Es ist nicht bekannt, dass Julian Nagelsmann der Esoterik zugeneigt wäre. Bringt ja auch meistens nichts. Den Titel bei der Heim-EM im Sommer hatte der Bundestrainer zwar sicher in Gedanken manifestiert, die Spanier haben ihn sich dann aber wohl ein bisschen mehr gewünscht. Tarotkarten wurden im DFB-Camp auch noch nicht gelegt, für die Buddha-Statuen bei seinem früheren Verein FC Bayern war bekanntlich auch nicht Nagelsmann, sondern Jürgen Klinsmann verantwortlich. Und für das innere Gleichgewicht steigt der 37-Jährige lieber aufs Fahrrad, als daheim zu meditieren. Doch das Karma stimmt wieder, seitdem Nagelsmann im März das DFB-Team ohne Rücksicht auf Namen nach seinen Vorstellungen umgebaut hat.
In München wedelten die Fans nach dem verdienten 1:0 (0:0) gegen die Niederlande mit ihren schwarz-rot-goldenen Fähnchen, dazu lief natürlich die neue Hymne „Major Tom“ über die Stadionboxen. Joshua Kimmich schwärmte im TV-Interview vom neben ihm stehenden famosen DFB-Novizen Jamie Leweling („Er hat ein wirklich sehr gutes Spiel gemacht. Das gibt es nicht oft, dass die Allianz-Arena bei einem Debütanten aufsteht und klatscht“), der nicht nur wegen seines entscheidenden Tores in der 64. Minute einer der großen Gewinner eines emotional stimmigen Abends war. Ein Abend, an dem sich das Alte und das Neue berührten.
Abschied von den Letzten der Goldenen Generation in der Nationalelf
Vor dem Anpfiff hatte der DFB vier Spieler verabschiedet, die tatsächlich als „Legenden“ die Nationalelf verlassen haben. Dieses Wort stand auf einer netten Choreografie, die der „Fanclub Nationalmannschaft“ inszeniert hatte.
Toni Kroos zeigte zwar keine rechte Lust auf die Zeremonie und entschuldigte sich unter Verweis auf Verpflichtungen in Madrid, aber Manuel Neuer, Thomas Müller und Ilkay Gündogan bekamen noch einmal den großen Bahnhof, den sie ob ihrer wunderbaren Karriere verdient haben. Auch wenn Gündogan beim WM-Triumph 2014 nicht dabei war, besiegeln diese Rücktritte das Ende der Goldenen Generation. Aus dem Kader des Turniers in Brasilien ist nun niemand mehr dabei.
Auch Undavs kurzfristiger Ausfall bringt die DFB-Elf nicht aus der Balance
Weil Müller schon mal da war, wurde er natürlich auch interviewt. Das ist ja meistens erkenntnisreich. „Wir haben einen positiven Trend und sehen Spieler, die sich auch ins Rampenlicht spielen wollen - nicht des Rampenlichts wegen, sondern einfach, weil sie es geil finden, für Deutschland zu spielen. Das sieht man in den Aktionen. Der Geist ist gut“, sagte Müller im ZDF, bevor es losging.
TV-Quote
- Die Liveübertragung des Klassikers Deutschland gegen die Niederlande im ZDF war der TV-Quotensieger am Montag.
- Der AGF Videoforschung zufolge sahen durchschnittlich 8,518 Millionen Menschen den deutschen 1:0-Erfolg.
- Das entsprach einen Marktanteil von 34,1 Prozent.
Diesen guten Geist demonstrierte die DFB-Elf auch in den folgenden 90 Minuten. Die Personalnot war ohnehin schon groß gewesen - und dann meldete sich kurzfristig auch noch Deniz Undav, beim 2:1-Sieg durch zwei Tore der entscheidende Mann, mit Adduktorenproblemen ab. Man hätte sich Sorgen machen können um dieses deutsche Team, das um ein paar Fixpunkte wie Kimmich oder Antonio Rüdiger komplett neu zusammengestellt werden musste. Insgesamt neun Spieler fehlten letztlich.
Spieler aus der zweiten Reihe fügen sich nahtlos ein
Doch im Moment funktioniert fast alles, was Nagelsmann probiert. Gutes Karma eben. Die DFB-Elf verfügt nun wieder über eine Struktur, die unabhängig von der Besetzung einzelner Positionen für Stabilität bürgt.
„Die Gier, die die Mannschaft aktuell verkörpert, ist ein großer Schritt. Ich bin sehr stolz auf das Team“, lobte Nagelsmann. Bei seiner Zuschreibung der ersten 45 Minuten als „beste Halbzeit“ seiner Amtszeit griff er zwar ein wenig zu hoch ins Regal, aber es war schon imponierend, wie sich Spieler wie Leweling, Mittelstürmer Tim Kleindienst oder auch die neue Doppelsechs mit Angelo Stiller und Aleksandar Pavlovic ins große Ganze einfügten.
Nun geht es nur noch um den Gruppensieg der Nations League
Die Niederländer wurden meistens tief in die eigene Hälfte gedrängt und fanden erst im zweiten Abschnitt bessere Lösungen gegen die deutsche Dominanz. Doch dann traf Leweling zum zweiten Mal - sein erstes Tor in der Anfangsphase war wegen einer strittigen Abseitsstellung von Serge Gnabry durch den VAR annulliert worden.
In der Kabine sei nach dem vorzeitigen Einzug ins Nations-League-Viertelfinale eine „Superstimmung“, berichtete Nagelsmann. Im vierten Anlauf hat es die DFB-Elf in diesem immer noch jungen UEFA-Wettbewerb erstmals in die K.o.-Phase geschafft. In den beiden letzten Vorrundenpartien in Freiburg gegen Bosnien-Herzegowina (16. November) und in Budapest gegen Ungarn (19. November) geht es jetzt „nur noch“ darum, Platz eins in der Gruppe zu sichern, um im Viertelfinale im März 2025 auf einen Gruppenzweiten zu treffen. „Wir haben noch viele Schritte zu gehen“, sagte Nagelsmann. Aber die Richtung stimmt wieder.
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Schwetzinger Zeitung Plus-Artikel Kommentar Nagelsmanns Prinzipien zahlen sich aus