Neulußheim. Ilona Kieckeben wird schnell emotional, wenn sie über ihre Arbeit mit den Gymnastinnen spricht. Für die 28-Jährige ist die Rhythmische Sportgymnastik nicht irgendein Zeitvertreib, sondern eine Herzenssache.
Wer sie erlebt, merkt rasch, dass sie ihre Energie aus der Überzeugung zieht, Kindern und Jugendlichen über den Sport mehr mitzugeben als Technik und Medaillen. Disziplin, Zusammenhalt, Ausdauer – das sind für sie Werte, die in der Halle wachsen und weit über den Sport hinausreichen. Kieckeben selbst hat erlebt, wie prägend der Leistungssport sein kann: vom späten Einstieg in die Gymnastik über den Sprung in den Bundeskader bis hin zu Erfolgen im Tanzsport. Ab 19. Oktober steht mit dem TBG Neulußheim an der Seite ihrer eigenen Athletinnen in der 3. Liga und versucht, das weiterzugeben, was sie selbst stark gemacht hat. Für Kieckeben kein Abenteuer ohne Ziel, sondern ein Schritt mit klarer Perspektive.
Neulußheims Cheftrainerin Emanuela Batke betreut in der Leistungsklasse des Traditionsvereins vor allem Zehn- bis 15-Jährige, dazu die Turn-Talentschul-Kinder sowie die sogenannte „Mäusegruppe“ – die Basis für den späteren Leistungssport. Kieckebens Welt ist die Wettkampfklasse. Diese ist breiter aufgestellt und umfasst auch ältere Gymnastinnen. Gemeinsam bilden sie nun das neue Drittligateam, das der Verein in der kommenden Saison unter Kieckebens Leitung an den Start schicken wird. Das im Badischen neu eingeführte Level C liegt ebenfalls in ihrer Verantwortung, spielt aber für das Bundesligateam noch keine Rolle. „Eine Zwölfjährige kann mit einer 16-Jährigen nicht konkurrieren. Doch wir brauchen die Jüngeren, wenn die Älteren aufhören“, sagt sie.
In Deutschland ein strukturelles Problem in Rhythmischer Sportgymnastik
Wie lassen sich Mädchen und junge Frauen über die Schulzeit hinaus im Sport halten? Kieckeben spricht von einem „Infrastrukturproblem“. Während andere Nationen mit einem Netz aus Sportschulen arbeiten, gibt es in Deutschland in der RSG dafür nur wenige funktionierende Ansätze. Viele Gymnastinnen hören mit 15 oder 16 Jahren auf, wenn Abitur oder Ausbildung drängen, weiß Kieckeben. „Eltern haben recht, wenn sie fragen, wozu das alles gut sein soll, wenn man später damit kein Geld verdienen kann“, räumt sie ein.
Sie kennt diese Zwänge aus eigener Erfahrung. Erst mit neun Jahren begann sie mit der Rhythmischen Sportgymnastik, schaffte es dennoch in den Bundeskader, wechselte später in den Tanzsport und gewann dort Europameistertitel. Heute studiert sie Sprach- und Translationswissenschaften in Germersheim, besitzt die A-Lizenz als Kampfrichterin und führt ihre Gruppe mit einer Mischung aus Strenge und Empathie.
Ein Umdenken in der Rhythmischen Sportgymnastik durch SSC Karlsruhe
Als die Bundesliga in der Rhythmischen Sportgymnastik eingeführt wurde, zögerte man beim TBG Neulußheim. Zu jung waren die eigenen Athletinnen, zu unklar die Perspektiven. Der Verein schaute zunächst von außen zu. Der Wendepunkt kam, als eine der Gymnastinnen für den SSC Karlsruhe in der 2. Bundesliga startete.
Kieckeben begleitete sie – und erlebte RSG in der Deutsche Turnliga von innen. Sie war überrascht: nicht die gewohnte, angespannte Ernsthaftigkeit wie bei Meisterschaften, sondern Jubel, Anfeuerungsrufe, Begeisterung. Ein Wettkampf, der irgendwie auch zugleich ein großes Sportfest war. Von da an stand für sie fest: Auch Neulußheim sollte sich für die DTL öffnen.
Sport und TBG Neulußheim sind mehr als nur Ergebnisse
Der Aufstieg in die 1. Liga ist das Ziel. Doch noch wichtiger ist Kieckeben, dass ihre Mädchen selbstbewusst auf die Fläche gehen. „Meistens sind es die Kinder selbst, die an sich die größte Erwartungshaltung haben“, betont sie. Um den Druck abzufedern, greift die Trainerin zu ungewöhnlichen Methoden: Ein Stofftier, das symbolisch die Ängste verschluckt, kleine Rituale, die Sicherheit geben sollen. Vor Wettkämpfen erinnert sie ihre Athletinnen an die gelungenen Generalproben: „Wenn das Element nicht geklappt hätte, hätten wir es herausgenommen.“
Auch optisch will sich Neulußheim abheben. Statt gedeckter Farben tragen die Gymnastinnen in dieser Saison neon-gelbe Trainingsanzüge. „Man darf ruhig auffallen“, findet Kieckeben. Nach innen soll das Selbstbewusstsein stiften, nach außen zeigen, dass die Rhythmische Sportgymnastik mehr ist als eine Nische.
Die 3. Liga ist das Unterhaus der DTL, aber auch ein Experimentierfeld. Ob daraus eine dauerhafte Perspektive für den TBG Neulußheim und seine Gymnastinnen wird, hängt jedoch eher wenig von Signalfarben ab, sondern vielmehr davon, ob es gelingt, die Mädchen über die kritischen Jahre hinweg im Sport zu halten. Kieckeben geht es daher nicht allein um Siege oder Platzierungen. Sie sieht die Liga als Investition in die Persönlichkeitsentwicklung ihrer Athletinnen. „Bundesliga“ weckt in Deutschland sofort Assoziationen – ähnlich wie im Fußball. Wer später in einer Bewerbung auf seine sportliche Laufbahn verweist, für den kann bei der Jobfindung auch „hat Bundesliga geturnt“ ein mitentscheidendes Markenzeichen sein, das bleibt – ganz unabhängig von Medaillen oder Tabellenplätzen.
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