Mannheim. Dass Boris Pistorius nicht als SPD-Kanzlerkandidat zur Verfügung steht, hat am Donnerstagabend den Berliner Politbetrieb mächtig durchgewirbelt. Aber auch das Team der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen musste einen Kraftakt vollziehen und ihren Fahrplan ändern.
„Wir waren mit dem Politbarometer schon fertig. Es ist uns aber noch gelungen, die Umfrage ins ,heute-journal’ zu hieven“, sagt Matthias Jung. Die Forschungsgruppe beliefert neben unserer Redaktion auch das ZDF mit dem Politbarometer, das dann aber in der Regel erst Freitagabend gesendet wird.
Diesmal bekamen die Zuschauerinnen und Zuschauer die aktuellen Zahlen aber schon einen Tag früher präsentiert - passend zum Interview von ZDF-Moderator Christian Sievers mit Pistorius. Der Verteidigungsminister verkündete, dass die SPD mit Olaf Scholz einen geeigneten Kanzlerkandidaten habe, und er selbst nie irgendwelche Ambitionen angedeutet habe. Das klang teilweise surreal, weil sich ja tagelang nicht nur irgendwelche Sozialdemokraten gemeldet hatten, die eben das bezweifelten. Und Pistorius selbst hielt die Debatte am Köcheln, weil er bis zu seiner Klarstellung nur die Kandidatur fürs Papstamt definitiv ausgeschlossen hatte.
SPD tritt in der Sonntagsfrage auf der Stelle
Während Pistorius versuchte, die Wählerinnen und Wähler davon zu überzeugen, dass es ja völlig normal sei mit Scholz anzutreten, ließ Moderator Sievers eine Grafik mit den Zahlen der Forschungsgruppe einblenden. Und dieser konnte jeder entnehmen, dass die Deutschen überhaupt nichts von der Idee halten, es noch einmal mit einem erfolglosen Kanzler zu versuchen.
Die Zahlen sind für Scholz ein Schlag ins Gesicht: 78 Prozent der Befragten meinen, dass die SPD mit Pistorius als Kanzlerkandidat erfolgreicher gewesen wäre. Besonders krass: Selbst im eigenen Lager sehen immerhin 72 Prozent das genauso.
„Dass Pistorius für die Wählerinen und Wähler der bessere Kanzlerkandidat gewesen wäre, ist für die SPD schon schlimm genug. Noch schlimmer müsste es sie treffen, dass Pistorius deutlich vor Unionskandidat Friedrich Merz liegen würde, wenn er doch ins Rennen gegangen wäre“, sagt Jung.
Demnach hätten 59 Prozent den Verteidigungsminister lieber als Bundeskanzler. Merz käme nur auf 28 Prozent. Das ist schon ein großer Abstand. Aber weil es jetzt Scholz machen soll, darf sich der CDU-Politiker freuen. Merz liegt mit 44 Prozent vorn, wenn auch der Abstand zum Kanzler - er kommt auf 39 Prozent - nicht besonders groß ist.
„Allerdings ist die Ausgangslage der zwei Kontrahenten völlig unterschiedlich: Scholz geht als gescheiterte Kanzler ins Rennen, der es nicht einmal geschafft hat, seine Regierung bis zum regulären Ende zusammenzuhalten. Scholz vertraut aber darauf, dass er wieder wie 2021 einen Endspurt hinlegen kann. Nur: Damals war Scholz beliebter als seine Partei und hievte die SPD mit seiner Popularität nach oben. Jetzt ist Scholz aber in den Augen der Wählerinnen und Wähler der unbeliebte Kanzlerkandidat einer unbeliebten Partei. Wenn bereits am Sonntag gewählt würde, käme die SPD nur noch auf 16 Prozent - das wären zehn Prozent weniger als 2021. Rund die Hälfte der Bundestagsabgeordneten müsste dann den Platz räumen, weil die Koalition zusätzlich die Verkleinerung des Parlaments mit ihrer Wahlrechtsreform durchgesetzt hat.
„Bis zur Bundestagswahl ist noch viel Bewegung drin“, sagt Jung. Gleichwohl hält er es „für unwahrscheinlich“, dass Scholz in den wenigen Wochen ein neues Wunder schafft. „Immerhin ist die Union in der aktuellen Sonntagsfrage doppelt so stark wie die SPD“, so der Wahlforscher. Dass CDU und CSU diesen Vorsprung noch verspielen können, ist - Stand heute - praktisch ausgeschlossen. Allerdings halten 57 Prozent der Befragten es noch für offen, welche politische Kraft am 23. Februar 2025 als stärkste Partei aus der Bundestagswahl hervorgeht.
Aber selbst wenn die Union den ersten Platz belegen sollte, kommt es natürlich auch auf die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag ab. Auf Basis der aktuellen Umfrage könnte die Union mit der SPD koalieren, ein Bündnis mit den vor allem bei der CSU unbeliebten Grünen hätte allerdings nur eine knappe Mehrheit. Wenn sich die Befragten nach der Bundestagswahl entscheiden müssten zwischen Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün, würden 60 Prozent für eine Koalition der Union mit den Sozialdemokraten stimmen. Knapp der Hälfte wären die Grünen als Juniorpartner lieber.
Lindner und Wagenknecht fallen tief in der Rangliste
Während sich in der Sonntagsfrage insgesamt recht wenig bewegt hat - auffällig ist nur, dass das BSW jetzt an der Fünf-Prozent-Marke kratzt - gibt es bei der Beurteilung des Spitzenpersonals größere Veränderungen. Boris Pistorius und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) können ihre Popularitätswerte in der Rangliste der zehn wichtigsten Politikerinnen und Politiker deutlich verbessern, aber auch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Olaf Scholz, CSU-Chef Markus Söder und Friedrich Merz verzeichnen ein Plus.
Der geschasste FDP-Finanzminister Christian Lindner und BSW-Chefin Sahra Wagenknecht fallen dagegen stark ab. Lindner und Wagenknecht ziehen auch ihre Parteien immer mehr nach unten. Für Lindner wäre es womöglich das Ende seiner Karriere, wenn die Liberalen nach 2013 erneut aus dem Bundestag fliegen würden. Und Wagenknecht hat sich durch ihr ständiges Einmischen in die Landesverbände selbst ein Bein gestellt.
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