Speyer. Diesen Zauberwürfel mag man nicht in die Ecke werfen. Er zeigt den bunten Quader von seinen verführerischsten Seiten, auch wenn die Vertracktheit beim Versuch, alle sechs Farben zu ordnen, irgendwie durchklingt. „Für Rubik’s Cube“ des zeitgenössischen ungarischen Komponisten Zsigmond Szathmáry ruft Sunkyung Noh auf der Hauptorgel des Speyerer Doms rund 50 Klangmischungen ab, die dem Stück einen überaus schillernden Charakter verleihen.
Sunkyung Noh ist Preistägerin des Berliner Mendelssohn-Wettbewerbs
Die aktuelle Preisträgerin des Berliner Mendelssohn-Wettbewerbs, bei dem sich die südkoreanische Organistin in die erste Riege der Organistenszene vorschob, tritt im Internationalen Orgelzyklus im Speyerer Dom mit diskreter Bescheidenheit auf. Im Gespräch unmittelbar vor dem Konzert bekennt sie ihre große Liebe zu älteren Komponisten: Johann Sebastian Bach und Dieterich Buxtehude.
Mit Jan Pieterszoon Sweelincks Variationen über ein Volkslied, das der grünen Linde huldigt, demonstriert Sunkyung Noh mit markanten Pfeifen- und spitzen Flötentönen die Eignung dieser Musik für das mitteltönige Werk der Chororgel. Dabei führt sie die tänzerische Volkstümlichkeit dieses manualen Zyklus mit einer durchaus feierlichen Attitüde zusammen. Eine gute Gelegenheit zum Warmwerden, die Organisten im riesigen Klangraum dieser Kathedrale gerne nutzen, um sich der schwierigen Akustik zu bemächtigen.
Obgleich die Interpretin den Bogen weit spannt und in ihrem Programm vom frühbarocken Sweelinck bis zum modernen Szathmáry große Schritte zurücklegt, wirkt ihr Programm im Speyerer Dom in sich geschlossen und organisch. So lässt sich Buxtehudes g-Moll-Toccata (BuxWV 148) als Vorbereitung auf „Rubik’s Cube“ erschließen, wenn sie in stilistischer Hinsicht auch eher als Kontrast gedacht zu sein scheint. Aber sehr feinsinnig setzt Noh die einzelnen Teile der Toccata klanglich voneinander ab. Das absteigende Bassmotiv am Ende lässt sich in seinen tiefen und mit der Bassposaune getragenen Frequenzen als Thema wahrnehmen, das die Organistin in seiner schicksalhaften Erhabenheit würdigt.
Ein von Leuchtwirkungen beherrschter Kosmos mit Szathmárys Zauberwürfel
Natürlich beschreiben die Klangfiguren und -flächen in Szathmárys Zauberwürfel einen anderen Kosmos, der von flirrenden und irisierenden Leuchtwirkungen beherrscht wird und in dem grelle Dissonanzen aufblitzen, ohne die impulsiven Bewegungsmuster aber zu zerreißen. So stoßen barocke und zeitgenössische Ästhetik keineswegs unversöhnlich aufeinander, sondern lassen sich eher wie Farben an einem imaginären Objekt drehen, das in „Rubik’s Cube“ versinnbildlicht scheint.
Der Schritt zu Max Reger ist anschließend nicht weit; in beruhigender Sanftheit und mit weichen Streicherklängen breitet sich das Choralvorspiel zu „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ über die gut gefüllten Reihen des Doms aus. Wie Noh anschließend Regers Toccata und Fuge aus opus 59 strukturiert, ist beeindruckend. Stets scheint die Organistin ihre Stücke mit einer zielgerichteten Diktion auszustatten, die klare musikalische Vorstellungen verrät und dem jeweiligen Werk ein charakteristisches Wesen verleiht. Dynamische Prozesse, Tempi, und Hell-/Dunkel-Bewegungen wirken allesamt fließend und Schicht um Schicht aufgebaut.
Zudem schöpft die Südkoreanerin die klanglichen Möglichkeiten der Hauptorgel selbstbewusst aus. Dem Variationszyklus über die Ostersequenz „Victimae paschali“ des zeitgenössischen Organisten und Komponisten Thierry Escaich widmet sie sich mit energischem Zugriff und einem unbändigen Gestaltungswillen, der in ausdifferenzierter Klanglichkeit, dynamischen Abstufungen und rhythmischer Prägnanz zum Ausdruck kommt.
Bachs Orgelbearbeitung von Vivaldis d-Moll-Konzert sorgt mit seinem Andante, einem melancholisch-tänzerischen Siciliano, für den vielleicht intimsten Moment des Konzerts. Reizvoll, wie Noh die Melodiestimme in der Wiederholung variierend ausschmückt und im Finale schließlich mit barocker Orchestralik auftrumpft. Mendelssohns für Orgel bearbeitetes Präludium mit Fuge in e-Moll lässt sich im Spiel der Südkoreanerin im Finale tatsächlich als für das Pfeifeninstrument geeignet erleben. Freilich überschreitet die monumentale Dramatik, in die Sunkyung Noh das Stück am Ende entfesselt, jegliches klassisch-romantische Format.
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