschlossen und neue Böden verlegt. Seither könne man auch die anderen Räume nutzen und eine Kleiderkammer einrichten, so Ableiter weiter.
„Das Spendenaufkommen und die Zahl der Helfer gestattete es, auch den sehr armen und teilweise auch wegen persönlicher Krisen oder Suchtschädigungen hilflosen Menschen in den städtischen Notunterkünften Lebensmittel und Hygieneprodukte zu bringen – im Wert von 1500 Euro und mehr im Monat. Dann wurde mit Spendengeldern eine Dusche installiert, sodass sich obdachlose Menschen dort duschen können. Die Gäste dürfen im Winter nach dem Duschen noch etwas bleiben, damit sie nicht frisch geduscht sofort in die eisige Kälte müssen. Ebenso gibt es eine Waschmaschine und einen Trockner“, so der Freie Wähler. Nur etwas Strom- und Heizkosten bleiben bei der Stadt hängen und die Führung des Spendenkontos. Eine gelernte Friseurin schneide den Gästen zu bestimmten Zeiten kostenlos die Haare. Regelmäßig gebe es Kaffee mit Frühstück, eine Gelegenheit aus Einsamkeit und Isolation zu kommen, Gemeinschaft aufzubauen, sich als Gast zu fühlen, aber auch Vertrauen aufzubauen. Um sich dann vielleicht beraten zu lassen und Hilfsangebote wahrzunehmen, um wieder ganz den Weg zurückzufinden.
Claus Ableiter lobt Stefan Wagner: „Er und die 15 Ehrenamtlichen nehmen keinerlei Vergütung. Er hatte die Stadt gebeten, alle Spenden für die SAS auf einem städtischen Konto anzunehmen. Und für alle Hilfsgüter wie Isomatten, Sommer- und Winterschlafsäcke überweist die Stadt den Preis an die Lieferanten. So herrscht vollkommene Transparenz und es gibt keinerlei Bar- oder schwarze Kassen, die Menschen in böse Versuchung führen könnten.“
Druckmittel wird zum Bumerang
Allerdings gibt es ein Problem: Praktisch alle 40 hier betreuten Obdachlosen haben im Lauf der Jahre Vertrauen in die ehrenamtlichen Helfer gefasst. Der Raum für das Cafe fasst aber nur zwölf Menschen und man kann nur maximal 16 reinquetschen. Jetzt im Sommer gibt es eine Markise und Plastikstapelstühle für den Raum zwischen dem Gebäude und dem Grün des Hanges zur Salierbrücke. Der Vorsitzende und seine Helfer konnten sich aber nicht vorstellen, die Hälfte der Gäste im Herbst und Winter wegzuschicken.
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Gewünscht hatte man sich einen Anbau, eine Aufstockung in Holzrahmenbauweise oder eine Verlagerung in Räume die ehemaligen Stiftungskrankenhauses. Und dann: „Als Bitten und Drängen bei den Damen des Stadtvorstandes keinerlei Erfolg zeigten, machte man die Not öffentlich und wandte sich an Stadträte. Das wurde möglicherweise als Majestätsbeleidigung gesehen. In dem völlig falschen Glauben, diese erfolgreiche und für die Stadt zudem fast kostenlose große Hilfe für Menschen in echter Not, würde wirklich geschätzt, drohte der Vorsitzende, die Arbeit ganz einzustellen, weil man eben nicht die Hälfte der Menschen wegschicken könne. Das war als Druckmittel gedacht, um doch noch Platz zu bekommen. Dieser Hilfeschrei wurde nun als Vorwand genutzt – im Kern von Sozialbürgermeisterin Monika Kabs – um den eigentlichen Träger der Hilfe aus dem Gebäude rauszuwerfen und so das ehrenamtliche Projekt zu zerstören“, kritisiert Claus Ableiter schließlich und fordert den Erhalt.
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