Mannheim. Herr Christ, Schwarz-Rot ist erst zwei Monate im Amt, die Protagonisten vermitteln aber schon jetzt den Eindruck, als wären sie ihrer Aufgabe nicht gewachsen. Wie konnte dies passieren?
Harald Christ: Sie unterstellen, als ob das so wäre. Ich habe da einen anderen Blick darauf. Allerdings sind zwei Dinge in der Koalition tatsächlich nicht gut gelaufen: Friedrich Merz wurde im ersten Wahlgang nicht gewählt ...
... das hat es vorher noch nie gegeben ...
Christ: ... es sorgte aber auch nur 48 Stunden lang für Gesprächsstoff in Berlin und ist rückblickend nicht überzubewerten. Natürlich wurden handwerkliche Fehler im Fall der Bundesverfassungsrichterin Frauke Brosius-Gersdorf gemacht, weil sie sich die CDU/CSU Fraktion nicht einigen wollte. Daraus aber abzuleiten, dass diese Regierungskoalition in einer Krise wäre, sehe ich nicht so.
Das haben wir auch nicht behauptet. Es geht uns darum, dass Jens Spahn und Matthias Miersch die Stimmung in ihren Fraktionen falsch einschätzen, und das fällt auch auf den Kanzler zurück.
Christ: Die Wahrnehmung kann man ja haben, ich habe aber eine andere. Ich bin nah genug dran und kann aus Gesprächen mit CDU, CSU und SPD sagen: Die Personen auf der Regierungsbank pflegen tatsächlich einen guten und konstruktiven Umgang miteinander und haben den Willen, gemeinsam für Deutschland erfolgreich zu regieren. Alle Beteiligten wissen, dass die Populisten am linken und rechten Rand nur auf Fehler warten, um sie dann auszuschlachten. Daher ist es wichtig, den Menschen jetzt zu zeigen, dass man nicht nur redet, sondern auch handelt. Friedrich Merz ist sicherlich daran interessiert, dass die SPD nicht noch schwächer wird, die Stabilität der Koalition würde darunter leiden. Nicht jede öffentliche Diskussion ist ein Streit – nicht jede Meinungsverschiedenheit automatisch eine tiefe Disharmonie. So etwas gehört in einer Demokratie dazu. Wir sollten aus einzelnen Fehlern nach so kurzer Zeit nicht einen Trend für die nächsten Jahre der Regierungsarbeit ableiten. Der Herausforderungen sind enorm. Der Druck zu liefern ist es auch.
Glauben Sie, dass der Bundeskanzler aus diesem Fiasko lernt, sich stärker um Innenpolitik zu kümmern?
Christ: Der Bundeskanzler hat von Anfang an außenpolitisch richtig gehandelt, er hat alle wichtigen Verbündeten besucht und Deutschland als verlässlichen Partner präsentiert. Mit dem Sondervermögen hat er gemeinsam mit Lars Klingbeil für ausreichend Ressourcen für Zukunftsinvestitionen und Verteidigung gesorgt, was auch auf der internationalen Bühne für Respekt gesorgt hat. Jetzt sollte sich Friedrich Merz in den kommenden Monaten auch mehr um die Innenpolitik kümmern, ich habe den Eindruck, dass er das tut. Ich kenne ihn. Bei einer kürzlichen Begegnung in Berlin ist Friedrich Merz inhaltlich sehr überzeugend und nahbar gewesen. Er war sehr am Dialog interessiert, tief in den Themen und vermittelte ein großes Verantwortungsgefühl. Ich habe den Eindruck, dass Friedrich Merz jetzt in seiner Rolle angekommen ist.
Wenn eine Regierung den Leuten die Senkung der Stromsteuer verspricht und das dann für die meisten Betriebe und Verbraucher auf die lange Bank schiebt, sorgt das doch für Frust. Ist das nicht Wasser auf die Mühlen der Populisten?
Christ: Deshalb würde ich der Bundesregierung und allen Fachministerien empfehlen: Erwartungsmanagement! Weniger ankündigen, sondern das, was man sagt, wirklich tun. Nur so gewinnt man Vertrauen zurück – auch als Antwort auf Populismus. Wir müssen alle gemeinsam ein Interesse daran haben, dass die Regierung erfolgreich ist – für die Stabilisierung unserer Demokratie. Die Komplexität der Herausforderungen nimmt zu, nicht ab. Ich nehme einzelne Fehler, die vielleicht gemacht wurden, nicht als Etikett für die ganze Regierung, die eigentlich gerade erst losgelegt hat. Eine Bewertung der politischen Arbeit wäre jetzt viel zu früh.
Unionsfraktionschef Jens Spahn hat als Gesundheitsminister bei der Beschaffung von Masken während der Pandemie womöglich Milliarden Euro in den Sand gesetzt. Kann ein solcher Politiker noch so ein wichtiges Amt haben?
Christ: Wieso nicht? Ich stärke Jens Spahn in dieser Sache den Rücken.
Wirklich?
Christ: Jens Spahn hat schon während der Pandemie gesagt: Wir werden einander viel verzeihen müssen.
Wir kennen diesen Spruch, er kann sich damit aber nicht selbst Absolution erteilen.
Christ: Ich sage Ihnen mal eins: Als Minister ist die Rolle ganz klar: Mache ich nichts und lasse es andere machen oder schiebe ich Entscheidungen vor mir her. Oder entscheide ich wenn es darauf ankommt auch selber. Genau das hat Jens Spahn getan, und zwar in einer absoluten Ausnahmesituation, als keiner wusste, was die bis dahin beispiellose Pandemie als nächstes mit sich bringt. Ob da Fehler gemacht wurden, kann ich nicht beurteilen, da gehen die Meinungen ja auch in der Politik auseinander.
Glauben Sie, dass sich auch Olaf Scholz seine Fehler als Bundeskanzler selbst verzeiht?
Christ: Ich weiß nicht, ob er sich etwas verzeihen muss. Für mich hat er vieles richtig gemacht. Eines hat er aber sicherlich gänzlich unterschätzt: Die Kraft der Kommunikation. Ich hätte mir gewünscht, dass Olaf Scholz der Öffentlichkeit viel klarer und deutlicher erklärt, warum er etwas tut, warum er etwas nicht tut und was für Auswirkungen das hat. Sein Kommunikationsverhalten ist eines der großen Defizite von Olaf Scholz gewesen.
Ist Christian Lindner für Sie der Totengräber der FDP?
Christ: Jetzt arbeiten Sie sich aber an allen ab. Ich bitte Sie, er hat die FDP 2017 wieder zurück in den Bundestag geführt und 2021 ein zweistelliges Ergebnis erzielt mit Beteiligung an der Bundesregierung..
Ja und dann ist Lindner wieder mit ihr herausgeflogen.
Christ: Er hat sich zum Ende hin vergaloppiert, ich habe die FDP ja auch verlassen, nach den öffentlich bekannt gewordenen „D-Day-Papier“. Aber Lindner trägt da nicht die alleinige Verantwortung. Viele in der Partei sind ihm auf diesem Weg gefolgt.
Sie könnten nach ihrem kurzen Intermezzo bei den Liberalen auch wieder ihre alte Liebe zur SPD auffrischen. Saskia Esken ist ja jetzt weg.
Christ: Das hat nichts mit Saskia Esken zu tun. Ihre Wahl zur Parteivorsitzenden war damals nur einer der Gründe. Ich würde das heute auch nicht mehr so entscheiden. Es wird Sie vielleicht überraschen, aber ich sehe auch das positive Wirken von Saskia Esken in den letzten Jahren innerhalb der SPD. Leider wurde das nicht immer gewürdigt. Meine Nähe zur SPD muss auch nicht aufgefrischt werden, nach 31 Jahren Mitgliedschaft war die nie verloren.
Lars Klingbeil ...
Christ: ... Lars Klingbeil hat Großes geleistet ...
... wirklich ... ?
Christ: ... er hat sich in den Koalitionsverhandlungen gut durchgesetzt, und das, obwohl die SPD ja nur 16,4 Prozent geholt hat. Auch das Personaltableau finde ich soweit gut. Es war richtig, dass Klingbeil als Vizekanzler und Finanzminister Verantwortung übernommen hat. Ich kenne ihn schon sehr lange, er ist rückblickend betrachtet mit seinen Aufgaben immer weiter gewachsen.
Also treten Sie jetzt in die SPD ein oder versuchen Sie es lieber auch mal mit der CDU?
Christ: Gegenwärtig will ich in keine Partei eintreten. Was die Zukunft bringt, werden wir sehen. Ich werde meinen Beitrag anders leisten und mit meiner Expertise und meinem Sachverstand die Parteien der demokratischen Mitte weiterhin unterstützen. Also die Union, die SPD, die FDP und die Grünen. Für stabile Mehrheiten haben alle Luft nach oben. Meine Gegner sind vor allem die Populisten und Extremisten, wobei ich bei Frau Wagenknecht nicht weiß, ob die jetzt rechts- oder linkspopulistisch ist, oder beides. Die Populisten schüren Ängste und gaukeln den Menschen vor, sie hätten einfache Antworten auf die großen Herausforderungen dieser Zeit. Das ist aber nicht so!
Das „Manager Magazin“ hat Sie als den einflussreichsten Netzwerker Deutschlands bezeichnet. Obwohl sie kein politisches Amt mehr haben, mischen Sie überall mit. Kollidiert das manchmal nicht auch mit Ihren eigenen Geschäftsinteressen?
Christ: Ich habe es gelesen. Ihre Frage beschreibt eine typisch deutsche Diskussion. Ich habe mich als Arbeiterkind aus Worms hochgearbeitet, mir den sozialen Aufstieg ermöglicht. Für Geld muss ich schon lange nicht mehr arbeiten. Deshalb geht die Frage auch in die falsche Richtung. Ich brauche die Politik nicht für meinen Wohlstand. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Ich engagiere mich mit meinem Netzwerk und Ressourcen als Ratgeber und für unsere Demokratie - dafür nehme ich auch kein Geld. Mein unternehmerisches Wirken ist bekannt.
Naja, Sie haben Florian Stegmann auf der Payroll, der in seinem Job als Chef der Stuttgarter Staatskanzlei viel mit dem Heidelberger KI-Start-up Aleph Alpha zu tun hatte - und da haben Sie doch auch Ihre Finger drin. Hat das alles nicht ein Geschmäckle?
Christ: Ein toller Gewinn für meine Unternehmen, so eine profilierte Persönlichkeit zu gewinnen. Übrigens wurde er mir parteienübergreifend aus Baden-Württemberg empfohlen. Dass verdiente Persönlichkeiten nach erfolgreichem Wirken in der Politik in die Wirtschaft gehen, ist wirklich keine Sensation. Entscheidend ist, dass man sich an die Regeln hält – und das wurde getan. In Baden-Württemberg sind bald Landtagswahlen. Daher haben da ein paar gut bekannte Akteure versucht zu zündeln.
Harald Christ
Harald Christ wurde am 3. Februar 1972 in Worms geboren.
Er bekleidete verschiedene Führungspositionen bei Banken und Versicherungen. Darüber hinaus gründete er eigene Unternehmen und die Harald Christ Stiftung für Demokratie und Vielfalt .
Christ war mehrere Jahrzehnte SPD-Mitglied. Nach seinem Austritt wechselte er zur FDP. Von 2020 bis 2022 war er Bundesschatzmeister der Liberalen, verließ die Partei aber nach dem Bruch der Ampelkoalition aus Protest gegen das sogenannte D-Day-Papier . was
Sie wittern da eine politisch gesteuerte Kampagne?
Christ: Fakt ist: Es gab da ein umfassendes Prüfverfahren, sowohl durch meine Unternehmen als auch durch die Staatskanzlei. Das Ergebnis war eindeutig, es gab keine Gründe, die gegen diesen Wechsel sprechen. Dass sich das Land Baden-Württemberg schon seit längerem für ein Heidelberger Unternehmen wie Aleph Alpha eingesetzt hat, liegt doch auf der Hand. Und dass Florian Stegmann, wie viele andere auch, in seiner Rolle als Chef der Staatskanzlei Termine wahrgenommen hat, ebenfalls. Die meisten davon waren übrigens zu einem Zeitpunkt, als ich mit dem KI-Start-up noch gar nichts zu tun hatte. Mein Engagement begann erst im Spätherbst 2023 und das kam aus einer ganz anderen Motivation.
Und warum haben Sie sich für Aleph Alpha interessiert?
Christ: Weil ein US-amerikanischer Investor bei dem Heidelberger Unternehmen einsteigen wollte. Das war der Ausgangspunkt, wo sich baden-württembergische Unternehmen wie Bosch, SAP, die Schwarz-Gruppe, aber auch Burda zusammengeschlossen haben um ein Konsortium zu bilden – mit dem Ziel, Aleph Alpha als souveräne deutsche Lösung zu erhalten. Ich brauche Ihnen ja nicht zu erzählen, wie wichtig eine souveräne KI für unsere Wirtschaft ist.
Und was für eine Rolle haben Stegmann und Sie da gespielt?
Christ: In dieser Kombination gar keine! In Berlin hat der damaligen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck das Konsortium vorgestellt. Bei der Finanzierungsrunde war Florian Stegmann aber nicht dabei. Eine meiner Beteiligungsgesellschaften hat sich in diesem Konsortium engagiert. In der Landesvertretung Baden-Württembergs in Berlin wurde das Konsortium vorgestellt. Florian Stegmann war als Staatsminister ebenfalls vor Ort. Das zählte auch zu seinen Aufgaben. Er ist in seiner neuen Rolle in der Christ Capital GmbH zukünftig für Aleph Alpha auch nicht zuständig. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.
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Schwetzinger Zeitung Plus-Artikel Kommentar Merz & Co. müssen jetzt die Wirtschaft ankurbeln