Stuttgart. Da kann Mastbullenhalter Stefan Leichenauer aus Hohentengen am östlichen Ende des Schwarzwalds nur den Kopf schütteln. „Auch bei uns Bauernfamilien kommt längst nicht mehr jeden Tag Fleisch auf den Tisch.“ Aber Wurst und Schnitzel „komplett zu verbieten“, wie es der Freiburger Gemeinderat nun für seine Schulmensen und Kindertagesstätten beschlossen habe, sei der falsche Weg. Gerade rund um Freiburg und im Schwarzwald gebe es so viel Grünland. Da brauche es auch Wiederkäuer. „Wisst ihr eigentlich, dass unsere Bullen komplette Vegetarier sind?“
Umstellung für Klimaschutz
Auch beim Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverband (BLHV) kann man „nicht viel Verständnis für den Beschluss“ aufbringen. Immerhin: Bisher steht Freiburg mit seinem am Dienstagabend beschlossenen Fleischverzicht alleine da. Es sei keine andere Stadt im Land bekannt, die ebenfalls nur noch fleischlose Kost in Kitas und Schulen anbiete, teilte das Stuttgarter Agrarministerium mit, das für die Schulverpflegung zuständig ist. Gegenwärtig sei nicht geplant, in den Schulmensen auf vegetarische Kost umzusteigen, sagte eine Sprecherin der Stadt Stuttgart. „Es gibt bei uns täglich zwei Gerichte; mindestens eins davon ist vegetarisch.“ Ähnlich äußerten sich Karlsruhe, Ludwigsburg, Esslingen, Waiblingen und Mannheim.
Im Agrarministerium sieht man die Neuerung in Freiburg kritisch. „Kinder sollen in ihrer Entwicklung die Möglichkeit haben, einen eigenen Geschmack zu entwickeln und sich auszuprobieren. Dazu gehört auch der Verzehr von Fleisch.“ Verminderte Fleischmengen seien dabei durchaus angebracht, so das Haus von Agrarminister Peter Hauk (CDU). Eine ausschließlich vegetarische Ernährung als Vorgabe unterstütze das Ministerium aber nicht.
Auch Norbert Brugger, der beim baden-württembergischen Städtetag für die Schulen zuständig ist, hält Freiburgs Umschwenken auf vegetarische Kost für einen Einzelfall. „Einen Trend zum fleischarmen Essen gibt es aber schon. Dann stehen Fleisch oder Fisch nur ein- bis zweimal pro Woche auf dem Menüplan.“
So praktizieren es Ulm, Reutlingen oder Tübingen. Man habe schon vor einem Jahr auf Essen mit reduziertem Fleischanteil in allen Schulen umgestellt, sagte eine Sprecherin der Stadt Tübingen. Es dominierten in beiden Menülinien pfiffige vegetarische Essen. „Die neuen Speisepläne reduzieren den CO2-Einsatz und den Wasserverbrauch um mehr als 50 Prozent.“ Auch die Stadt Konstanz sieht die Umstellung ihrer Gemeinschaftsverpflegung als Teil der Klimaschutzstrategie. Bis 2025 soll der Anteil fleischhaltiger Speisen auf 20 Prozent sinken. Wobei: Gegenwärtig entschieden sich die Schüler noch zu 54 Prozent für Wurst und Schnitzel.
Tatsächlich ist die Akzeptanz ein Problem. „Mit der letztjährigen Reduzierung des Fleischangebots von zwei Tagen auf einen Tag pro Woche haben die Beschwerden zu den Speiseplänen zugenommen“, räumt der Leiter der Abteilung Bildung und Sport im Ulmer Rathaus, Gerhard Semler, ein. „Ein Großteil der Kinder ist bei Gemüse sehr wählerisch.“ Vor allem Wintergemüse seien unbeliebt. Eltern begrüßten zwar eine regionale, gesunde Ernährung. „Wenn die Kinder jedoch hungrig nach Hause kommen, weil sie die Gemüsegerichte nicht gegessen haben, hat bei den Eltern die Essenszufriedenheit doch einen höheren Stellenwert.“
Vegetarisch nicht billiger
Mit Spannung beobachten die Städte aktuell eine Evaluation des Schulessens in Karlsruhe. Lecker, gesund und nachhaltig soll es sein. Außerdem will der Gemeinderat die Abfallmengen reduzieren und herausfinden, inwieweit die Hinweise der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) zur Schulverpflegung tatsächlich umgesetzt werden, die der Städtetag seit 2005 empfiehlt.
Laut Schuldezernent Brugger werde das Ergebnis der Untersuchung Ende November erwartet. Danach stehe eine Aktualisierung der Empfehlungen an. Brugger rechnet damit, dass auch die Neuauflage sich an der Expertise der DGE orientieren wird. Aktuell empfehlen die Experten beides: eine ausgewogene Mischkost mit Fleisch und Fisch oder eine vegetarische Variante.
Ein Mittel gegen steigende Elternbeiträge ist der Veggietrend übrigens nicht. „Nach unserer Erfahrung sinkt der Preis durch den Einsatz von hochwertigen vegetarischen Lebensmitteln im Vergleich zu konventionellem Fleisch nicht“, heißt es aus Tübingen. Das Einsparvolumen hänge nicht zuletzt davon ab, wie groß der Einsatz von Fleischersatzprodukten sei, meint Semler. Die seien verhältnismäßig teuer.
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Schwetzinger Zeitung Plus-Artikel Kommentar Kein Fleisch in Schulmensen? Das ist falsch gespart!